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Jan Philipp Burgard
Ausgeträumt, Amerika?

Mehr als ein Jahr lang reist ARD-Korrespondent Jan Philipp Burgard durch Amerika und spricht mit den Menschen. Er erlebt ein Land, das mehr denn je gespalten ist zwischen Arm und Reich, Stadt- und Landbevölkerung, afroamerikanischen, lateinamerikanischen und weißen Bürgern.

Von Moritz Küpper | 23.04.2018
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    Jan Philipp Burgard fuhr auf seiner Reise durch Amerika auch entlang der Route 66. Hier der Endpunkt des legendären Highways auf dem Santa Monica Pier. (picture alliance / dpa / Klaus Nowottnick)
    Es war seine erste Rede nach dem Wahlsieg.
    "Working together, we will begin the origin task of rebuilding our nation...."
    "Zusammen werden wir", so sagte es Donald Trump am 9. November 2016 in New York vor seinen jubelnden Anhängern, "die ursprüngliche Aufgabe des Wiederaufbaus unserer Nation beginnen und den amerikanischen Traum erneuern."
    "…. and renewing the American Dream."
    Der amerikanische Traum. Er ist so etwas wie das gesellschaftliche Leitbild, die große Idee Amerikas. Dieser amerikanische Traum war auch die Leitfrage für Jan Philipp Burgard, seit dem vergangenen Jahr USA-Korrespondent und dort stellvertretender Studioleiter der ARD in Washington:
    "Ich hatte 2008 schon einmal in den USA gearbeitet und hautnah die Aufbruchsstimmung erlebt, die Barack Obama damals verbreitete: Wo man auch hinhörte, die Menschen sprachen von Hoffnung und Wandel. Doch als ich 2016 zum Wahlkampf in die USA zurückkehrte, spürte ich nur noch Angst und Wut. Auf einer Reise entlang der Route 66, da habe ich zum Beispiel einen Trucker namens Tom getroffen, der schon im Rentenalter war, mir aber sagte, dass er fahren muss bis er tot umfällt, weil das Geld einfach nicht für den Ruhestand reicht."
    Es sind Lebensgeschichten wie diese, die Perspektivlosigkeit von Tom, die wohl den Wahlsieg Trumps ermöglichten:
    "Eigentlich hieß es ja immer, dass sich der amerikanische Traum erfüllt, wenn man hart genug dafür arbeitet und man sich an die Regeln hält. Aber jetzt erlebte ich plötzlich ein Land, das mehr denn je gespalten ist zwischen arm und reich, Stadt- und Landbevölkerung, afro-amerikanischen und weißen Bürgern. Und so trieb mich immer mehr die Frage um, ob Amerika ausgeträumt hat."
    Burgard nutzte sein erstes Jahr als Korrespondent, das gleichzeitig auch das erste Jahr von Donald Trump als US-Präsident war, um durchs Land zu fahren - auf der Suche nach Antworten, auf der Suche nach dem amerikanischen Traum.
    "Auf jeder Reise habe ich Menschen getroffen, die mich beeindruckt oder überrascht haben. In Texas, zum Beispiel, habe ich Kinder kennengelernt, die auf Bullen Rodeo reiten, in der Wüste von Arizona habe ich einen Sheriff gefragt, wie er über Trumps Pläne denkt, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen oder in West Virginia bin ich mit Kohle-Kumpels unter Tage gefahren, um sie zu fragen, ob sie wirklich daran glauben, dass Trump Amerika wieder großartig machen wird."
    Blick fürs Detail
    Burgard fuhr die Route 66 lang, jene Straße quer durch die USA, die als Inbegriff der grenzenlosen Freiheit gilt, für ihn aber nun - so ist auch im Buch das Kapitel überschrieben - die Straße der geplatzten Träume ist. Beispielsweise der Traum von Mike, der in einer Werkstatt Autos restauriert. Und über den Burgard schreibt:
    "'Einfach gut zu leben und voranzukommen. Das ist mein amerikanischer Traum. Doch für teure Hobbys wie Oldtimer haben viele Leute kein Geld mehr. Unser Land ist insgesamt in keiner guten Verfassung. Das muss repariert werden', sagt Mike. Der richtige Mann für diese Reparatur sei Donald Trump. Als Geschäftsmann wisse der schließlich genau, wie man die Wirtschaft wieder in Schwung bringe. Besonders gefällt Mike das Versprechen Trumps, dafür zu sorgen, dass in den USA wieder mehr produziert werde. 'Wir haben viel zu lange japanische Autos gekauft und dabei verlernt, selbst gute Autos zu bauen. Das muss sich ändern.'
