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Jan Mohnhaupt: "Tiere im Nationalsozialismus"
Leitrassen und Ungeziefer

Rassenwahn und Züchtungswille: Sogar im Umgang mit Tieren wurde die Nazi-Ideologie eingeübt - vom deutschen Schäferhund über die Schweinezucht bis zum röhrenden Edelhirsch. In seinem neuen Buch erkundet der Journalist Jan Mohnhaupt ein noch weitgehend unerforschtes Feld.

Von Jutta Person | 22.05.2020
Jan Monhaupt, "Tiere im Nationalsozialismus" Zu sehen ist ein Portrait des Autors und ein Foto von Adolf Hitler mit seiner Schäferhündin Blondi
Tierliebhaber Hitler erprobte an seinem Schäferhund Blondi die Wirkung von Blausäure (imago stock&people / IPON / APress)
Tiere taugen besonders gut zur Mythenbildung, das bezeugen die legendären Mischwesen der Antike ebenso wie die animalischen Helden der Moderne. Ganz gleich, ob sie als monströse Feinde oder als Stars mit Superkräften herhalten müssen – sie definieren immer auch das menschliche Selbstverständnis.
Dazu kommt: Ob als beste Freunde oder als pure Fleischlieferanten– sie sind ganz real und nicht nur symbolisch vorhanden. Dass das Tier-Mensch-Verhältnis historisch höchst aufschlussreich ist, beweist der Autor Jan Mohnhaupt jetzt mit seinem Buch "Tiere im Nationalsozialismus" – ein weitgehend unerforschtes Feld.
Es gebe bislang nur wenige Studien zu den Tieren der NS-Zeit – auch, weil man hierzulande fürchte, die menschlichen Opfer zu bagatellisieren, fasst Mohnhaupt in seiner Einleitung zusammen. Gerade die scheinbar harmlose Geschichte der Tiere verdeutlicht aber, wie weitreichend der Alltag der NS-Diktatur ideologisch durchtränkt war: Mit sechs verschiedenen Tiergruppen – Hunde, Schweine, Insekten, Katzen, Hirsche und Pferde – schlüsselt Mohnhaupt das nationalsozialistische Gedankengut auf und zeigt, wie seine verschiedenen Facetten in die Lebenswelten von Bauern, Kindern oder Haustierhaltern eingepasst wurden. Beispiel Schweinezucht: Der Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Walther Darré will das deutsche Volk von ausländischem Fett unabhängig machen und setzt auf Mastanlagen zur nationalen Selbstversorgung. Gleichzeitig wird das Schwein zum Symbol einer Lehre, die auf den Acker und die Scholle fixiert ist:
"Darré hat keinerlei Skrupel, die Methoden der Tierzucht, die er in seinem Studium gelernt hat, auf den Menschen zu übertragen. Sein Plan ist es, die arische Rasse vom Bauernhof aus zu erneuern. (...) Anhand der Domestikation des Schweins begründet Darré den rassischen Unterschied zwischen »Ariern« auf der einen Juden und Muslimen auf der anderen Seite. Für Darré ist das Schwein die »Leitrasse« der nordischen Völker, die die germanischen Vorfahren erst dazu gebracht habe, sesshaft zu werden. (...) Im Gegensatz zu den nordischen Ackerbauern müssten sich die semitischen Nomaden unterordnen und weiterziehen, sobald ein Weidegrund abgegrast ist."
Eine Illustration zeigt stilisierte Porträts unterschiedlicher Menschen.
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Für einen Rassebegriff gebe es heute keine biologische Grundlage mehr, sagte Martin S. Fischer vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Universität Jena, im Dlf.
Herrenmenschen und Herrentiere
Aber nicht nur mit Schweinen, auch mit anderen Tieren sollte das "Dritte Reich" kriegswirtschaftlich autark gemacht und ideologisch aufgerüstet werden. Seidenraupen etwa werden für die Fallschirme der Wehrmacht dringend gebraucht, weshalb man vielerorts Maulbeerbäume anpflanzt, die einzige Nahrungsquelle des Seidenspinners. Schulkinder füttern die Raupen mit frisch geernteten Blättern – und werden damit zum Dienst am Volk eingesetzt. Zucht- und Rasseideologien lassen sich im Umgang mit Tieren praktisch einüben, belegt Mohnhaupt. Wer "Herrenmenschen" sagt, erfindet auch "Herrentiere", das zeigen die Beispiele des Bandes. Die vermeintlich so modernen Natur- und Tierschutzgesetze, die zunächst einmal in Kraft treten, um das jüdische Schächten zu verbieten, gelten nicht für alle Tiere gleichermaßen. So verdeutlicht auch die Jagd und der Umgang mit den Wildtieren, wie interessengesteuert und fadenscheinig der Tierschutzgedanke war. Über Hermann Göring, den "Reichsjägermeister" und "zweiten Mann" im NS-Staat, heißt es bei Mohnhaupt:
"Naturschutz bedeutet für Göring in erster Linie die Sicherung seiner Jagdgründe. Und seine Hirsche gehen ihm über alles. Obwohl der Rothirsch in mehreren Unterarten ganz Europa von Skandinavien bis zum Mittelmeerraum bewohnt, wird er im »Dritten Reich« nur noch »deutscher Edelhirsch« genannt. Wenn der Wald selbst schon deutsch ist, so scheint es, muss auch der »König des Waldes« ein Deutscher sein."
