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"Jeder kann rechnen"

Erst den Haushalt konsolidieren, dann Steuern senken: Auf diese Reihenfolge hat sich laut Wolfgang Böhmer, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, die Union geeinigt - und weist Behauptungen zurück, dass Ministerpräsidenten der Union der Kanzlerin in den Rücken gefallen wären.

Wolfgang Böhmer im Gespräch mit Elke Durak | 18.05.2009
    Elke Durak: Die Steuersenkungsdebatte in der Union soll beendet sein - zwischen CDU und CSU-, heißt es heute Morgen. Im Wahlprogramm der Union werde kein fester Termin für eine Steuersenkung genannt, dieselbe aber auch nicht ganz ausgeschlossen. Horst Seehofer im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks gestern:

    Horst Seehofer: "Deshalb muss die Strategie der Politik sein, die Menschen - und das sind die Leistungsträger -, von Krankenschwestern, Polizeibeamten, öffentlicher Dienst und Mittelstand und Handwerk, ja von Zeit zu Zeit zu entlasten. Das ist schon deshalb notwendig, weil wir ein eigenartiges deutsches Einkommenssteuersystem haben, und deshalb muss der Kompass lauten: mehr Netto vom Brutto. Sonst werden die Menschen immer weniger verfügbares Einkommen haben."

    Durak: Auf das Wachstum werde es ankommen, darauf habe man sich geeinigt. Am Telefon ist der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, CDU. Guten Morgen, Herr Böhmer.

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Sind Sie damit jetzt zufrieden?

    Böhmer: Ja. Wir haben ja bisher auch nichts anderes gesagt. Dass im Grunde genommen eine Steuerreform notwendig ist, dass bestimmte Sachen geregelt werden müssen, die jetzt schon einen ungewollten Belastungseffekt bedeuten - mit der sogenannten kalten Progression, und dass wir dies machen müssen, ist unstrittig. Die Frage war nur, in welcher Reihenfolge, und wenn wir uns jetzt darauf geeinigt haben, was ja nicht neu ist, dass wir sagen, wir müssen zunächst die Wirtschaft in Gang bringen - dazu gehört auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung, und sobald wir es uns leisten können, müssen wir mit der Steuerreform beginnen. Da sind wir uns völlig einig.

    Durak: "Sobald wir es uns leisten können", das sind vage Versprechen, mit denen die Bürger dann ihr Kreuzchen in der Wahlurne machen sollen. Was ist da mit der Glaubwürdigkeit, Herr Böhmer?

    Böhmer: Es wäre noch viel schlimmer, wenn wir jetzt einen Termin festlegen würden, den wir alle nicht garantieren können, weil niemand weiß, wie lange es dauern wird, bis die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Insofern ist das redlich zu sagen, wir haben eine bestimmte Reihenfolge, wir müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen und dann wollen wir dies und jenes tun. Das halte ich für glaubwürdiger, als wenn wir Termine nennen, die niemand begründen könnte.

    Durak: Es ist doch aber im Prinzip selbstverständlich, denke ich mal, dass eine Regierungspartei den Bürgern Steuersenkungen gibt, wenn das möglich ist. Weshalb dann jetzt dieses Versprechen?

    Böhmer: Weil es darum ging: Wir haben uns doch im Grunde genommen in der Öffentlichkeit mit unscharfen Formulierungen einen gewissen Streit geleistet, der ja auch dazu geführt hat, dass Sie das in die Sendung aufgenommen haben, weil unterschiedliche Formulierungen gewählt worden sind. Die einen wollten das am liebsten morgen machen, die anderen haben gesagt, gemach, gemach, wir müssen erst wieder Haushalte in Ordnung bringen. Insofern haben wir uns jetzt auf eine Reihenfolge und auf Konditionen festgelegt und die jetzt schon zu terminieren, wäre meiner Ansicht nach leichtfertig.

