Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Japan und die EU-Atompolitik

Die Europäische Atomgemeinschaft, kurz EUROTOM, entstand 1957 und formuliert bis heute Standards für die Nutzung von Kernenergie. Mit Blick auf die Krise in Japan stellt sich aktuell die Frage, welche Kompetenzen die Organisation in Bezug auf die europäische Atompolitik wirklich hat.

Von Philipp Schnee | 15.03.2011
    Abschalten? Nicht ausgeschlossen!, sagt Günther Oettinger – der EU-Energiekommissar – der bisher eher als Förderer der Atomindustrie bekannt war:

    "Wenn wir jetzt die für uns undenkbar gehaltenen Bilder in Japan betrachten, sollte man nichts ausschließen, sondern ohne jede Vorbewertung an die Überprüfung der Sicherheits- und Baustandards aller Kernkraftwerke, der neuen, aber auch der älteren natürlich, gehen."

    Sind die Sicherheitsstandards in den 14 EU-Ländern, die Nukleartechnik nutzen, ausreichend? Beim Treffen Günther Oettingers mit den Vertretern der nationalen Atomaufsichtsbehörden und den Energieministern sowie den Betreibern und Herstellern von Atomkraftwerken heute in Brüssel wird es vor allem um diese Frage gehen. Der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments Jo Leinen, SPD, und der österreichische Umweltminister Nikolaus Berlakovich haben bereits Stresstests für Atomkraftwerke, ähnlich den Belastungstest für Banken, gefordert. Diese, so Berlakovich, müssten klarstellen

    "ob die erdbebensicher sind, wie das Containment sich darstellt, wie die Kühlsysteme funktionieren, wie die Sicherheit insgesamt gegeben ist. Das erwartet sich nicht nur die Bevölkerung in Österreich sondern auch in Europa."

    Eine wichtige Frage, die ebenfalls Thema sein soll: Wie zuverlässig arbeiten die Sicherheitssysteme in den europäischen Kernkraftwerken beim gleichzeitigen Ausfall mehrerer Kraftwerke auf einmal. Denn genau dies sei ein Problem in Japan gewesen, sagte ein Experte der europäischen Kommission gestern. Zum Sicherheitsproblem in der EU könnten dabei auch die Lücken und Engpässe im länderübergreifenden Stromnetz werden, hieß es in Brüssel. Dagegen werde die Erdbebensicherheit von Lagerstätten und Aufbereitungsanlagen für Atommüll morgen nicht diskutiert; ebenso wenig wie eine weitere Forderung des österreichischen Umweltministers:

    "Jetzt ist der Zeitpunkt da, um international und auch auf europäischer Ebene umzudenken: Raus aus Atom!"

    Die Grundsatzfrage, Ausstieg aus der Atomkraft oder nicht, muss jedes Land in der EU für sich beantworten. Die Europäische Kommission hat hier keine Kompetenzen. Auch die Vergabe der Betriebserlaubnis an Reaktor-Betreiber und die daran gekoppelten Sicherheitsbestimmungen liegt allein bei den Mitgliedsländern. Diese sind völlig unterschiedlich in den EU-Staaten:
    Manche erlaube in ihren Lizenzen Laufzeiten von 30 bis 40 Jahren, andere vergeben Lizenzen für nur zehn Jahre.

    Die Europäische Union hat allein koordinierende Aufgaben. Sie gibt etwa Minimalstandards vor: So braucht jedes Land nach einer EU-Richtlinien von 2009 eine unabhängige Kontrollbehörde. Und: Wird ein neues Kraftwerk geplant, muss das der EU-Kommission gemeldet werden. Diese gibt dann eine Stellungnahme zu den Plänen ab, die jedoch den Kraftwerksbetreiber oder den Mitgliedsstaat zu nichts verpflichtet. Aber: Befindet die EU negativ über einen Neubau oder Neuinvestionen in bestehende Kraftwerke, hat das Auswirkungen auf die Finanzierung: Es gibt dann kein Geld von der Europäischen Investitionsbank oder der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM.

    Insgesamt erlebt dieEuropäische Union in den letzten Jahren eine Renaissance der Atomenergie: In Frankreich, Finnland und der Slowakei wird an neuen Kraftwerken gebaut. In vielen anderen Ländern, darunter Großbritannien, Schweden, Polen, Slowenien, Rumänien und Bulgarien, sind neue Meiler in Planung. Und - nach über zwanzig Jahren ohne Atomkraftwerke – hat Italien 2008 den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen.