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Jeanne d'Arc
Als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt

Jeanne d'Arc, Johanna oder die Jungfrau von Orléans, (1412 - 1431) gehört zu den bedeutendsten Personen des ausgehenden Mittelalters. Sie mischte sich als religiös motivierte Heerführerin in den Krieg zwischen England und Frankreich ein, geriet aber dann zwischen die Räder der Machtpolitik. Warum und wie ihr der Ketzer-Prozess gemacht wurde, erläutert Helmut Feld, Professor für Historische Theologie und Religionsgeschichte.

Helmut Feld im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 19.08.2015
    Statue der Jungfrau von Orleans in Vaucouleurs/Frankreich
    Statue der Jungfrau von Orleans in Vaucouleurs/Frankreich (dpa / picture alliance / Alexandre Marchi)
    Rüdiger Achenbach: Herr Feld, Karl von Valois ließ für das von den Engländern besetzte Orleans für Johanna eine eigene Rüstung schmieden. Hat er ihr auch ein militärisches Kommando übertragen?
    Helmut Feld: Ja, ganz zweifellos. Das zeigt sich schon daran, dass sie eine Fahne bekam, also einen Kriegswimpel, den sie sehr kunstvoll sticken ließ.
    Achenbach: Sie hat eine eigene Kriegsstandarte sozusagen.
    Feld: Sie hat eine eigene Kriegsstandarte bekommen, auf der der Weltrichter, Christus als Weltrichter dargestellt war, der einen Engel, einen vor ihm stehenden Engel segnet. Also eine sehr rätselhafte Darstellung.
    Achenbach: Engel, wenn wir uns auf das beziehen, was wir vorher schon gesagt hatten, könnte ja sein, dass sie sich selbst damit gemeint hat.
    Feld: So haben es die Richter später in Rouen interpretiert und sahen die Darstellung auf der Kriegsstandarte als Gotteslästerung an.
    Achenbach: Nach der Befreiung Orleans wurde dann am 17. Juli 1429 Karl der VII. von Frankreich tatsächlich in Reims gekrönt. War damit die Mission Johannas nicht eigentlich erfüllt?
    Feld: Ja, das war zweifellos der Hauptteil ihrer Mission, den König zu legalisieren, eben durch Weihe und Krönung in Reims. Sie wurde dann durch die königlichen Ratgeber ganz beiseite gedrängt, also man war nicht mehr an einer Fortführung des Krieges interessiert. Bis sie sich dann entschloss einen Kleinkrieg auf eigene Faust zu unternehmen. Der Anlass war, in den Waffenstillstandsverhandlungen war ausgehandelt worden, dass verschiedene Städte, die bereits von Johanna erobert worden waren, den Burgundern wieder zurückgegeben werden sollten – darunter war Compiegne.
    Achenbach: Sie haben es gerade angedeutet, sie hat sich sozusagen eine eigene Söldnertruppe zusammengestellt. Sie hat diese Soldaten aus dem Ausland engagiert, woher hatte sie das Geld?
    Feld: Vermutlich während der Kriege, der kriegerischen Auseinandersetzungen, die sie geführt hat, wohl durch den Loskauf von Gefangenen.
    Achenbach: Johanna wurde in der Nähe von Compiegne gefangen genommen. Sie geriet also in die Gefangenschaft der Burgunder. War dabei Verrat im Spiel?
    Feld: Es gibt Leute die das annehmen. Denn, als sie sich in die Stadt zurückziehen wollte, wurde plötzlich das Tor, das äußere Tor der Befestigung geschlossen, so dass sie nicht mehr rechtzeitig in die Stadt hinein kam. Sie wurde dann umringt von Soldaten, die sie an ihrem prächtigen rot-goldenen Überwurf erkannten, den sie über ihrer Rüstung trug, und wurde vom Pferd heruntergezogen und von den Truppen des Grafen von Luxemburg gefangen genommen. Man weiß nicht genau, wo die Übergabe stattfand und wie die Verhandlungen im Einzelnen gelaufen sind. Jedenfalls war sie dann 1430 in Rouen und wurde dort, in der königlichen Burg, wo auch der englische Kindkönig Heinrich der VI. seinen Wohnsitz hatte, dort wurde sie gefangengesetzt und dort fand auch der Prozess dann statt.
