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Jenseits der Erregungsbaustellen

Er hat uns nun schon ein halbes Jahrhundert betört: mit seinem Esprit und seiner Heiterkeit und seiner Kunstfertigkeit als Impresario poetischer Schwebezustände. Einem Meister der gelassenen Weltbetrachtung wie Hans Magnus Enzensberger kann man gar nicht zürnen, auch wenn er in seinem Alterswerk doch erkennbar die Zügel schleifen lässt und sich in einer behaglichen Ironie einrichtet.

Von Michael Braun | 19.05.2009
    In den vorangegangenen Gedichtbänden hatte sich bereits eine gewisse Selbstgefälligkeit angedeutet, gab es schon die Tendenz, brillante rhetorische Zauberkunststücke zum Gedicht aufzublähen und sich in einem gigantischen Pointen-Dropping über Weltverbesserer jedweder Couleur zu amüsieren.

    Die "leichte", die "mozartisch schwerelose Hand", die der Enzensberger-Leser Alfred Andersch bereits 1957 dem Verfasser des Gedichtbands "verteidigung der wölfe" attestierte - sie ist auch im neuen Gedichtband "Rebus" federführend. Der bald 80-jährige Dichter, der bei seinen Auftritten noch immer mit intellektueller Gelenkigkeit zu überzeugen weiß, ist wie stets mit der sanften Dekonstruktion von Utopie und Pathos beschäftigt. In seinen neuen Gedichten "paddelt" er wieder demonstrativ ungerührt an den neuesten Erregungsbaustellen der Gegenwart vorbei, um das unspektakuläre "Dazwischen" aufzusuchen. In seinem boshaften Abgesang auf die "Gegenwartsnarren" am Ende des Bands, einer etwas ausschweifenden "Coda", präsentiert er sich wie gewohnt als den bescheidenen "Vorübergehenden", der - so wörtlich - "beobachtet, was der Fall ist, / der nur redet ... / und der kaum etwas ausrichtet".

    Diesen abgeklärten Ironiker, der die Welt lieber verschont anstatt ihr mit verbissenen Heilsbotschaften zuzusetzen, kennt man bereits aus den Gedichtbänden "Zukunftsmusik", "Kiosk" oder zuletzt "Die Geschichte der Wolken". Im neuen Band "Rebus" hat Enzensberger seine Reflexionseleganz nicht weiter verfeinert, sondern lebt von seinen eigenen Beständen, walzt die bekannten Denkbilder noch ein weiteres Mal aus. Seine lyrischen Hauptdarsteller sind Wiedergänger aus früheren Büchern. Da gibt es wie gewohnt die Repräsentanten der Normalität mit ihren unerfüllbaren Wünschen. Ich zitiere: "Der Nachtportier, ein alter Trotzkist", "der glatzköpfige Kassierer ... , / der sich den Kopf zerbricht / weil sein Sportauspuff rostet" oder "Tante Olga im Altersheim" - das sind die bekannten lyrischen Stellvertreter des Autors, manchmal aber auch nur Pappkameraden jener "Gewöhnlichkeit", die dieser Dichter seit Jahrzehnten zu glossieren trachtet. Dabei macht es Enzensberger sich und seinen Lesern oft viel zu leicht. Er überlässt sich ohne größere Sprach- und Selbstzweifel dem Glanz seines Pointenfeuerwerks, das schnell abgefackelt ist.

    Dennoch: Es gelingen ihm noch immer brillante Porträts und treffliche Gedankengedichte, wie das von den "schweren Koffern", die funktionslos, ohne ihre früheren Besitzer, in einem Hinterhof zurückbleiben. Oder er schreibt wunderbar leichthändig ein Gedicht über die ewige Nicht-Identität mit sich selbst und über die Unerreichbarkeit des "Richtigen". Zu den stärksten Texten in "Rebus" zählen die selbstironischen Meditationen über das Alter und die Vergänglichkeit . Hier ist Enzensberger auf der Höhe seiner Kunst der skeptischen Selbstbegrenzung.

    Was einen beim Lesen verstimmt, ist die nicht geringe Zahl bloß kalauernder, auf billige Belustigung angelegter Gedichte, die sich mit dem nächstbesten Slapstick zufrieden geben. So etwa der sehr komödiantische Bericht über einen "Berliner Empfang". Ich zitiere:

    Der Innenminister kam an, / schwungvoll wie immer, / nur wir nahmen keine Notiz von ihm. / Die meisten von uns waren beschäftigt / mit ihren Bandscheiben, / oder sie hatten ihre Geheimzahl vergessen.

    In dieser Manier verfallen Enzensbergers Gedichte einer bisweilen unkontrollierten Pointensucht, ganz so, als wäre hier ein lyrischer Humorist für ernüchterte Altlinke am Werk.

    Als intellektuellen Komplizen hat der späte Enzensberger das Lachen rekrutiert - das Lachen über sich selbst , aber vor allem das Lachen über die Sinnsucher um ihn herum, die sich am Unabänderlichen abarbeiten. Dabei scheut er leider nicht das Geläufigkeitspalaver, das zwar gelegentlich Heiterkeits-Effekte generiert, aber vor lauter Begeisterung über die eigene Brillanz auf widerständige Fügungen verzichtet.

    So etwa in der extrem boshaften Karikatur eines Landes im Sicherheitswahn. Ich zitiere das Gedicht "Die Sicherheitsmaßnahme :

    Die Funkstreife hämmerte an die Tür, / aber sie wollten nur unsere Bärte kontrollieren. / Wir kamen ungeschoren davon, / doch es war knapp. / Wir boten ihnen Tee und Kekse an. / Unsere Hündchen Belinda und Sarah, / haben sie trotzdem mitgenommen. / Sie waren unser ganzer Stolz. / Aber ihr Visum war abgelaufen. / Wir überlegten, ob es nicht irgendwo / eine Lichterkette gäbe, / die uns trösten könnte.

    Ein Rebus ist ja ursprünglich ein vertracktes Bilder- oder Buchstaben-Rätsel. Das Problem von Enzensbergers Gedichten ist aber nicht ihr opakes Schimmern in Mehrdeutigkeiten, die der Titel des Bandes für sich beansprucht, sondern eine manchmal enttäuschende Rätsellosigkeit. Dabei wünschte man sich doch von diesem Autor genau jene grüblerische Anstrengung des Entzifferns der Welt, die ein Titel wie "Rebus" vorgibt.

    Man kann sich prächtig amüsieren mit diesen Gedichten, in denen sich ein intellektueller Narziss über die Welt beugt und die Vergeblichkeiten unserer Heils-Suche persifliert. Aber man kann auch peinlich berührt sein über so viel eitle Koketterie.

    Hans Magnus Enzensberger: "Rebus", Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 120 Seiten, 19,80 Euro.