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Jainismus
Du sollst keine Tiere essen

In Deutschland leben wohl weniger als 200 Menschen, die sich zum Jainismus bekennen. Dass sie sich aus religiösen Gründen rein vegetarisch ernähren, sorgt oft für Erstaunen, erzählt ein Jaina-Ehepaar aus Köln. Aber das Verständnis für ihre Religion wachse.

Von Christian Röther | 09.07.2020
Anlässlich des Festes Mahavir Jayanti, der Feier des Geburtstags von Mahavira, dem 24. und letzten Jina, führen ein Mädchen und ein Junge ein Ritual durch.
Der Jainismus ist eine hierzulande kaum bekannte Religion (imago stock&people / Hindustan Times / Arijit Sen)
"Ich bin seit '95 hier in Deutschland und ich habe als Werksstudent bei Bayer in Leverkusen gearbeitet. Und da haben die mitgekriegt, ich bin Vegetarier und esse kein Fleisch und so weiter", sagt Manoj Jain.
Er ist Vegetarier aus religiösen Gründen. Er gehört der Religion des Jainismus an – wie höchstens 200 weitere Menschen in Deutschland, schätzen Experten. Der Jainismus ist hierzulande weitgehend unbekannt, und deshalb reagieren andere Menschen oft erstaunt auf Manoj Jains religiöse Überzeugungen, sagt er. Wie seine ehemaligen Arbeitskollegen, als sie von den Speisevorschriften erfuhren, an die Jain sich hält:
"Und das war für die: Bist du gesund? Wie kannst du gesund leben? Und ich habe denen immer gesagt: Meine Oma, damals war sie 88 Jahre, und sie hat immer noch gelebt. Habe ich gesagt: Meine Oma ist immer noch gesund und lebt immer noch."
Anupama und Manoj Jain
Anupama und Manoj Jain (Deutschlandradio / Christian Röther)
"Leben und leben lassen"
Auch die Großmutter von Manoj Jain verzichtete auf Fleisch. Denn das ist ein wichtiger Bestandteil des Jainismus, erklärt Anupama Jain, die mit Manoj verheiratet ist: "Jainismus glaubt - also der wichtigste Pfad ist Ahimsa. Das bedeutet: Leben und leben lassen."
Reihe "Wir sind die Sonstigen - kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahai gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Der Jainismus ist vor rund 2.500 Jahren in Indien entstanden, ungefähr zur gleichen Zeit wie der Buddhismus. Auch mit dem Hinduismus gibt es Gemeinsamkeiten. Ein Grundprinzip des Jainismus lautet: Man soll keinem Lebewesen Schaden zufügen. Deshalb verzichten manche Jainas nicht nur auf Fleisch und Eier, sondern auch auf Wurzelgemüse. Denn wenn man die Wurzel isst, kann die Pflanze nicht mehr weiterleben. Manoj Jain sagt: "Wir verfolgen die Religion nicht so streng. Das heißt, wir essen Wurzelsachen, aber wir essen kein Fleisch."
Eine Anhängerin des Jainismus mit einer traditionellen Maske in einem indischen Tempel
Wie ist der Jainismus entstanden?
Der Jainismus ist aus einer Reformphase der indischen Religionsgeschichte im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. hervorgegangen. Auch der Buddhismus ist in dieser Phase entstanden. Als Stifter des Jainismus gilt der Gelehrte Mahavira, den es nach derzeitigem Forschungsstand tatsächlich gegeben haben soll. Sein Name bedeutet "großer Held". Weltweit leben heute rund 4,5 Millionen Jainas, die meisten davon in Indien. In Deutschland sollen es rund 200 sein.

Warum tragen manche Jainas einen Mundschutz?
Eines der zentralen fünf Gelübde des Jainismus heißt Ahimsa. Es besagt, dass Jainas keine Lebewesen töten oder verletzten sollen. Deswegen tragen manche Jainas einen Mundschutz, um nicht versehentlich Insekten in den Mund zu bekommen und ihnen dadurch zu schaden.

