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Japans Modernisierung der politischen Ordnung

Am 22. Dezember 1885 trat das erste Regierungskabinett Japans nach europäischem Vorbild zusammen. Ein Meilenstein auf dem Weg eines politischen Prozesses, an dessen Ende die Verkündung einer Verfassung im Jahre 1889 steht.

Von Barbara Geschwinde | 22.12.2010
    "Auch ich besaß dereinst ein Anwesen am Sitz unseres erhabenen Shogun, wo ich lange Jahre verbrachte. Nach dem Untergang des Shogunats begab ich mich in die Provinz und bin seither kein einziges Mal mehr in Edo gewesen. Was sich in diesen Jahren alles verändert hat!"

    In seinem Roman "Ich der Kater" schildert der Schriftsteller Natsume Soseki das Ende des Shogunats, der Militärherrschaft in Japan. Über zwei Jahrhunderte lang hatten die Militärherrscher Kontakte zum Ausland verboten und das Inselreich völlig isoliert. Doch 1853 erzwangen die USA die Öffnung des Landes für den Handel mit westlichen Staaten und drängten auf Reformen. Der Militärherrscher, der Shogun, musste die Macht an den Kaiser zurückgeben und der gesamte Kriegeradel verlor seine Privilegien. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt und westliche Strömungen in der Literatur und Philosophie veränderten den Alltag der Menschen. Den gesellschaftlichen Wandel beschreibt der Historiker Jan Schmidt:

    "Der hat zunächst mal damit zu tun, dass das alte Ständesystem abgeschafft wurde, es entstand der normale Bürger. Und es wurde eben, vielfach wird es als Feudalstaat beschrieben, ein Lehenssystem, was aus relativ intern unabhängigen Lehen bestanden hat, wurde zu einem modernen nationalstaatlichen zentralen System mit Präfekturen, mit Bezirken, mit Gemeinden, die im übrigen sehr stark am preußischen Vorbild dann orientiert waren."

    Die Voraussetzungen für eine Modernisierung der politischen Ordnung waren gut. Die Alphabetisierungsrate war hoch, der Wille zur Veränderung vorhanden. Die Eliten reisten in verschiedenen Missionen in den Westen, um dort Politik, Staats- und Gesellschaftsformen, Technologie und Wirtschaft zu erkunden. Jan Schmidt:

    "Jetzt brauchte man ja eine neue Regierungsform. Man hat sich jetzt überlegt, was macht man? Es musste stark sein, es musste tendenziell zentralistisch sein, um auch dem Westen entgegenzuarbeiten, man hatte, berechtigt muss man wohl sagen, Angst zur Kolonie zu werden."

    Die Versuche europäischer Mächte, in Asien politisch Einfluss zu nehmen, wurden in Japan als bedrohlich empfunden. Japan wollte darum außenpolitisch stark auftreten. Die Reformer suchten nach dem besten System für ihr Land. Einer der maßgeblichen Autoren des Entwurfs für eine neue Verfassung wurde der deutsche Staatsrechtler Hermann Rösler, der als Ratgeber des japanischen Außenministeriums in Tokyo arbeitete. Auch der Berliner Richter Albert Mosse war beratend tätig. Ein Kabinett wurde organisiert, das aus Ministerien für Auswärtige und Innere Angelegenheiten, Finanzen, Armee, Marine, Justiz, Erziehung, Landwirtschaft, Handel und Kommunikation bestand. Mit der Ernennung von Ito Hirobumi zum ersten Premierminister Japans am 22. Dezember 1885 wurde das neue System etabliert. Jan Schmidt:

    "Derjenige, den man am ehesten in den Mittelpunkt dieser Einführung des Kabinettsystems stellen muss, ist ein Mann namens Ito Hirobumi, manchmal als 'japanischer Bismarck' tituliert und Ito Hirobumi war sehr weit gereist zu dem Zeitpunkt schon in den Westen und war auch für die Abfassung der Verfassung immer in Kontakt mit preußischen Gelehrten, war in Deutschland mehrfach gewesen. Um die Regierung auch zu verschlanken und Entscheidungsprozesse einfacher zu gestalten, hat man dieses Kabinett eingeführt."

    Eine Verfassung wurde drei Jahre später, am 11. Februar 1889 verkündet. Das Kaiserreich war nun eine konstitutionelle Monarchie. Im vierten Artikel der Verfassung hieß es:

    "Der Tenno ist das Staatsoberhaupt, dem alle Herrschergewalt zusteht."

    In der ersten modernen japanischen Verfassung wurde festgelegt, dass das Kabinett die Exekutive und der Reichstag die legislative Gewalt ausübte. Den Gerichten oblag die Rechtspflege. Doch die drei Organe waren nicht souverän, sondern unterstützten den Tenno lediglich bei der Regierung. Tatsächlich lag aber die Macht in den Händen der politischen Eliten; der als göttlich-heilig geltende Kaiser war nur ein Symbol im Hintergrund. Japan war das erste asiatische Land, das nach europäischem Vorbild ein Kabinett einführte. Innerhalb von fünfzig Jahren hatte die abgeschottete Inselgruppe den Anschluss an die Moderne gefunden. Eine Entwicklung, die auch kritisch gesehen wurde, wie Natsume Soseki schreibt:

    "Wir haben uns die Freiheit gewünscht, wir haben die Freiheit bekommen. Das Ergebnis der Freiheit sind die Zwänge der Unfreiheit. Die abendländische Zivilisation scheint auf den ersten Blick die eine oder andere positive Seite zu haben, in Wirklichkeit jedoch führt sie ins Verderben."