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Jeanne Mammen-Retrospektive
Innere Emigration am Ku'damm

Ihre Berliner Frauenporträts wurden zu Ikonen: Die Malerin Jeanne Mammen beobachtete die vergnügungssüchtige Gesellschaft der wilden Zwanziger Jahre subtil und genau. In der Zeit des Nationalsozialismus flieht sie in einen aggressiven Eklektizismus. Nun ist ihr Werk in einer eindrücklichen Retrospektive zu sehen.

Von Carsten Probst | 07.10.2017
    Ihren Stil hatte Jeanne Mammen früh in ihren Pariser Jahren zu entwickeln begonnen, wo sie im berühmten Tanzlokal "Bal Bullier" Frauenfiguren malte. In Berlin arbeitete sie dann zunächst als Modezeichnerin, bevor sie als Illustratorin für den Simplizissimus und andere Satireblätter und auch für Modemagazine arbeitete und die Gesellschaftsstudie zu ihrer Kunst machte - einer Kunst der subtilen Beobachtung der vergnügungssüchtigen Gesellschaft der zwanziger Jahre.
    Pariser Vorbilder scheinen zuweilen als Inspirationen hindurch, mitunter auch Heinrich Zille oder George Grosz. Feinsinnig-psychologische Studien wie "Die Rothaarige" oder das berühmte Portrait der Tänzerin Valeska Gert, beide von 1928, grüßen noch heute als Ikonen der Wilden Zwanziger von Taschenbucheinbänden und Kalenderblättern. Doch in Berlin fühlte sich Mammen immer als Außenseiterin, wie Kuratorin Annelie Lütgens aus Mammens Tagebüchern zitiert:
    "1916 lebten die Berliner noch ganz und gar unter der Fuchtel Wilhelms II. Sauber gewaschen, frisiert, gebürstet, alles zugeknöpft, frostig, hochanständig. Vor Geld krochen sie, wer keins hatte, war ein Dreck. Nach den langen Pariser Jahren fühlte ich mich dermaßen fremd, dass ich innerlich stöhnte: Nein, hier kann ich nicht leben."
    Tiefe Distanz gegenüber dem Berliner Leben
    In Mammens großartigster Arbeit dieser Zeit, zugleich die vielleicht stärkste dieser Retrospektive, ist diese tiefe innere Distanz gegenüber dem Berliner Leben unmittelbar spürbar: ein Aquarell, das die Künstlerin im Alter von 35 Jahren als Selbstporträt schwarz gekleidet und mit schwarzen kurzen Haaren in einer linkischen, fast schüchternen Haltung zeigt, mit vor dem Körper gefalteten Händen. Die Verletzlichkeit ihrer Pose ergänzt den kritischen Gesichtsausdruck zu einem eindringlichen Inbild für ihr weiteres Leben.
    Denn die Machtergreifung der Nationalsozialisten markiert alsbald einen radikalen Bruch im Werk der populären Zeichnerin. 1933 notiert Jeanne Mammen: "Ende meiner 'realistischen Periode', Übergang zu einer den Gegenstand aufbrechenden aggressiven Malweise als Kontrast zum offiziellen Kunstbetrieb."
    Malerei als Weg des Widerstands
    Durch die Schließung vieler Verlage verliert sie ihre Geschäftsgrundlage. Bewusst beginnt sie nun in künstlerischen Stilen zu malen, die bei den Nazis als "entartet" gelten, mit deutlichen Anleihen vor allem bei der Pariser Avantgarde. Sie entscheidet sich gegen das Exil und wählt die innere Emigration in ihrem kleinen Gartenhaus am Berliner Kurfürstendamm. Annelie Lütgens würdigt Mammens im Geheimen entstandenen Malereien zu Recht als kämpferische Zeugnisse des Widerstandes und des Mutes, in Armut und ständiger Existenzangst zu überdauern.
    "Der aggressive Grundton der Gemälde und Bleistiftportraits aus dieser Zeit ist nicht zu übersehen. Sie bemächtigt sich des Kubismus und findet so einen Weg, künstlerisch auf die Nazis zu antworten und ihren eigenen Weg des Widerstands zu gehen."
    Kenntnisreich kuratierte Retrospektive
    Zugleich aber verblasst in dieser Zeit die unverwechselbare und spontane Eigenheit ihrer künstlerischen Handschrift. Jeanne Mammens Widerstand der dreißiger und vierziger Jahre ist durch und durch eklektizistisch.
    Die von Annelie Lütgens höchst einfühlsam und kenntnisreich kuratierte Retrospektive dokumentiert diesen inneren Bruch mit liebevollem Respekt, aber auch ohne Beschönigungen. An den Wänden der großen Treppenhalle in der Berlinischen Galerie reihen sich Mammens Werke der Nachkriegszeit, in denen sie von einem Stil zum nächsten springt, von Henry Moore zu Paul Klee, zu Matisse und Picasso, von Hans Arp und Wols zu Jackson Pollock, bis sich das Spätwerk dann in einer formelhaften Farb- und Formenesoterik verliert. Sie selbst vergleicht ihr Inneres nach dem Krieg mit der Trümmerlandschaft Berlins.
    Dieses Gefühl, sich durch das Grauen des Krieges jener Welt beraubt zu fühlen, die ihr vertraut war, teilt sie mit vielen bekannten Namen ihrer Generation, etwa mit George Grosz oder Max Pechstein, die wie Mammen in der Zeit danach keinen eigenen künstlerischen Ort mehr finden. Mammens vermeintlicher "Stilpluralismus" der Nachkriegszeit wird in dieser Ausstellung als Verlust beklemmend spürbar.