Wofür ist der Jainismus bekannt?
Das Ahimsa-Gelübde hat auch zur Folge, dass der Jainismus als Religion des Vegetarismus bzw. des Veganismus gilt. Die meisten Jainas verzichten in ihrer Ernährung auf Fleisch und Eier. Manche essen aber Käse und Milch, weil sie davon ausgehen, dass Kühe, Schafe und Ziegen darunter nicht leiden müssen. Manche Jainas essen auch kein Wurzelgemüse wie Kartoffeln oder Karotten, weil durch den Verzehr der Wurzeln die gesamte Pflanze stirbt, was der Absicht widerspreche, keine Lebewesen töten zu wollen.
"Eine große Community gibt es in Antwerpen"
Es scheint ohnehin nicht so leicht zu sein, in Deutschland den Jainismus zu praktizieren – weil es hier kaum Jainas gibt. Deshalb fährt Familie Jain manchmal von Köln nach Belgien, um andere Jainas zu treffen und religiöse Feste zu feiern, sagt Manoj: "Eine große Community gibt es in Antwerpen, wo auch ein Jaina-Tempel ist. Aber in Deutschland nicht, und deswegen versuchen wir zum Beispiel, zu Hause diese Religion zu verfolgen. Beziehungsweise auch, dass wir unseren Kindern das auch weitergeben."
Zu Hause haben die Jains einen kleinen Schrein eingerichtet mit Fotos und Heiligenfiguren, erzählen sie. Drei davon haben sie zum Interview mit ins Radio-Studio gebracht. "Das sind so Figuren von unseren Tirthankara", erklärt Anupama Jain.
Gestiftet von den Tirthankaras
Die Tirthankaras sind so etwas wie die legendären Ur-Väter des Jainismus. 24 Tirthankaras soll es gegeben haben. Der Letzte von ihnen namens Mahavira gilt als Stifter der Religion.
Anupama Jain: "Wir haben zu Hause in dem Schränkchen ein paar Figuren von den Tirthankara, verschiedene. Und wir haben auch so ein Buch, das heißt Jinvani. Das ist so wie Bibel oder Koran. Aber wir haben Jinvani, und da sind unsere Gebete, die wir auch lesen, und Puja machen davon."
Puja, das bedeutet so viel wie "Verehrung". Und das Ehepaar Jain hat seine Religion gewissermaßen auch zum Beruf gemacht. Mit ihrer Firma stellen die Jains indische Fertiggerichte her - natürlich vegetarisch. "Es wird gesagt: Das, was man isst, ist man auch im Verhalten", so Anupama Jain. "Deswegen sagt man, man soll immer gesundes, gutes Essen essen."
Manoj Jain zeigt eine Darstellung von Mahavira, dem 24. Tirthankara, der den Jainismus begründet haben soll
Manoj Jain zeigt eine Darstellung von Mahavira, dem 24. Tirthankara, der den Jainismus begründet haben soll (Deutschlandradio / Christian Röther)
Fünf ethische Grundprinzipien
Der Jainismus lässt sich aber nicht auf das Essen reduzieren. Jainas glauben an einen Kreislauf ewiger Wiedergeburten. Und wie auch in Hinduismus und Buddhismus ist es Ziel der Jainas, aus diesem Kreislauf auszusteigen – also ins Nirwana einzugehen. Dafür muss man sich an einige Regeln halten, erklärt Anupama Jain:
"Die fünf ethischen Grundprinzipien, wenn man denen folgt, kann man Nirwana bekommen. Ist nicht einfach, aber das ist der Weg. Und das sind: Ahimsa, Aparigraha, Satya, Asteya und Brahma."
Das bedeutet: keine Lebewesen töten oder verletzen, nur das besitzen, was man wirklich zum Leben braucht, immer die Wahrheit sagen, nicht stehlen und keusch sein. "Und davon - so wir normalen Menschen, wenn wir drei befolgen, reicht das auch erst mal. Und dann, die Nonnen und Mönche, die folgen allen fünf."
"Was sie besitzen, ist nur der Himmel"
Deshalb heißt es, dass die Nonnen und Mönche bessere Chancen haben, ins Nirwana zu kommen, als die Laien. Der Jainismus unterteilt sich in zwei Hauptströmungen: die Shvetambaras, die "Weißgekleideten" - sie sind religiös etwas weniger streng - und die Digambaras, was so viel heißt wie "die mit dem Himmel bekleideten". Meist sind das nackte Mönche.
Das Geheimnis der Gewaltlosigkeit
Zu den religiösen Prinzipien der Jainas gehört unter anderem absolute Gewaltlosigkeit. In Deutschland ist über diese Religion und ihre Anhänger wenig bekannt. Eine Ausstellung in Köln will das ändern.
Anupama Jain: "Das heißt: Was sie besitzen, ist nur der Himmel, und haben gar keinen Besitz von irgendwelchen Sachen. Außer so einen Besen, den sie verwenden, um den Schlafort oder wo sie sitzen sauber zu machen, damit auch kein Lebewesen darunter stirbt."
Aufgrund solcher Verhaltensweisen eilt dem Jainismus der Ruf voraus, "dass die Religion friedlich ist. Sie werden kaum einen Jain sehen, der aggressiv ist", sagt Manoj Jain.
Verwechslungen mit Hindus, Sikhs und Muslimen
Manoj lebt seit 25 Jahren in Deutschland, seine Frau Anupama seit 21 Jahren. Ihr Nachname Jain zeigt zugleich auch ihre Religionszugehörigkeit an. Das ist bei vielen Jainas so: Viele von ihnen heißen Jain, aber nicht alle. Ein prominenter Jaina ist der Brite Anshu Jain, der bis 2015 Vorstandvorsitzender der Deutschen Bank war. Trotzdem ist der Jainismus hierzulande kaum bekannt, meint das Kölner Ehepaar: "Hier in Deutschland aus Indien die Leute also - wird gesehen: Es gibt nur Hinduismus. Oder Sikhs, oder halt Muslime", sagt Anupama Jain.
Dabei leben in Indien auch mehrere Millionen Jainas. Weltweit sollen es zwischen fünf und acht Millionen sein. Trotzdem ist es eine weniger bekannte Religion. Aber das ändere sich allmählich, erzählen Anupama und Manoj Jain:
"Unser Sohn hat im letzten Sommer Abi gemacht. Und während diesem Abi-Ball kam der Lehrer und hat uns erzählt und gratuliert, dass ihr Sohn ist der erste hier in Nordrhein-Westfalen, der auf seinem Zeugnis Religion als Jainismus hat. Und Abi gemacht hat."
Unterstützung im Kindergarten
Als die beiden Söhne der Jains noch klein waren und in den Kindergarten gingen, da sei das noch schwieriger gewesen, erzählen die Eltern. Denn sie Söhne sollten im Kindergarten natürlich auch kein Fleisch essen:
"Unsere beiden Söhne sind im katholischen Kindergarten gewesen. Und ganz am Anfang war es schwierig, weil hier war auch vegane oder vegetarische Ernährung nicht so bekannt. Eine von den Erzieherinnen hat uns erzählt, dass, wenn andere Kinder essen, wieso darf Ihr Kind nicht? Es war schwierig, ihr das zu erklären. Aber langsam ist das schon akzeptiert worden, und die haben uns auch richtig geholfen, das zu machen."