    Der Chevrolet, in dem wir auf der Route 66 unterwegs sind, sei das perfekte Beispiel für die großen Leistungen, zu denen die amerikanische Autoindustrie einst imstande war. 'Donald Trump wird diese Zeit zurückbringen', da ist sich Mike sicher. Als Mike den Chevrolet wieder langsam in die Werkstatt rollt, entdecke ich eine kleine braune Puppe, die kopfüber von der Decke hängt. 'Ist das eine Voodoo-Puppe?', frage ich. 'Nein, das ist Obama'."
    Es sind diese kleinen Beobachtungen, diese geschilderten Details, die viel mehr aussagen über die Stimmung in den USA, das Empfinden der Menschen. Wie beispielsweise - sozusagen als Kontrast zu Mike - Burgards Besuch an der Elite-Universität Stanford, wo er den Sohn iranischer Eltern trifft, der in der Nähe von Nürnberg zur Welt gekommen ist, weshalb er das R stets rollt. Omid Scheybani, der mit Anfang 30 sechs Sprachen spricht, steht für das Amerika der Westküste, für die jungen Menschen, die Google, LinkedIn und Snapchat möglich machten.
    "Einige Zeit nach meinen Reisen nach Kalifornien frage ich mich, ob sich der deutsch-iranische Weltbürger Omid Scheybani für oder gegen Amerika entschieden hat. Google ist ein schneller Helfer, auf Omids Website finde ich eine Antwort. In einem Blogeintrag verabschiedet er sich von seinen amerikanischen Freunden. Wenige Tage nach der Verleihung seines Abschlusszeugnisses in Stanford hat er seine Sachen gepackt und sich auf den Weg nach China gemacht. Die beiden 'Rs', die der 'amerikanische Traum' zu bieten hat, rollen wohl so schnell nicht mehr über Omids Lippen. Ausgeträumt."
    Ängste und Wut
    Die Mutter, die Burgard auch trifft, die um den Versicherungsschutz für ihre kranke Tochter bangt, kann jedoch nicht das Land verlassen. Es sind solche Schicksale, einzelne vielschichtige Geschichten, Begegnungen und Beobachten, die Burgard auf seinem Roadtrip gesammelt hat, die sich - wie Mosaik-Steine - zu einem großen Bild zusammenfügen. Zwölf Kapitel hat das Buch, das sich - auch aufgrund der persönlichen biographischen Schilderungen - gut lesen lässt. Beschreibung statt Analyse, ein offener Blick statt wertender Einordnung. Es ist wohltuend, wie Burgard es schafft, sich auf den 208 Seiten aus der sich mitunter überschlagenden Tagesaktualität zu lösen - und so auch nicht in Gefahr läuft, von der Aktualität eingeholt zu werden:
    "Ich habe ganz bewusst kein reines Trump-Buch geschrieben, sondern ein Amerika-Buch. Es thematisiert zwar aktuelle Herausforderungen wie Armut, Rassismus, Strukturwandel und Klimawandel, aber ich befürchte, dass diese Probleme noch lange aktuell sein werden."
    Über Trumps Zeit im Weißen Haus hinaus, also - egal, ob es nun ein oder zwei Amtsperioden werden. Doch die aktuelle Situation war, so Burgard, für Trump geradezu gemacht:
    "Viele gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen, die Trumps nationalistischen Triumphzug den Weg bereiteten, hatten schon lange vor der Präsidentschaftswahl 2016 eingesetzt. Trump ist also nicht die Ursache für die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, er bringt sie nur brutal zum Ausdruck. Und er treibt sie lustvoll weiter voran. Statt die Ängste seiner Bürger zu lindern, schürt der Präsident sie noch - und transformiert sie in Wut."
    Eine Wut, die sich in Burgards Buch gut nachvollziehen lässt.
    Jan Philipp Burgard: "Ausgeträumt, Amerika? Unterwegs in einem gespaltenen Land"
    Rowohlt Taschenbuch Verlag, 208 Seiten, 14,99 Euro.