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"Jeder ist ersetzbar, auch Koch und Wulff"

An der Wiederwahl von Angela Merkel als CDU-Parteivorsitzende zweifelt niemand. Spannender ist da die Frage nach den Stellvertretern. Politikwissenschaftler Gerd Langguth sagt, die Wahl werde zeigen, wer eigentlich der Liebling in der Partei sei.

Gerd Langguth im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.11.2010
    Martin Zagatta: Damit nach Karlsruhe, wo die CDU angesichts der großen Unzufriedenheit mit der Regierung eigentlich einen schwierigen Parteitag haben müsste, wo der Eklat um Wolfgang Schäuble und seinen von ihm abgebürsteten Sprecher den Unmut noch vergrößert haben müsste und wo die Parteivorsitzende Angela Merkel vor einer halben Stunde mit ihrer Rede begonnen hat. In unserem Übertragungswagen sitzt Professor Gerd Langguth, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn und in der Vergangenheit selbst CDU-Politiker, Mitglied im Bundesvorstand der Partei damals. Guten Tag, Herr Langguth.

    Gerd Langguth: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Langguth, der Kollege Heinemann hat es uns gerade geschildert: Frau Merkel hat das Wirgefühl betont, die Unzufriedenheit über die Regierung offenbar nur gestreift. Wie hat denn diese Rede bisher auf Sie gewirkt?

    Langguth: Na ja, es war eine klassische Parteitagsrede. Sie versucht, das Wirgefühl zu entwickeln. Aber sie hat leichte Selbstkritik geübt, und das ist sicherlich notwendig gewesen, weil es gibt, natürlich Unmut gerade der Delegierten aus Nordrhein-Westfalen, und deswegen hat sie auch gesagt, unsere Freunde in Nordrhein-Westfalen haben darunter gelitten. Damit meinte sie auch den schwierigen Regierungsstil gerade der ersten zwölf Monate. Aber jetzt versucht sie, das Wirgefühl zu entwickeln und ein bisschen Optimismus zu vermitteln, und das hat ja bisher bei ihr auch immer ganz gut geklappt. Ich vermute, dass sie ein alles in allem ordentliches Ergebnis bekommen wird.

    Zagatta: Sie haben ja beste Kontakte in der Partei und die gestern Abend, nehme ich an, auch wieder gepflegt. Ist das, was da jetzt öffentlich gesagt wird in Karlsruhe, nur Fassade? Wie denken die Delegierten?

    Langguth: Na ja, es gibt schon bei den Delegierten so was wie einen Unmut. Aber man weiß natürlich auch: Solange jemand die einzige Kandidatin ist, auch für die Parteivorsitzende, wäre ein allzu schlechtes Ergebnis fatal, zum Beispiel für die kommenden Landtagswahlen im kommenden Jahr. Wir haben immerhin im kommenden Jahr sechs Landtagswahlen und eine Reihe von Kommunalwahlen. Das wissen die Delegierten. Andererseits muss man natürlich auch sagen, etwas unsicher dürfte Frau Merkel schon sein, denken Sie an die Bundesversammlung. Dort gab es ja, wenn Sie so wollen, Heckenschützen aus dem Bereich der Delegierten, die sich nicht offenbart haben. So was kann natürlich auch auf diesem Bundesparteitag sein. Insofern muss man mal abwarten, wie wirklich ihr Ergebnis ausschaut, und im Übrigen auch, wie das Ergebnis für die Wahl zu den stellvertretenden Vorsitzenden ausschaut, weil da ein Stück weit schon die Reihenfolge festgelegt wird, wer eigentlich der Liebling der Partei ist von den vier Stellvertretern.

    Zagatta: Nun kandidieren mit Roland Koch und Christian Wulff ja zwei Politiker nicht mehr als Stellvertreter Merkels, die auch als Konkurrenten für sie galten. Wird die CDU jetzt, wie böse Stimmen sagen, eher zu einem Kanzlerwahlverein?

    Langguth: Nein. Natürlich ist die CDU immer ein Kanzlerwahlverein, vor allem solange man an der Regierung ist. Das ist völlig klar. Aber zu meinen, dass etwa eine Frau von der Leyen jetzt nur eine Politik macht, die jetzt ganz im Sinne von Frau Merkel ist? Denken Sie mal daran, dass in dieser wichtigen Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID) Frau von der Leyen einen eigenen Kurs macht, auch die Ministerin Schröder. Das zeigt natürlich auch, dass es eine gewisse Haltung auch bei Frau von der Leyen gibt, mal zu zeigen, ich bin hier selbstständig. Und Norbert Röttgen als künftiger stellvertretender Vorsitzender, ich will das mal etwas salopp funktionieren, der will selber Kanzler werden. Wenn er das jetzt erklären würde, wäre er töricht selbstverständlich, aber das sind natürlich auch eigene Interessen, die die stellvertretenden Vorsitzenden haben. Im Übrigen: Jeder ist ersetzbar, auch Koch und Wulff.

    Zagatta: Und theoretisch auch Wolfgang Schäuble. Was hören Sie da von den Delegierten?

    Langguth: Da muss man sehen. Natürlich sagen die Delegierten, das war ein unmögliches Verhalten gegenüber einem Mitarbeiter. Auch aus Gründen des Anstandes stellt man einen Mitarbeiter nicht öffentlich so bloß, wie das Schäuble getan hat. Andererseits wissen natürlich die Delegierten um die Lebensleistung, auch um das persönliche Schicksal von Schäuble, sodass ich eher davon ausgehe, weil die meisten sagen, irgendwann wird er sowieso das Amt aufgeben, aber er muss selber den Zeitpunkt bestimmen, es ist schwierig, ihn quasi aus dem Amt zu entlassen. Insofern ist es sogar möglich, dass heute noch einmal die Delegierten ihm gegenüber einen großen solidarischen Akt vollziehen.

    Zagatta: Herr Langguth, sehen Sie es als Problem, dass die CDU jetzt wahrscheinlich ja auch etwas an Profil verliert, zumindest künftig vielleicht auch weniger konservativ aufgestellt ist, mit dem Abgang auch von Koch vor allem? Ist das ein Problem, oder tut das der CDU vielleicht gut?

    Langguth: Also es ist schon ein Problem, weil die CDU natürlich immer stark war, weil sie viele Flügelleute hatte, und der Verlust von Flügelleuten ist natürlich ein Problem. Allein die Tatsache, dass Friedrich Merz gegangen ist, ist für die Union ein Problem, und natürlich auch, dass Koch geht und auch andere natürlich. Andererseits ist es so: Wenn die CDU sich als eine rein konservative Partei darstellen würde, dann wäre sie überhaupt nicht mehrheitsfähig, denn man darf ja nicht vergessen, es sind ja auch die christlich-sozialen und die liberalen Wurzeln, die diese Partei als eine Art Sammelpartei für alles Bürgerliche rechts von der SPD ausmachen. Insofern, denke ich, im Übrigen müssen auch diejenigen, die immer wieder sagen, es müsste mehr Konservatismus in die CDU, mal definieren, was sie eigentlich unter konservativ verstehen, denn der Konservatismus, den diese Leute haben, ist meistens ein theoriearmer Konservatismus. Da wird irgendwas gefordert, und sei es, wir müssen mehr konservativ sein. Das alleine macht aber noch keine konservative Politik aus.

    Zagatta: Professor Gerd Langguth, Politikwissenschaftler an der Universität in Bonn und im Moment in unserem Ü-Wagen in Karlsruhe. Herr Langguth, herzlichen Dank für das Gespräch.