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James Joyce: "Finn's Hotel"
Zyklen identischer Abläufe

1923 verfasste der große irische Dichter James Joyce eine Reihe von Prosaminiaturen. Das Arbeitsprojekt mit dem Titel "Finn's Hotel" wurde abgebrochen. Nun aber wurden die elf kleinen Geschichten veröffentlicht und übersetzt - eine recht mühevolle Lektüre.

Von Martin Krumbholz | 09.02.2015
    Der irische Schriftsteller James Joyce in einer zeitgenössischen Aufnahme.
    Der Schriftsteller James Joyce. In "Finn's Hotel" geht es um die irische Geschichte, um nationale Mythen und Legenden. (picture alliance / dpa / DB)
    Beim Südwestdeutschen Rundfunk gibt es eine Bestenliste, auf der Bücher als "leichte", "mittelschwere" oder "eher schwierige" Lektüren eingestuft werden. Diese Skala sprengt "Finn's Hotel" mühelos, man könnte allenfalls von einer "äußerst schwierigen" oder "extrem mühevollen" Leküre sprechen. Denn der schlichte semantische Sinn dieser kurzen Texte lässt sich nicht immer widerstandslos und zweifelsfrei erschließen. Andererseits handelt es sich aber auch um eine dezidiert lustvolle Lektüre, wenn man sich das Vergnügen macht, laut zu lesen und die Klangkörper gewissermaßen musikalisch auf das eigene Ohr einwirken zu lassen.
    Zieht man Artikel, Pronomen, Präpositionen usw. ab, übertrifft die Zahl der Neologismen nahezu die der althergebrachten Vokabeln. Der Übersetzer Friedhelm Rathjen hat ein beachtliches Kunststück vollbracht, als er diese "Eposlein" mit ihren Bandwurmsätzen in ein eigenwillig-fantastisches Deutsch übertrug, nicht ohne dabei beträchtlichen eigenen neologistischen Ehrgeiz zu entfalten.
    "Lächelnder Johnny, ersuchte sie gynelexikalisch, miigst du dir aus miimiir wenigstens ein wiinzig Bürstchen?
    "A weeny mossel" heißt es im Original; "mossel" anstelle von "morsel": ein bisschen. In ein übliches Konfektionsdeutsch übersetzt, könnte dieser Satz ungefähr so lauten:
    "Liebes Hänschen, fragte sie mich, indem sie sich einer typisch weiblichen Ausdrucksweise bediente, machst du dir wenigstens ein winziges Bisschen aus mir?"
    Aufgeschnappt in der Episode "Himmelwärts zum Sternchenruhm" ("Skyward to Stardom"). Hier ist beileibe nicht von irgendeinem Paar die Rede, sondern von einem der prominentesten keltischen Liebespaare überhaupt, von Tristan, dem "Gentleman", auch salopp "Tris" genannt, und Isolde mit ihren "langberühmten Wimpern". Über Ersteren heißt es nun bei Friedhelm Rathjen:
    "Er, der Gentleman, war traumerklößsicht."
    Hier übertreibt der Übersetzer "a mossel", ein bisschen, wenn er scheint's einen Träumer, einen Trauerkloß und auch noch ein Gesicht in einer einzigen Adjektiverfindung unterbringen will; im Original ist der Gentleman "sodavisaged", was man vielleicht auch schlicht als "sodagesichtig" hätte übersetzen können. Nach der ersten und einzigen Fußnote auf Seite 38 hatte der Übersetzer lapidar erklärt:
    "Weitere Anmerkungen wird es in diesem Buch nicht geben."
    Man kann's ihm nicht verdenken. Vielleicht wäre es angesichts des schmalen Volumens des Werks aber keine schlechte Sache gewesen, der deutschen Ausgabe das Original beizufügen. Folgende bildkräftige Passage hinwiederum, bei der einem schwant, dass darin weniger von einem Fußballmatch oder gar einem kriegerischen Akt als von hemmungsloser Küsserei die Rede ist, muss gar nicht unbedingt in Klartext transferiert werden:
    "( ... )als die güldstige Gelegenheit seines Lebens ( ... ) der armorikanische Champion mit einem einzigen virilen Schmetterstoß den Vormarschbotschafter der Liebe flott durch die Doppelreihe von eburnischen Stürmern gradklingbumsschoß in das Tor ihrer Gurgel trieb."
    Die Zunge als "advance messenger", als Vorhutpionier oder, so Rathjen, als "Vormarschbotschafter" der Liebe, das hat was. Treffsicher übersetzt auch dies, wenngleich "rightjingbangshot" denn doch entschieden eleganter klingt als "gradklingbumsschoß". Sollte nun der Eindruck entstehen, es ginge in "Finn's Hotel" mehr oder weniger um frivole Späßchen, wäre dieser Eindruck gleichwohl falsch. Zwar sind Klatsch und Tratsch und der sexuelle Bodensatz der Conditio humana auch hier das poetische Material, dessen sich der Autor freimütig bedient. Doch mit diesen Texten löst Joyce sich erstmals von Dublin, das bis dato den Fokus seines Interesses bildete, und wendet sich der irischen Geschichte zu; um die "Idee" Irland, schreibt Seamus Deane in seiner luziden Einführung, kreise insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der nationale irische Diskurs.
    Die Welt von "Finns's Hotel" bilde eine Welt aus Zyklen identischer Abläufe, die durch geschichtliche Schlüsselmomente in Gang gesetzt würden; vorangetrieben aber würden diese Zyklen durch "eine bloße Handvoll" an Tropen: Sex, Autorität, Sprache, Beziehung und Ritual. Das Christentum mitsamt seinen Allerheiligen, wie dem Nationalheiligen Sankt Patrick, stellt dabei keinen Fluchtpunkt dar, sondern im Gegenteil einen zähen Widerstand gegen den Wunsch nach Autonomie – im politischen wie im lebenspraktischen Sinn. Aus dieser seriösen Quelle speist sich denn auch der unvergleichliche Joyce'sche Humor, wie schön zu sehen und zu hören in folgender Lassoschleife von einem Satz, wiederum zitiert aus "Himmelwärts zum Sternchenruhm":
    "( ... ) weil es seine in diesem Leben einzige Maxime war dass wenn eine Dame, nur so zum Beispiel, zufällig eine Libido auf einen Bissen von einem Happen Stilton-Käse hatte und er, nur somal angenommen, zufällig ein Viertel von einem Pfund oder so füßelgrünen Gorgonzola in der Tasche hatte, na dass er dann schlichtweg seine Hand in die Tasche steckte, wißt ihr, und na dass er ihr dann schlichtweg den Käse reichte, seht ihr, dass sie einen Bissen davon abnahm."
    So soll es sein.
    James Joyce: "Finn's Hotel"
    Hrsg. und eingerichtet von Danis Rose, mit einer Einführung von Seamus Deane, übersetzt von Friedhelm Rathjen.
    Suhrkamp, 103 Seiten, 17,95 Euro.