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Janosch
Biografie eines Grenzmenschen

Janoschs Werk umfasst über 300 Titel, die in 40 Sprachen übersetzt wurden. Über den berühmten Kinderbuchautoren selbst ist allerdings nicht viel bekannt. Die polnische Autorin Angela Bajorek ist eine der wenigen, der es gelungen ist, tiefere Einblicke in sein bewegtes Leben zu bekommen.

Von Marta Kijowska | 10.03.2016
    Illustrator und Geschichtenerzähler Janosch vor einem Plakat mit Bär, Tiger und Tigerente.
    Illustrator und Geschichtenerzähler Janosch vor einem Plakat mit Bär, Tiger und Tigerente. (dpa/ picture-alliance/ Roland Weihrauch)
    Die meiste Zeit soll er in einer gelbgestreiften Leinenhängematte verbringen und dabei die Sonne, den selbstgemachten Weißwein und die Nähe seiner Frau Ines genießen. Mit diesem Bild beginnt die Krakauer Germanistin Angela Bajorek ihre Biografie über den polnisch-deutschen Autor und Zeichner Janosch. Eigentlich sollte es ursprünglich eine Habilitationsschrift werden, für die sie aber dennoch biografisches Material brauchte. Und da sie seine Abneigung gegen jede Form von Selbstauskünften kannte, machte sie sich zu Beginn ihrer Recherchen gar nicht erst die Mühe, ihn zu kontaktieren. Stattdessen sammelte sie Informationen über ihn – in Bibliotheken, Archiven und vor allem an Originalschauplätzen in Zabrze (deutsch Hindenburg), wo Janosch bzw. Horst Eckert, wie er in Wirklichkeit heißt, am 11. März 1931 zur Welt kam. Erst dann schlug sie ihm ein Gespräch über sein Leben vor – und die Reaktion überstieg, wie sie behauptet, ihre kühnsten Erwartungen:
    Die erste Biografie mit allen Stationen seines Lebens
    "Unsere ersten Gespräche waren eng mit seiner Kindheit in Zabrze verbunden. Doch allein darüber hatte er so viel zu erzählen, dass ich anfing, meine Fragen und seine Antworten zu einem Interview zu komponieren. Dieses Interview zitiere ich am Ende des Buches, oder besser: Ich zitiere einen Teil davon, denn ich habe von Janosch insgesamt über tausend Mails bekommen. Ich habe also eine Menge Material, das ich in dieser Biografie natürlich nur in gekürzter Form wiedergeben konnte. Man darf außerdem nicht vergessen, dass ich ursprünglich ein literaturwissenschaftliches Buch schreiben wollte. Ich bin weder Journalistin noch Schriftstellerin, insofern betrachte ich meine Arbeit an diesem Buch als die einer Chronistin - und das Buch selbst als eine Art Nebenprodukt meiner Habilitationsschrift."
    An Letzterer arbeitet sie nämlich immer noch und will sie auch in diesem Jahr abschließen. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass der "Nebenprodukt" ihrer Arbeit die erste vollständige Biografie über Janosch ist, die alle Stationen seines Lebens – in Zabrze, Oldenburg, München, Paris, am Ammersee sowie auf Ibiza, Gomera und Teneriffa – ausführlich schildert. Vor allem aber zeichnet Angela Bajorek darin ein sehr eindrucksvolles Bild seiner Kindheit im Schlesien der 30er-Jahre. Einer Kindheit, die - wie sie schreibt - alles andere als einfach war:
    "Die Hölle. So erinnert Janosch seine Kindheit. In einem der Interviews sagte er, dass die ersten Lebensjahre seine Persönlichkeit völlig zerstört hätten. Er erzählte, dass man den Nachwuchs wie Haustiere behandelte, die in den gefüttert und gepflegt wurden, in der Hoffnung, dass sie eines Tages Arbeit fanden und man sie nicht mehr ernähren müsste."
    Gewalttätiger Vater, sadistische Mutter und fromme Katholiken
    Zu der Kindheit, die Janosch bis heute in seinen Träumen verfolgt, setzt sich allerdings einiges mehr zusammen: Die Armut und Beengtheit der Wohnverhältnisse in einem "Familok", wie dort ein Mehrfamilienhaus genannt wurde – mit dem Gestank von Knoblauch und Urin, dem ständig betrunkenen und gewalttätigen Vater und der kalten, sadistischen Mutter. Die Schikanen der Lehrer und Mitschüler. Die Strenge der Pfarrer, die aus ihm einen frommen Katholiken machen wollten, ihm aber nur Angst vor Gott und Hass auf die Kirche mitgaben. Die Brutalität der Nazis und die Zwangsmitgliedschaft in der Hitlerjugend. Und schließlich die Vertreibung der Familie aus Polen:
    "Die Eckerts verließen Schlesien im Juni 1946. Ihr Bestimmungsort war Oldenburg in Niedersachsen, eine Stadt in der britischen Besatzungszone. Angeblich – denn niemand konnte sich bis zum Ende sicher sein, wohin er tatsächlich gebracht werden würde. Der Güterzug fuhr ins Unbekannte."