    Durak: Ich habe auch an Sie gedacht, Herr Böhmer, für dieses Interview, weil ich gelesen hatte, dass es in der vergangenen Woche zum Teil ja sehr hoch hergegangen sein soll: Wortgefechte zwischen der Bundeskanzlerin und einigen Ministerpräsidenten. Sie hätte über in den Rücken fallen geklagt und vor jungen Bundestagsabgeordneten der Union hätte sie es als brandgefährlich bezeichnet, sollte das Steuerthema weiter durch Wortmeldungen von Ministerpräsidenten hochstilisiert werden. Sind Sie denn der Bundeskanzlerin in den Rücken gefallen, oder ist sie umgefallen?

    Böhmer: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir ihr in den Rücken gefallen wären. Es hat natürlich sehr sachliche Diskussionen gegeben. Die haben sich bei weitem nicht so theatralisch abgespielt, wie das in einer Zeitung beschrieben wurde, die Sie jetzt offensichtlich zitiert haben, aber das gehört nun einfach auch mit zu einer Mediendemokratie.

    Durak: Wie haben Sie denn, Herr Böhmer, Sie und Ihre Kollegen, Frau Merkel überzeugt, dass es nicht schnelle Steuersenkungen geben wird, aber vielleicht in der Legislaturperiode, wenn es das Wachstum erlaubt?

    Böhmer: Wir mussten uns nicht gegenseitig überzeugen, denn jeder kann rechnen. Wir haben nur gesagt, wir können nicht mit unscharfen Formulierungen gegeneinander ausgespielt werden, und deswegen ist es vernünftig, dass wir uns auf gemeinsame Formulierungen einigen.

    Durak: Also hat ja Frau Merkel doch Recht, wenn sie sagt, man soll nicht öffentlich darüber diskutieren?

    Böhmer: Wenigstens nicht mit unscharfen Formulierungen.

    Durak: Herr Böhmer, die FDP hatte ihr Wochenende, wurde in den Medien auch hinreichend beachtet. Die FDP strotzt vor Selbstbewusstsein und hat ein Versprechen abgegeben, man werde nur einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, der ein einfaches und niedrigeres Steuersystem beinhalte. Kommt Ihnen da ein Koalitionspartner abhanden, bevor es überhaupt zum Schwure kommt?

    Böhmer: Nein, das glaube ich nicht. Die FDP macht das, was alle Parteien machen müssen: Sie schreibt in ihr Wahlprogramm hinein, was sie tun würde, wenn sie selbst regieren könnte. Aber ich glaube, die FDP lebt nicht in der Sorge, dass sie allein regieren muss, und weiß, dass sie einen Koalitionspartner braucht. Das sind dann, sagen wir, Formulierungen des Koalitionsvertrages, zu sagen, wir wollen alle eine Steuerreform, aber wir müssen uns auch darauf einigen, dass das in einer bestimmten Reihenfolge gemacht werden muss, damit es zumutbar ist. Ich denke, darauf kann man sich dann einigen.

    Durak: Herr Böhmer, der Bundestagsfraktionschef Ihrer Partei, Kauder, hat sich am Wochenende dafür ausgesprochen, die Steuern unabhängig von der Haushaltslage in der nächsten Wahlperiode zu senken. Ist das richtig?

    Böhmer: Herr Kauder hat gesagt, wenn wir darauf warten würden, bis Geld übrig ist, dann gäbe es nie eine Steuersenkung. Das ist auch wahr. Aber es hat dann keinen Zweck, sagen wir nur eigenen Wünschen und Wunschträumen zu folgen. Wir haben schon mehrere Steuergesetzgebungen hinter uns, die zu Steuermindereinnahmen geführt haben. Das muss alles ein bisschen kalkulierbar sein, wenn Politik verantwortlich handeln will.

    Durak: Darf man Steuern unabhängig von der Haushaltslage senken?

    Böhmer: Ich bin der Meinung nicht. Man muss rechnen und wissen, was man macht, und muss auch wissen, bevor man es beschließt, wozu es führen wird und danach muss dann entschieden werden.

    Durak: Danke schön! - Wolfgang Böhmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der Steuerstreit in der CDU und CSU scheint beendet. Danke schön, Herr Böhmer.