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Japan
Neuwahl mit Kalkül

Am Sonntag verlängert sich vermutlich die Amtszeit von Japans Regierungschef Shinzo Abe. Mit Neuwahlen will er die Absolution für sein Vorhaben, die zweite Stufe der lange geplanten Mehrwertsteuererhöhung ausfallen zu lassen. Vielmehr möchte der Premier wohl vier weitere Regierungsjahre gewinnen. Ein legaler Trick.

Von Jürgen Hanefeld |
    Er schreit sich die Seele aus dem Hals. Der Mann auf dem Dach des Wahlkampfbusses heißt Hideki Makihara, Kandidat der Liberaldemo-kratischen Partei (LDP) in Omiya nördlich von Tokio. Warum er so schreit, weiß man nicht, denn die nationalkonservative LDP regiert mit einer satten 70-Prozent-Mehrheit, die sie am Sonntag vermutlich auch noch ausbauen wird. Trotzdem klingt es so, als gehe es ums pure Überleben. Kein Wunder, der Chef kommt.
    Shinzo Abe, der Premierminister, ist auf den Bus geklettert, und fragt nun die Menge, wie sie den Seelenschrei seines Kandidaten fand und ob man ihn nicht dringend brauche im Parlament.
    Ein legaler Trick zur Machtverlängerung
    Der Beifall bleibt verhalten. Die Japaner wissen, dass die vorgezogenen Neuwahlen teuer und unnötig sind. Nach nur zwei Jahren, der Hälfte seiner Amtszeit, lässt Abe jetzt das Volk abstimmen über ein Thema, das er auch ohne Neuwahlen durchs Parlament gebracht hätte. Angesichts der schlechten Konjunktur will er die zweite Stufe der Mehrwertsteuererhöhung ausfallen lassen. Ein Scheingefecht, denn die Opposition will das auch. In Wahrheit will der Premier vier weitere Jahre gewinnen, das heißt: mindestens sechs Jahre an der Macht bleiben. Ein legaler Trick.
    Der Grund: Die Wirtschaftsreform "Abenomics", die er nach sich selbst benannt hat, greift nicht. Im Gegenteil: Japans Wirtschaft ist im vergangenen Quartal um 1,9 Prozent geschrumpft. Die Zahl ungesicherter Arbeitsplätze ist zwar gestiegen, aber die Realeinkommen sinken. Gleichwohl versichert Abe unbeirrt, das zu tun, was er schon bei der Wahl vor zwei Jahren angekündigt hatte:
    "Ich verspreche, den Aufschwung voranzutreiben, die Wirtschaft zu stärken und Japan wieder zum leuchtenden Zentrum der Welt zu machen."
    In dieser Situation auf die längst beschlossene Steuererhöhung zu verzichten, ist zwar populär, aber nicht vernünftig, sagt der Wirtschaftsforscher Martin Schulz:
    "Bisher gab es eine sehr solide und breite Unterstützung für Abenomics; eben deshalb weil die Regierung versprochen hatte, mit einem zweiten Schritt der Mehrwertsteuererhöhung und weiteren Reformen im Gesundheitssystem, im Agrarbereich, durch die Öffnung der Wirtschaft nach außen mit einem Freihandelsabkommen in Schwung zu bringen. Wenn die Regierung jetzt ihren Teil dieses impliziten Vertrags nicht erfüllt und die Mehrwertsteuer nicht erhöht, kann es zu einem sehr starken Vertrauenseinbruch im nächsten Jahr kommen.
    "Seine Führungsstärke beeindruckt mich"
    Die Ratingagentur Moody's hat die Bonität der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt vorsichtshalber schon mal gesenkt. Sie glaubt nicht mehr daran, dass Japan seine horrenden Schulden tatsächlich abbauen will. Doch Shinzo Abe steht nicht nur für eine widersprüchliche Wirtschaftspolitik. Er ist ein Nationalist, der Japan zu alter Größe führen will. Unter seinen Zuhörern kommt das gut an:
    "Ich habe zwar den Eindruck, dass Abe nach rechts tendiert, aber wenn man an unsere Nachbarländer denkt, ist es doch besser, einen starken und aggressiven Premier zu haben, damit Japan nicht verachtet oder gering geschätzt wird", sagt diese ältere Dame. Und der junge Mann neben ihr meint:
    "Es ist natürlich nicht gut, wenn die LDP die Alleinherrschaft anstrebt. Aber dass Herr Abe an der Spitze steht, finde ich gut. Seine Führungsstärke beeindruckt mich."
    Der Rentner freut sich:
    "Viele unterstützen ihn, er ist beliebt. So ein Regierungschef ist doch toll!"
    Diese große Zustimmung hat auch damit zu tun, dass die Opposition in Japan schwach und zersplittert ist. Wähler, die Abe nicht überzeugen kann, werden deshalb eher zu Hause bleiben. So gehen die jüngsten Prognosen davon aus, dass Abes LDP ihre Dominanz im Parlament zwar ausbauen kann, die Wahlbeteiligung aber unter die 50-Prozent-Marke stürzt. Dieser Passant hat sich vorgenommen, auf jeden Fall zur Wahl zu gehen:
    "Die jetzigen Umstände sind wirklich dramatisch. Die LDP führt ihren Wahlkampf mit dem Werbespruch 'Es gibt nur diesen Weg'. Aber wenn Japan den Weg, den die LDP meint, fortsetzt, landen wir dort, wo wir nach dem Zweiten Weltkrieg standen."