    Das in etwa sind die Fakten, die hinter Janoschs sonst so ausweichenden Antworten auf Fragen nach seiner Kindheit stecken und die manches von seinem Verhalten als Erwachsener – etwa das ständige Rebellieren gegen alle Zwänge und Hierarchien – erklären. Und gegen die er, wie Angela Bajorek bestätigt, eine Art Antidoton in seinen Kinderbüchern schuf.
    "Ich denke, dass Janosch n seinen Kinderbüchern ein anderes Ich gezeigt hat. Denn sie sind in der Tat ein Antidoton, ein völliges Gegenteil der Welt, die er als Kind erlebt hat. Doch paradoxerweise haben genau diese Erlebnisse ihn als Künstler geformt. Wenn er diese Albträume nicht sein Leben lang mit sich geschleppt hätte, hätte er sie nicht in seinen Romanen beschrieben. Und auch nicht diese bunte Welt seiner anderen Bücher erschaffen. Diese Idylle, dieses Niemandsland namens Panama ist in der Phantasie eines Schriftstellers, Malers, Lebensphilosophen und Menschen voller Empathie und Güte entstanden. Und sie ist eine Antithese dessen, was ihm im echten Leben widerfahren ist."
    Die Popularität der Tigerente wurde langsam lästig
    Auch spätere und um einiges erfreulichere Stationen von Janosch Leben werden in Bajoreks Biografie behandelt – genauso wie der Verlauf seiner Karriere: Das wenig beachtete Debüt mit "Die Geschichte von Valek dem Pferd" von 1960; die beiden großen Erfolge der 70er-Jahre, "Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm" und "Oh, wie schön ist Panama"; die große Zeit der Marke Janosch, in der die Produkte seiner Fantasiewelt den Markt überfluteten. Allen voran die "Tigerente", die ihm allmählich zur Last wurde.
    "Becher, Deckchen, Zahnbürsten, Thermometer mit dem Bär und dem Tiger. Die Tigerente auf Kinderkleidung, Brotdosen, Plakaten, Schulranzen. Sogar auf Wiener Würstchen. 'Die Zeit' nannte Janosch irgendwann den 'Gefangenen der Tigerente'. Und in der Tat: Die Popularität des Geflügels auf Rädern wurde allmählich lästig. Die ursprünglich eher zweitrangige Heldin seiner Geschichten wurde quasi zu Janoschs Logo."
    All das erzählt Angela Bajorek in erfrischender Kürze, doch nicht ohne jeweils ein prägnantes Bild der Umgebung mitzuliefern – der Pariser und Münchner Künstlercafés etwa oder der Treffpunkte der Aussteiger auf Ibiza. Man spürt zwar manchmal, dass die Autorin, die als Dozentin an der Pädagogischen Universität Krakau arbeitet, sich für den erzieherischen Aspekt von Janoschs Büchern besonders interessiert. Und man merkt dieser Biografie auch an, dass es aus polnischer Perspektive geschrieben ist.
    Letzteres ist aber nicht unbedingt ein Nachteil, im Gegenteil: So erfährt man einiges über Janoschs kompliziertes ethnisches Selbstverständnis – er sei weder ein Deutscher, noch ein Pole, sondern das, was man in Oberschlesien als "Grenzmensch" bezeichnet habe –, die Rezeption seiner Bücher in Polen oder seine Besuche im Heimatort Zabrze, der ihn jedes Mal mit großem Pomp empfing. In den letzten Jahren fuhr er nicht mehr hin. Dafür bekam er mehrere Besuche von seiner Biografin, die ihn jedes Mal als einen alten, doch noch sehr rüstigen Mann voller Humor und Gelassenheit erlebte:
    "Heute ist dieser selbsternannte Anhänger der Janosch-eigenen Art des Buddhismus, abgehärtet durch Yoga und von der spanischen Sonne gewärmt, ein glücklicher Mensch. Sein Rezept für ein gutes Leben hat er mehrmals in Büchern und Interviews verraten: 'Je weniger du brauchst, desto mehr hast', wiederholt er."
    Janosch an die Autorin: "Wunderbar, was ich lese!"
    Seine positive Aura hat offenbar auch auf sie abgefärbt. Zu seinem 85. Geburtstag organisiert sie jedenfalls in Zabrze eine Konferenz, die den Titel trägt: "Von dem Glück, Janosch gekannt zu haben". Er selbst wird leider nicht daran teilnehmen können. Umso mehr freut er sich über dieses Buch, das ihn bereits erreicht hat und für das er die Autorin, in einer Mail, die sie stolz zitiert, überschwänglich lobt:
    "Wunderbar, was ich lese! Ich habe jetzt Bratkartoffeln gebraten und esse sie mit Sülze und einem halben Liter Wein, der hier im Garten überall in der Runde wächst. Und dann gehe ich hinter das Haus – weinen vor Freude, so gut haben Sie das geschrieben. Beinahe würden wir heiraten oder so was. Jetzt geht es nicht mehr. Za pózno – zu spät!"
    Aus der Heirat zwischen Janosch und Angelas Bajorek wird wohl wirklich nichts. Das Porträt des berühmten Kinderbuchautors, das sie präzise, einfühlsam und facettenreich zeichnet, sollte man dennoch unbedingt lesen.