Dienstag, 19. März 2024

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Jean Rondeau und Thomas Dunford: "Barricades"
Neues vom Versailler Königshof

Die Komponisten auf dieser Neuerscheinung haben am französischen Hof für ein Publikum komponiert, das die Sensation liebte und verführt werden wollte. Das gelingt den beiden Interpreten auch heute noch - mit einem Ausflug in die Kindheit.

Am Mikrofon: Franziska von Busse | 01.06.2020
    Eine Musik, über die der französische Cembalist Jean Rondeau sagt, er ist sehr froh, dass er sie schon als Kind gekannt hat. Denn wenn er sie heute spielt, dann fühlt er sich immer ein bisschen in seine Kindheit zurückversetzt – in eine Zeit, bevor man anfängt, alles zu hinterfragen. Um gemeinsames Spielen geht es auch auf dieser CD, um Fragen ohne Antworten, um gegenseitiges Zuhören und – ganz entscheidend: Um die Wiederholung. Auch so etwas, das Kinder viel besser vertragen können als Erwachsene.
    Hürden zum Drüberspringen
    François Couperins "Les Barricades mystérieuses" ist der "Titeltrack" zum Album "Barricades" mit dem Cembalisten Jean Rondeau, dem Lautenisten Thomas Dunford und Gästen. Was dieser Titel genau bedeuten soll, und was er mit der Musik im Stück zu tun hat, darüber ist viel gerätselt worden. Auch, weil Couperin bekannt ist für seine bildhaften Titel und für seine manchmal lautmalerische Musik. Kurz gesagt: Wir wissen heute nicht, was das für Barrieren sein sollen. Man kann sich den Notentext wie ein Bild vorstellen, auf dem die ständig wiederholten Figuren in der rechten Hand ein bisschen aussehen, wie eine Reihe von Hürden zum Drüberspringen. Diese gebrochenen Akkorde – die erinnern an barocke französische Lautenmusik, und deshalb klingt es schlüssig, daraus ein Duo für Cembalo und Laute zu machen.
    Vertrautes Duo
    Cembalist Jean Rondeau und Lautenist Thomas Dunford, beide um die dreißig, sind schon mehrfach gemeinsam aufgetreten. Beide improvisieren gerne, bewegen sich musikalisch in möglichst viele Richtungen: spielen etwa mit Jazzmusikern zusammen oder als Trio "Jasmin Toccata" mit dem iranisch-stämmigen Perkussionisten Keyvan Chemirani. Wie vertraut und gleichzeitig frei Rondeau und Dunford im Dialog miteinander umgehen, das zeigt sich in der Chaconne von Robert de Visée – Sänger und Komponist am Hof Ludwigs des XIV.
    Barocke Formen weiterentwickelt
    Die Chaconne – das ist eine barocke Form, in der ein immer wiederdurchlaufendes, gleichbleibendes Bassthema für Kontinuität sorgt, während sich in den anderen Stimmen die musikalischen Gedanken entwickeln und fortspinnen, so wie hier beim französischen Komponisten Robert de Visée. Aus Wiederholungen Musik machen: Das ist eine der Grundideen für das gemeinsame Barockalbum "Barricades" des Cembalisten Jean Rondeau und des Lautenisten Thomas Dunford. Sie feiern die Wiederholung als Ritual und Beschwörung, aber auch als Weiterentwicklung, Intensivierung und: Neubetrachtung. "Schließlich begreift man ja erst beim 12. Glockenschlag, dass es Mitternacht ist", meint Jean Rondeau dazu. Soll heißen: Jede Wiederholung verändert rückblickend auch ein bisschen das, was schon war. Mit jeder Wiederholung wissen wir etwas besser, wo wir eigentlich stehen.
    Gedankenvoller Dialog als fröhlicher Tanz
