Samstag, 20. April 2024

Archiv

Jessica Pratts Album "On Your Own Love Again"
Aktuelle Grüße aus der Vergangenheit

Retro regiert: Immer wieder veröffentlichen Musiker Alben, die klingen, als wären sie schon zig Jahrzehnte alt. Eine Musikerin, die dieses Prinzip besonders konsequent verfolgt, ist die Amerikanerin Jessica Pratt. Jetzt ist ihr zweites Album erschienen: "On Your Own Love Again".

Von Christoph Reimann | 07.02.2015
    Die Amerikanerin Jessica Pratt sitzt auf einer Kirchenbank.
    Die amerikanische Folksängerin Jessica Pratt mag den Sound vergangener Jahrzehnte (Drag City / Colby Droscher)
    Es könnten Folk-Songs aus den Sechzigern oder Siebzigern sein. Musik, die man in einer alten Kiste auf dem Dachboden gefunden hat, und die man nun wieder ans Tageslicht befördert. Aber Jessica Pratt, die Musikerin hinter den neun Songs auf "On Your Own Love Again", ist gerade mal Ende 20 und – zumindest eigentlich– aus dem Hier und Jetzt.
    "Ich denke einfach, dass in den Sechzigern und Siebzigern viel gute Musik entstanden ist. Ich mag die Produktionsverfahren jener Zeit und möchte gern daran anknüpfen. Zum Beispiel an die Wärme dieser Aufnahmen."
    Die Wärme analoger Aufnahmen
    Jessica Pratt hat ein Faible für den analogen Sound vergangener Jahrzehnte. Ihr Album hat sie allein in ihrer Wohnung mit einem Vierspur-Rekorder aufgenommen. Auf Tonband – weil das immer ein bisschen wärmer klinge als digitales Equipment. Und weil man damit so schön herumexperimentieren kann.
    "Ich war schon immer fasziniert von manipulierten Klängen und verfremdeten Stimmen. Deshalb höre ich auch viel Musik von Frank Zappa oder Ariel Pink. Ich mag alles, was sich irgendwie seltsam anhört. Und ein Tonband lässt sich ja zum Beispiel sehr gut in die Länge ziehen. Schon allein deswegen kann es zu vielen merkwürdigen Klängen kommen. Bei dem Song "Game That I Play" wollte ich zwei unterschiedliche Bänder miteinander kombinieren. Dabei entstand zufällig dieser psychedelische Sound, der mir so gut gefiel."
    Alle Songs sind sparsam instrumentiert. Nur Pratts leicht schrulliger Gesang, ihr wandlungsfähiges Gitarrenspiel und manchmal ein paar unauffällige Keyboardsounds. Auch wenn die Songs vielleicht nicht virtuos sind, tragen sie doch eine ganz eigene Handschrift. Die Musik von Jessica Pratt klingt nicht nur wie aus einer anderen Zeit, sie klingt auch nach einer ganz eigenen Welt. Aber auch eine Musikerin, die so sehr aus der Zeit gefallen scheint, muss sich mit ganz gegenwärtigen Problemen herumschlagen. In ihrer einstigen Heimatstadt San Francisco wütet die Gentrifizierung. IT-Unternehmen wie Apple oder Google, die im angrenzenden Silicon Valley ihren Firmensitz haben, ließen die Mieten in der ganzen Region durch die Decke schießen.
    "Die Gentrifizierung schreitet schon lange voran. Aber jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem man sich das Leben hier einfach nicht mehr leisten kann. Die Stadt ist wahnsinnig teuer und fühlt sich tot an. Die Musikszene ist am Ende, was womöglich auch mit diesen Veränderungen zu tun hat."
    Geflohen vor der Gentrifizierung
    Jessica Pratt hat San Francisco noch während der Aufnahmen zum neuen Album den Rücken gekehrt und ist ins südliche Los Angeles gezogen. Dort, so sagt sie, sei das Leben zwar etwas günstiger, aber der Zusammenhalt der kreativen Szene ist weniger stark ausgeprägt.
    "Die Leute sind hier eher allein unterwegs und verfolgen ihre eigenen Projekte und Karriereziele. Das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ist nicht sehr groß."
    Vielleicht hören sich die Songs auf der neuen Platte deshalb so einsam an. Und der Albumtitel "On Your Own Love Again" legt ja nahe, dass es auch um das Ende einer Liebe gehen könnte.
    "Ich bin eine fröhliche Person. Aber das Leben hat eben seine Höhen und Tiefen. Als meine erste Platte rauskam, gab es etwa zur selben Zeit einen Todesfall in meiner Familie. Außerdem ist tatsächlich meine Beziehung auseinander gebrochen. Viele große Dinge auf einmal also, mit denen ich erst mal zurechtkommen musste."
    Besonders konkret wird Jessica Pratt in ihren Texten aber nie. Da bleibt sie dann doch ein bisschen rätselhaft. "On Your Own Love Again" jedenfalls ist ein tolles zweites Album. Man sollte sich aber Zeit nehmen, um es auf sich wirken zu lassen – und in die ganz eigene, verschrobene Klangwelt von Jessica Pratt abzutauchen.