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Jahrhundertoper galt als unspielbar

Alban Bergs "Wozzeck", eine der bedeutendsten Opern des 20.Jahrhunderts, galt anfänglich als nicht aufführbar. Berg, 1885 in Wien geboren, war der begabteste Schüler Arnold Schönbergs. Ein besonderer Sinn für musikalische Dramatik zeichnete ihn aus. Erich Kleiber brachte "Wozzeck" schließlich an der Berliner Staatsoper zur Uraufführung. Trotz persönlicher Anfeindungen und nicht endender Schwierigkeiten wurde es auch für ihn ein bleibender Erfolg.

Von Georg-Friedrich Kühn | 14.12.2005
    Marie bei ihrem Abendgebet, ahnungsvoll. Es ist eine der ergreifendsten Szenen aus "Wozzeck". Und eigentlich ist Marie ja ihr Mittelpunkt. Der historische Woyzeck brachte sie um. Hunger, Erniedrigung, Eifersucht waren die Motive. In Leipzig wurde er 1824 öffentlich hingerichtet.

    Alban Berg lernte das Dramenfragment Georg Büchners im Mai 1914 in Wien kennen. Man spielte nach der Erstausgabe von Karl Emil Franzos. Den Namen Woyzeck hatte Franzos in dem schwer entzifferbaren Manuskript als Wozzeck missdeutet. Berg behielt den falschen Namen bei, obwohl der Fehler bald bemerkt wurde.

    Was den Komponisten faszinierte, war nicht nur das Schicksal dieses "von aller Welt ausgenützten und gequälten armen Menschen" Woyzeck, sondern auch "der unerhörte Stimmungsgehalt" der Szenen. Berg komprimierte sie und ordnete sie nach symphonischen Aspekten neu.

    Der Erste Weltkrieg verzögerte die Arbeit. Berg wurde eingezogen. Aber auch sein Lehrer und musikalischer Mentor, Arnold Schönberg, versuchte immer wieder, ihm den Opernplan auszureden. Er war, wie Berg klagt, von gelegentlich "bevormundender" Fürsorge.

    Im Frühjahr 1922 war die Komposition fertig. Mit Alma Mahler-Werfels Hilfe ließ Berg einen Klavierauszug drucken. Aber die meisten Theaterleiter zögerten. Das Werk galt als unaufführbar. Hinzu kam die inflationsbedingt desolate wirtschaftliche Lage. Eine ausführliche Analyse in einer Fachzeitschrift bahnte dann den Weg.

    Erich Kleiber, soeben zum neuen Musikchef der Berliner Staatsoper ernannt, bereitete die Uraufführung in allein 34 Orchesterproben vor. Und er flankierte sie mit einem Parforce-Ritt von hochkarätigen Aufführungen aus Klassik und Moderne. Die Wozzeck-Uraufführung am 14.Dezember 1925 war, wie Berg anerkennend meinte, eine, die "sich gewaschen hat".

    Dass eine Intendantenkrise das Haus fast lähmte, erhöhte die Spannung. Aber Kleiber blieb gelassen. Angst hatte er sich abtrainiert, wie er später sagte.
    " Bitte keine Nervosität. Für die Nervosität sind die Proben da. Die mich kennen, werden wissen, dass ich immer in meiner rechten und linken Tasche einen Mantel der christlichen Nächstenliebe habe, den ich drauf decke, wenn was passiert. "

    Die konzertanten "Bruchstücke aus Wozzeck" dirigierte Kleiber nach dem Krieg noch einmal in Köln. Wir hören Ausschnitte aus dieser Aufnahme.

    Auf Störungen bei der Premiere war Kleiber gefasst. Aber das anfänglich reservierte Publikum steigerte sich immer mehr in Jubel. Es war sich bewusst, einem Jahrhundertereignis beizuwohnen.

    Die eher rechts gerichtete Presse allerdings sprach von "Kapitalverbrechen", "Höllenspektakel", "Brunnenvergiftung". Und auch als Clemens Krauss in Bergs Heimatstadt Wien 1930 den Wozzeck herausbrachte, versuchte die NS-nahe Presse einen Skandal anzuzetteln. Erfolglos.

    Prag, Leningrad und Oldenburg hatten das Werk als spielbar erwiesen. Im Rom des Duce konnte es sogar noch 1942 als "beste deutsche Oper des 20.Jahrhunderts" aufgeführt werden.

    Erich Kleiber wollte 1935 auch noch Bergs zweite Oper "Lulu" in Berlin herausbringen. Aber Hermann Göring, der neue Herr Unter den Linden, verhinderte es. Lediglich die Uraufführung der konzertanten Lulu-Suite gestattete er. Die Opern-Partitur hatte Berg noch nicht fertig. So blieb die "Lulu" Fragment.

    Im Januar 1935 schied Kleiber aus Berlin. Er ging ins Exil nach Südamerika. Der immer kränkelnde Alban Berg starb 50-jährig an Weihnachten desselben Jahres.