    Noch ein Satz aus der Suite von Robert de Visée: Die Gavotte, die den gedankenvollen Dialog von Laute und Cambalo mal eben in einen fröhlichen Tanz verwandelt. Ein Besonderer Reiz daran ist der Zusammenklang der beiden Instrumente, mit dem Jean Rondeau und Thomas Dunford ganz bewusst und sehr gekonnt spielen: Hier das etwas eckigere, schärfer akzentuierte Cembalo, da der insgesamt weichere, rundere Klang der Laute – einer Erzlaute allerdings, mit sehr zupackendem Bass-Register. Dieses Spannungsverhältnis, dieses Miteinander prägt den Sound des gesamten Programms, erweitert an einigen Stellen durch den Auftritt mehrerer Gäste: Die Gambistin Myriam Rignol ist dabei, außerdem die Mezzosopranistin Lea Desandre und der Tenor Marc Maullion.
    Gerne mehr von den Gästen gehört
    Marc Maullion, der mal als Bariton, mal als Tenor gehandelt wird, singt in Frankreich viel Barockoper, gibt aber auch Liederabende und hat vor kurzem ein Fauré-Album veröffentlicht. Ähnlich vielseitig ist die andere Gast-Stimme: Die Mezzo-Sopranistin Lea Desandre. Vor allem von ihr, aber auch von Marc Mauillon hätte ich gerne mehr gehört auf der CD; beide setzen im Grunde nur leichte Farbtupfer. Diese ergänzen sich aber gerade im direkten Vergleich sehr schön. Als Antwort auf das Lamento, auf Tod und Tränen bei Michel Lambert singt Lea Desandre einen leichtfüßigen Satz von Marc-Antoine Charpentier: "Sans frayeur dans ce bois" – "Im Wald ohne Furcht". Ein keckes Liedchen darüber, dass ein junges Herz nichts wirklich fürchtet, auch wenn das manchmal vielleicht besser wäre… Und nachdem Marc Mauillon seine Stimme schmerzlich hat beben lassen, flirrt die von Lea Desandre vor Abenteuerlust.
    Geheimnisvolles Abenteuer
    "Abenteuer" – ein Wort von zentraler Bedeutung im Begleit-Text zur CD, den Cembalist Jean Rondeau und Lautenist Thomas Dunford gemeinsam geschrieben haben. Aber gemeint ist in diesem Fall kein wildes Abenteuer, in das sie sich hineinstürzen würden; eher eins von der geheimnisvollen Art, das ganz behutsam angegangen sein will. Wo führt diese Musik mich hin? Dieser Frage können wir förmlich hinterher-lauschen, im berühmten "Les Voix Humaines" aus dem zweiten Buch der Gambenstücke von Marin Marais, das Thomas Dunford als Solostück für Laute interpretiert.
    Freie Phrasierung, natürlicher Atem
    Der Lautenist Thomas Dunford. Wenn er spielt, dann klingt die Musik wie aus dem Augenblick geboren. Für diese Freiheit der Phrasierung, für diesen ganz natürlichen Atem bewundern ihn Fans und auch Kolleginnen und Kollegen; holen ihn gerne zu ganz unterschiedlichen Projekten dazu, kammermusikalisch oder auch im großen Ensemble. Er selbst hat 2018 das Ensemble Jupiter gegründet, das groß genug ist, um auch mal eine barocke Oper konzertant aufzuführen, und zu dem auch Jean Rondeau, Lea Desandre, Marc Mauillon und Myriam Rignol gehören. Das Album "Barricades" haben sie gemeinsam in der Chapelle Corneille aufgenommen, einer barocken Konzertkirche in Rouen in der Normandie. Die Akustik dort passt gut zur "auratischen" Atmoshäre des Programms, obwohl ein bisschen weniger Hall vielleicht auch ausgereicht hätte. Ich mag das Album, weil es nachdenklich ist und gleichzeitig spielerisch und die Musik von immerhin acht französischen Barock-Komponisten wie zu einer Fantasie verschmelzen lässt. Erschienen ist es beim Label Erato.