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Jenseits von "El condor pasa"

Während der europäische Eindruck von peruanischer Musik nahezu ausschließlich durch die großstädtischen Straßenmusiker mit ihrer charakteristischen Panflöte geprägt ist, zeichnet ein Blick in die Küstenregion des Andenstaates ein anderes Bild. Dort, im "Peru negro", ist die Musik von afrikanischen Sklaven maßgeblich bestimmt worden.

Von Franz Lerchenmüller | 19.08.2007
    Dieses Lied kennen wir, wir kennen es alle: "El condor pasa" ist aus den Fußgängerzonen Europas seit langem nicht mehr wegzudenken. Anfang der 70er Jahre haben Simon und Garfunkel damit einen Welthit gelandet - mit einer Melodie, die der peruanische Komponist Daniel Alomìa Robles freilich schon 1913 geschrieben hat.

    Seitdem prägt dieses Stück unser Bild von der Musik der Anden: Einfach, melodiös, etwas schwer und melancholisch ist sie ganz offenbar. Radikal anders aber ist peru negro, die Musik der Schwarzen Perus. Bei peru negro geht gewissermaßen die Post ab, meint Andreas Gross, ausgewiesener Kenner lateinamerikanischer Musik:

    "Peru negro ist ein faszinierender Mix aus Rhythmen, aus Melodiefolgen, die uns eher an Kuba, an die Karibik, an Westafrika denken lassen, oder an Venezuela, wo auch viel schwarze Musik gepflegt wird. Peru negro ist ein Leben in einer ganz anderen musikalischen Welt als die Anden. Und diese von allen möglichen Rhythmusinstrumenten, einer faszinierenden Melodieführung, die uns mitreißt und Geschichten erzählt in den Texten, die aus dem Alltag sind, ist eine Musik, die aus einem ganz andern Land zu stammen scheint als das Peru, das wir so vom Klischee her kennen. Und wenn man es einmal getanzt gesehen hat, wo man das Gefühl hat, diese Menschen sind aus Gummi, gleichzeitig wie Palmen in einem Schwung im Wind sich bewegend, wie es eben nur an der Küste denkbar ist, dann ist man einfach begeistert."

    Höchste Zeit also, sich dies vor Ort in Lima anzuhören. Im "El Carajo", einem großen Musikschuppen im Stadtteil Barranco, haben sich in dieser Freitagnacht um die 300 Menschen versammelt. Die Stimmung ist aufgekratzt, später haben auch Kellner, Sicherheitsleute und Techniker einen Bühnen-Auftritt, und die paar Touristen werden beim Salsa-Showtanzen ein wenig vorgeführt. Vor allem aber geht es um die Musik: Edson Salazar und Laeticia Curai treten heute abend mit ihrer Band auf:

    Edson und Laeticia kennen die Geschichte der schwarzen Musik:

    "Ursprünglich wurden die Sklaven nach Peru eingeführt im 16. Jahrhundert und das war auch die Zeit, wo mit ihnen der Rhythmus und alles das kam, was heute noch den peruanischen schwarzen Stil der Musik ausmacht. Sie kamen ursprünglich aus Angola und waren Sklaven, die für die Minenarbeit in Zentralperu eingesetzt waren. Diese Minenarbeit bekam ihnen aber überhaupt nicht. Sie starben und wurden dann an die Küste verlegt, wo sie inbesondere in der Region Lima, Chincha, Canete, südlich von Lima, als Zuckerrohrsklaven für die Ernte eingesetzt wurden."

    Andreas Gross: "Eine ganze Reihe von Instrumenten wurden von den Sklaven schlicht und einfach erfunden. In dem Moment, wo sie Pause hatten, haben sie Perkussionsinstrumente, selbst gebaute Trommeln genommen, um ihren Rhythmus weiterzuleben und auch ihre traditionellen Gesänge, den Chor. Eine besondere Variante in Peru ist die Obstkiste, in die Trauben und andere Früchte eingesammelt wurden, das nennt man eine caja oder ein cajon, der große Kasten. Der cajon ist vielleicht das wichtigste Rhythmusinstrument für den schwarzen peruanischen Musikstil, er hat große Künstler hervorgebracht, die in Peru sehr lange Tradition haben."

    Auch heute noch ziehen cajoneros durch die Restaurants und Cafes, setzen sich auf ihren Kasten und begleiten damit ihr kleines, einfaches Lied. Männer wie Jorge etwa, der in La Punta zuhause ist. Und wenn das Trinkgeld stimmt, gibts auch noch eine kleine feine Zugabe.

    Aber natürlich kamen bei der Entwicklung von peru negro auch andere Instrumente hinzu. Und es bildeten sich ganz verschiedene Stile heraus, wie etwa der Lamento, eine besonders traurige Musik, die an den Blues erinnert. Oder der Landó, bei dem heftigst mit der Hüfte gewackelt wird. Der fröhlichste aller Tänze aber ist der Festejo. Andreas Gross:

    "Die Glocke wurde geschlagen, Kiefern eines Schädels von einem Esel, Krrr, Krrr, beim festejo waren alle zusammen haben sich bewegt, haben getanzt, haben all ihre Instrumente genommen, und das war die Kulmination der schwarzen Musik, wenn sie zusammenkamen und ihre Feste feierten. Noch vor 20 oder 30 Jahren war die schwarze Musik in Lima und in ganz Peru eine marginalisierte Musik. Es war eine Musik, die eher am Gesellschaftsrand operierte und eigentlich nicht zur feineren Gruppe der Limenos oder der Peruaner gehörte. Erst in den letzten 20,30 Jahren ist sie durch bedeutende Musiker so richtig salonfähig geworden. Dazu gehören Eva Ajon, Susanne Baca, Nicomedes Santa Cruz, der nach Paris ging und dort starb, ein großer schwarzer Musiker aus Peru, und mit ihnen ist dann der Stil avanciert, und die Gruppe, mit der wir uns heute beschäftigen, ist eine Gruppe, die sehr moderne Version im Fusion-Style, in der Fusionsart macht."

    Es gibt sie also: Eine schwarze peruanische Volksmusik jenseits von "El condor pasa" - auch wenn der Anteil der Schwarzen an der Gesamtbevölkerung wahrscheinlich weniger als ein Prozent ausmacht. Und gerade die Unterschiede zwischen den beiden musikalischen Welten herauszufinden, und abseits der ausgetretenen Pfade etwas so wenig Bekanntes wie Peru negro zu entdecken, - das macht den besonderen Reiz eines Besuches in Peru aus, findet Andreas Gross:

    "Die Küstenmusik Perus ist immer eine Musik für Peruaner von Peruanern gewesen, und erst in den letzten Jahren hat sich durch die Bewegung der Worldmusic, durch amerikanische und andere Künstler, die peruanische und schwarze Musiker entdeckt haben, eine Aufmerksamkeit entwickelt. Und diese Authentizität der Musik, die in einer eher marginalisierten Bevölkerung, Leute am Rande der Gesellschaft gepflegt wurde, hat sie auch richtig echt erhalten. Und diese Echtheit, die Unmittelbarkeit, die den schwarzen Rhythmus an der Küste immer noch pflegt, die wenig bekannt ist im Verhältnis zu den Anden in Peru, ich glaube, das ist der große Unterschied: Rhythmus, schwarzes karibisch afrikanisches Gut, das sich da gehalten hat, und das etwas schwerfällig wirkende, obwohl sehr komplexe indianische Kulturgut der Anden, das aber leider touristisch und volksmusikartig ein bisschen verbraten wurde."