    Achenbach: Das heißt, sie wurde verkauft, um dann in Rouen vor ein kirchliches Tribunal gestellt zu werden.
    Feld: Die Engländer legten darauf eben besonderen Wert, denn sie war gefürchtet. Man nahm an, sie hat übernatürliche Kräfte – übrigens auch die Franzosen nahmen das an. Sie hatte Angst und Schrecken verbreitet. Manche Forts, die die Franzosen erobern wollten, waren leer. Da waren die Engländer vorher schon abgehauen. Deswegen war eben die englische Regierung, die Berater des kleinen Königs, waren daran interessiert, dass ihr nun ein Hexen- und Ketzerprozess von Seiten der kirchlichen Autorität gemacht wurde. Sonst hätten sie sie ja selber beseitigen oder verschwinden lassen können.
    Achenbach: Wie hat man sich nun die Zusammensetzung dieses Tribunals vorzustellen? Was waren das für Leute, die dort als Richter über sie auftraten?
    Feld: Der oberste Richter ist der Bischof Pierre Cauchon gewesen. Er war ein treuer Gefolgsmann der Engländer und hat sich den Engländern gewissermaßen angedient. Natürlich waren da auch wieder große Summen Geld im Spiel. Er war zweifellos auch von den Engländern gekauft.
    Achenbach: Kann man generell sagen, dass der gesamte Prozess von den Engländern manipuliert war?
    Feld: Das kann man generell so sagen.
    Achenbach: Und wie kann man sich jetzt die Jeanne d’Arc vorstellen, vor diesen Richtern, vor diesen gelehrten Männern? Wie war ihr Verhalten?
    Feld: Also ihr Verhalten erregte immer wieder auch bei den Leuten, die ihr feindlich gesonnen waren, großes Erstaunen. Wie sie den Fragen standhielt, wie sie bei Sachen, wo sie sich nicht kompetent fühlte auswich, wie schlagfertig sie war, auch humorvoll. Selbst als sie mit ihren körperlichen, mit ihren physischen Kräften am Ende war, hat sie immer noch ihren Humor bewahrt.
    Achenbach: Was waren die Hauptanklagepunkte?
    Feld: Das kommt immer wieder ganz scharf, das wird ihr vorgehalten bis zum Schluss. Du hältst ja hier dein Wissen für Offenbarungen. Das stellt du ja neben die Lehre der Kirche, neben die Gelehrsamkeit auch der Universitäts-Professoren von Paris – der Universität von Paris, die ja die Leuchte der Wahrheit in der Christenheit ist. Und daraus folgt dann eben auch der Vorwurf der Hexerei - dass sie also mit den Dämonen Umgang habe und also eine Hexe sei. Und das ist auch ganz wichtig gewesen für die Kriegspropaganda der Engländer. Man konnte dann sagen, die Franzosen sind auf eine Hexe hereingefallen. Die Hexe muss durch die kirchliche Autorität in aller Öffentlichkeit erledigt werden. Und damit wäre dann auch das politische Propagandaziel der Engländer erreicht gewesen.
    Achenbach: Nachdem Johanna lange Zeit standhaft gewesen ist, kommt es dann plötzlich zu einem überraschenden Widerruf, in dem sie gesteht, gelogen zu haben. Was war geschehen? Gibt es Hinweise auf eine Folter?