Mit Halsband und Leine versehen liegt ein Deutscher Schäferhund auf einer Wiese
Deutscher Schäferhund (Zentralbild)
Der Deutsche Schäferhund
Noch deutscher als der Edelhirsch ist wahrscheinlich nur der Deutsche Schäferhund, dessen Leben, Werk und Wirkung Mohnhaupt ausführlich beschreibt. Manchmal wird das Buch etwas zu anekdotisch und streift dabei auch das Schauergeschichtliche, etwa, wenn es um Hitlers letzten Schäferhund Blondi geht. Dass er die tödliche Wirkung von Blausäurekapseln Ende April 1945 an seinem angeblich so geliebten Hund testen ließ, führt andererseits vor, wie es um Hitlers propagandistisch ausgeschlachtete Tierliebe stand. Der Führer mag Vegetarier und Jagdverächter gewesen sein, ein Tierfreund war er wohl nicht, hält Mohnhaupt fest. Ganz abgesehen von Hitlers letztem Hund ist die Geschichte des deutschen Schäferhundes aber vor allem von Interesse, weil sie verdeutlicht, wie der Zuchtgedanke ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Die Merkmale des Deutschen Schäferhundes werden um 1900 festgelegt: Dem Züchter Max von Stephanitz schwebt eine wolfsähnliche Hunderasse vor, die alle Tugenden preußischer Soldaten besitzt: Treue, Ausdauer, Gehorsam. Zu Beginn der dreißiger Jahre vergleicht er die Hundezucht mit der menschlichen Gesellschaft, während Eugenik und Rassenhygiene, auf den Menschen angewandt, an Einfluss gewinnen. Die Tierzucht als Inspirationsquelle der Menschenzucht: das Hundekapitel deutet Zusammenhänge an, die man sich etwas ausführlicher erklärt gewünscht hätte.
Wie die Kategorien von Nützlichkeit und Schädlichkeit allmählich das gesamte Denken durchdringen, weisen die Tier-Analysen dieses Bandes aber klar und deutlich nach. Aussortieren und Vernichten treten in den Vordergrund:
"Eine Ideologie, die den Wert von Leben daran bemisst, welchen »Nutzen« es der eigenen »Lebensgemeinschaft« bringt, unterscheidet nicht zwischen »Mensch« und »Tier«, sondern zwischen ‚nützlichem« und »lebensunwertem« Leben. Es entsprang demnach demselben ideologischen Geist, manche Tiere unter besonderen Schutz zu stellen und manche Menschen wiederum zu »Schädlingen« zu erklären und sie systematisch zu vernichten."
Die Logik des Schädlingslehre
Dass der Antisemitismus der Nazis mit Bazillus- und Parasitenvergleichen operierte, ist bekannt; wie sehr diese Feindbilder im Alltag immer wieder systematisch eingeübt wurden, zeigt Mohnhaupt im Detail. Auch die Polen sollten als "Schädlinge" kenntlich gemacht werden, diese Direktive gab das Reichspropagandaministerium ab Oktober 1939 an die gleichgeschaltete Presse aus. Leitmotivisch sollten Floskeln wie "polnische Wirtschaft" und "polnische Verkommenheit" benutzt werden, bis jedem klar geworden sei, dass man es mit menschlichem "Ungeziefer" zu tun habe. Dem Insektenkapitel hat Mohnhaupt ein hellsichtiges Zitat von Aldous Huxley aus dem Jahr 1936 vorangestellt:
"Wenn Sie einen Menschen eine Wanze nennen, bedeutet das, dass Sie die Absicht haben, ihn wie eine Wanze zu behandeln."
Jan Mohnhaupt: "Tiere im Nationalsozialismus"
Hanser Verlag, München
255 Seiten, 22 Euro.