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Jakob von Weizsäcker
Familienspross auf Europakurs

Jakob von Weizsäcker will für die SPD ins Europaparlament einziehen. Ausgerechnet vom CDU-Land Thüringen aus. Doch der große Name seines Großonkels Richard von Weizsäcker ist noch keine Garantie für Erfolg: Er steht auf Listenplatz 25.

Von Henry Bernhard | 08.05.2014
    Der Thüringer Europakandidat Jakob von Weizsäcker während einer Pressekonferenz in Erfurt.
    Der Thüringer Europakandidat Jakob von Weizsäcker (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Europa ist für Jakob von Weizsäcker überall - auch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines zehnstöckigen Plattenbaus in Erfurt.
    "Wunderbar hier! Jetzt schau'n wir mal! "
    "Ja, Jakob, das ist hier die Wohnung, die wir zur Verfügung gestellt bekommen haben von der Wohnungsbaugenossenschaft Erfurt. Relativ einfach und gut eingerichtet, zwei Zimmer."
    "Wunderbar!"
    Jakob von Weizsäcker will zur Europawahl ein Mandat für die SPD erringen. Hier, in der Gästewohnung einer Wohnungsbaugenossenschaft, will er mit seinen Helfern von den Jusos in den kommenden zwei Tagen in der karg möblierten Wohnung all das markieren, was seiner Meinung nach durch Europa besser geworden ist.
    "Ich seh' schon, es ist alles drin: Von Halogenscheinwerfern statt Glühbirnen bis zu einer Kaffeemaschine, über die sich einige aufregen, ein Wasserhahn, aus dem Leitungswasser kommt, was man überall in Europa inzwischen gut trinken kann. Schöne Beispiele! Ich denke, das wird gut!"
    "Hier ist das nächste Zimmer, das Schlafzimmer ..."
    Pläne für ein "besseres, krisensicheres Europa"
    Zerknautschte Cordhose, Tweet-Jackett samt passender Schiebermütze auf störrisch grauen Haaren: Ein Hauch von englischem Landadel scheint durch die Räume zu wehen, während der Zwei-Meter-Mann durch die niedrige Tür ins nächste Zimmer taucht. Wohl nirgendwo könnte er deplatzierter wirken als in einer billig eingerichteten Plattenbauwohnung mit Blick auf einen Parkplatz.
    "Sehr schön! Die Schokoladenseite von Erfurt! (lacht) Aber was zum Beispiel auch gut ist: Tatsächlich sieht man hier vom Schlafzimmer aus den Parkplatz; aber da kann man ein ganz wichtiges Problem thematisieren, nämlich Lärm! Und die EU hat sich tatsächlich auch dieses Themas angenommen, und der eine oder andere Fortschritt wurde schon gemacht. Wenn man sieht, wie gut die Fenster hier isoliert sind."
    Brüssel, Washington, Duschanbe, München, Paris. Der 44-jährige Volkswirt hat schon in vielen Ländern gelebt und gearbeitet, bei der Weltbank, in einer wirtschaftspolitischen Denkfabrik. In der "Glienicker Gruppe", einem lockeren Zusammenschluss von Ökonomen, Politologen und Juristen, entwirft er Pläne für ein besseres, ein krisensicheres Europa. Dass er momentan mit seiner Familie in Erfurt lebt, scheint auf den ersten Blick wie ein Betriebsunfall. Jakob von Weizsäcker schüttelt den Kopf: Das sei es nicht, sondern ein Segen. Nach den langen Auslandsaufenthalten wollten er, seine Frau und die vier Kinder einmal Atem holen. Seit vier Jahren arbeitet der große Mann in der thüringischen Landeshauptstadt als Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium - doch sein Herz schlägt für Europa, da will er hin:
    "Ich hab das Glück gehabt, schon in meiner Jugend in Europa leben zu können. Ich hab in Großbritannien Abitur gemacht, ich hab in Polen Zivildienst gemacht, ich hab in Frankreich meine beiden Hochschulabschlüsse in Physik und Volkswirtschaft gemacht, das heißt: Für mich ist Europa in gewisser Hinsicht eine Selbstverständlichkeit. Ich bin mir darüber im Klaren, dass das etwas sehr Privilegiertes ist, aber es wird zunehmend zur Normalität!"
    Name ist keine Garantie für guten Listenplatz
    Dass er jetzt ausgerechnet von Erfurt aus den Sprung ins Europäische Parlament schaffen möchte, ist nicht einfach: Thüringen ist CDU-Land... Der Wahlkampf hier ist schwer; das hat er erst Anfang der Woche erlebt, als er im Eichsfeld auf Tour war, wo bösen Zungen zufolge auch ein schwarzer Besenstiel die Wahl gewinnen würde, solange nur CDU drauf steht.
    Sieben Sozialdemokraten aus Leinefelde haben den Wahlkampfstand vor einem Supermarkt aufgebaut, mit Tisch und rotem Schirm. "Mit euch will ich nichts zu tun haben!" ruft ein Mann, ein anderer sagt, dass er "die Christen" wähle. Und Jakob von Weizsäcker redet sich fest: mit einem einzigen jungen Mann. Es geht um die Bankenunion, um Automotoren und EU-Normen. Und während die beiden noch diskutieren, bauen seine Genossen nach 20 Minuten den Stand schon wieder ab, drängen den überraschten Weizsäcker zum Aufbruch: Der nächste Termin wartet. Hoffentlich hat er wenigstens den einen überzeugt.
    "Ich hab mich da jetzt irgendwie verquatscht, das ist das Problem." (lacht)
    Der große Mann trägt einen großen Namen, das ist ihm bewusst. Jakob von Weizsäcker gehört zur nächsten Generation der Weizsäckers. Aber auch das ist keine Garantie für einen guten Listenplatz bei der SPD, erzählt er. Er steht auf Platz 25.
    "Ich habe mir den Namen nicht ausgesucht, gebe aber zu, dass es für mich ganz angenehm war, in prägenden Jahren im Ausland zu sein, wo der Nachname dann keine so große Rolle spielte. Ich glaube, das ist manchmal auch von Vorteil, wenn man sich in gewisser Hinsicht dem Erwartungsdruck so ein bisschen entziehen kann. Es gibt sicher Situationen, wo er von Vorteil ist - beispielsweise einen gewissen Wiedererkennungswert mit sich bringt; es ist dann aber auch nicht immer lustig, gefragt zu werden, was man von bestimmten Leistungen oder Taten gewisser Vorfahren hält, wenn man eigentlich mit seiner eigenen Arbeit überzeugen möchte!"
    Nicht ewig in Erfurt bleiben
    Es wird also wieder Zeit für Jakob von Weizsäcker, die Koffer zu packen. Er will wieder raus in die Welt, reisen zwischen Straßburg, Brüssel, Berlin und Erfurt. Und was sagt seine Frau dazu?
    "Also, jedenfalls duldet sie meine Kandidatur."
    In der Europa-Wohnung diskutiert er dafür mit seinen Helfern von den Jusos über einheitliche Ladekabel, Schnittblumen-Gütesiegel und krumme Gurken. Und wenn es in diesem Jahr nichts wird mit dem Europäischen Parlament für den riesigen Mann mit dem fröhlichen Lachen ist doch eines sicher: Er wird nicht ewig in Erfurt bleiben. Dafür sind er, sein Name und seine Pläne einfach zu groß.