    Feld: Die Folter war im Gespräch. Es wurde erörtert, ob man sie im Endstadium gefügig machen sollte durch die Folter. Das wurde aber abgelehnt. Sie ist zweifellos, obwohl die Bedingungen ihrer Gefangenschaft sehr hart und zum Teil auch entwürdigend waren. Es kam ja öfters zu Vergewaltigungsversuchen und zu solchen Dingen. Aber gefoltert worden ist sie nicht. Man hat sie aber, wenn man so will, einer psychischen Folter unterzogen. Sie wurde auf den Kirchhof von St. Ouen zur Hinrichtung geführt und im Angesicht des Scheiterhaufens und der versammelten Massen, die wohl auf ihren sensationellen Tod warteten, ist sie einfach zusammengebrochen. Sie hat dann ein Dokument unterschrieben. Man hat ihr schnell ein vorbereitetes Dokument untergeschoben, in dem sie eben einen Widerruf leistete, also sich praktisch dem Gericht unterworfen hat.
    Achenbach: Und sie wird ja dann aufgrund ihres Geständnisses zu einer lebenslangen Kerkerhaft verurteilt. Doch schon wenige Tage später nimmt sie ihr Geständnis wieder zurück und zieht auch wieder Männerkleider an. Wie war es denn überhaupt möglich, dass sie im Kerker plötzlich wieder an Männerkleider herangekommen ist?
    Feld: Man nimmt an, die sind ihr wohl unterschoben worden. Die Engländer waren ja nicht zufrieden mit dem Ergebnis des Prozesses. Sie hatten ja von Anfang ein Todesurteil angestrebt.
    Achenbach: Man hat ihr also dann, kann man sagen, eine Falle gestellt. Und das führte dazu, dass man sagen konnte, dies ist ein Rückfall, der genügt, um sie nun endgültig dem Henker zu übergeben. 1431 wird sie dann auf dem Markt von Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Warum hat sich eigentlich Karl VII. nie für sie eingesetzt? Für den sie ja nun Enormes geleistet hatte.
    Feld: Später hatten ja Geschichtsschreiber Karl VII. behauptet, er habe sich für sie eingesetzt. Aber man muss bedenken, man hätte sie ja freikaufen können, aus ihrem eigenen Vermögen übrigens, sie war sehr reich. Oder sie hatte ja in einer Schlacht den englischen Oberbefehlshaber Talbot gefangen genommen, der befand sich in französischer Gefangenschaft. Man hätte ihn austauschen können gegen sie.
    Achenbach: All das ist nicht geschehen.
    Feld: Nun wird das in den Abgründen der Persönlichkeit dieses Königs, der ja psychisch nicht gesund war, zu suchen sein.
    Achenbach: Außerdem war sie ihm wahrscheinlich inzwischen auch unbequem geworden mit ihrer Haltung. Denn das, was er wollte, hatte er im Grunde genommen erreicht. Jetzt war sie unbequem für alle Seiten. Erst 25 Jahre nach ihrer Hinrichtung kommt es dann zu einem neuen Prozess, und die Kläger sind die Mutter Johannas und ihre Brüder. Dieser neue Prozess wird auch von Karl dem VII. unterstützt und auch von Papst Calixt III. Was wurde hier verhandelt?
    Feld: Es ging in diesem Prozess darum, wenn man das jetzt mal so abgekürzt sagen will: dem Prozess gegen Jeanne wurde der Prozess gemacht. Also es sollte die Nullität, die Nichtwirksamkeit des Prozesses gegen Jeanne d’Arc erwiesen werden.
    Achenbach: Was sie zwar nicht mehr lebendig machen konnte, aber man erreichte doch immerhin, dass das Urteil rein formalrechtlich für ungültig erklärt wurde. 25 Jahre nach ihrem Tod.
    Feld: Ja, es wurde für ungültig erklärt und damit wurde vor allen Dingen ihre Familie, indirekt auch sie selber rehabilitiert. Es wäre ein Makel gewesen für das königliche Haus, wenn es eine Hexe, diese Einsetzung in seiner angestammten Würde verdankt hätte.