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Spanien ohne Koalition
„Jetzt muss endlich regiert werden!“

Das spanische Parlament kommt zur ersten Plenarsitzung zusammen. Trotz der Wahlen im April und November ist ungewiss, ob und wann sich die Sozialisten auf eine Mehrheit stützen können. Der Abgeordnete Herminio Sancho will nicht länger warten.

Von Hans-Günter Kellner | 03.12.2019
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"Probleme löst man mit Mitteln der Politik": Der Bauer und Abgeordnete Herminio Sancho (Deutschlandradio / Hans-Günter Kellner )
Müde setzt sich Herminio Sancho nach der Sitzung der sozialistischen Fraktion in ein Café, nahe des spanischen Parlaments. Um fünf Uhr morgens ist er von seinem Bauernhof in Mezquita de Jarque losgefahren, um pünktlich in Madrid zu sein. Dreieinhalb Stunden hat er für die 300 Kilometer gebraucht, ohne Pause. Mit der Bahn hätte er aus seiner Heimat in der Provinz Teruel, im Nordosten Spaniens, am Morgen gar nicht anreisen können.
"Es gibt keine elektrifizierte, viergleisige Strecke. Dieses Projekt will die Regierung von Pedro Sánchez zusammen mit der Region Aragón ja wieder auf den Weg bringen. Die Finanzierung soll im übernächsten Jahr stehen. Wir brauchen die Elektrifizierung der Strecke, die von Saragossa über Teruel nach Valencia führt."
Doch dafür bräuchte es erst einmal eine gewählte Regierung.
Koalitionspartner, aber keine Mehrheit
Denn vor der ersten Parlamentssitzung nach der Wahl vom 10. November haben Spaniens Sozialisten mit Podemos zwar einen Koalitionspartner, doch auch zusammen kommen die Partner noch auf keine Mehrheit. Sancho fasst sich an den grauen Vollbart, er ist ungeduldig:
"Wir müssten alle die Ärmel hochkrempeln und uns zum Wohl des Landes verständigen. Spanien braucht einen Haushalt! Seit 2011 haben wir nur Sozialkürzungen erlebt, bei Schulen, im Gesundheitssystem. Es war ein Fehler, dass die Liberalen und die Konservativen uns, die wir die Wahlen im April ja schon gewonnen hatten, nicht regieren lassen wollten. Jetzt hatten wir Neuwahlen, haben wieder gewonnen. Es muss jetzt endlich regiert werden."
Man sieht es dem kräftigen Landwirt an, er würde am liebsten sofort mit der Parlamentsarbeit beginnen. Die großen nationalen und selbst globalen Probleme betrachtet er aus einer sehr lokalen Perspektive. So empfiehlt er Schafzucht, um den Folgen des Klimawandels zu begegnen:
"Der Klimawandel ist in unserer Provinz immer deutlicher zu spüren. Wir haben immer häufiger heftige Wolkenbrüche, durchleben aber auch immer längere Trockenperioden. Wir Landwirte brauchen Unterstützung. Wenn wir das Land nicht mehr bearbeiten, unsere Schafe in den Bergen nicht mehr weiden, haben wir eine große Schlacht verloren."
Denn wo Schafe weiden, sagt er, seien Flächenbrände seltener. Doch das größte Problem seiner Region ist für ihn die Landflucht. Mit weniger als zehn Einwohnern pro Quadratkilometer ist Teruel eine der am dünnsten besiedelten Regionen Spaniens. Die neuen Telekommunikationstechnologien könnten die Landflucht stoppen. Bisher allerdings haben die ländlichen Regionen auch in Spanien keinen Anschluss an schnelle Datennetze. Das will Sancho ändern:
"Meine Tochter könnte dann ein, zwei Tage im Labor der Universität Valencia forschen. Sie ist dort als Biologin beschäftigt. Und den Rest der Woche könnte sie von zu Hause, von Teruel aus arbeiten. Das ist das, was wir brauchen!"
Auf Spaniens Politik wartet also viel Arbeit.
Es kommt auf die katalanischen Parteien an
Doch damit der Sozialist Pedro Sánchez wieder Ministerpräsident werden kann, müssten sich zumindest die Abgeordneten einer von zwei katalanischen Unabhängigkeitsparteien im Parlament ihrer Stimme enthalten. Sánchez verhandelt noch. Manche Spanier fürchten deshalb um die Einheit ihres Landes. Landwirt Herminio Sancho winkt ab, die spanische Verfassung lasse die Unabhängigkeit einer Region nicht zu. Er meint aber auch:
"Probleme löst man mit den Mitteln der Politik, das heißt, indem man miteinander spricht. Wenn jemand glaubt, dass wir die Probleme in diesem Land lösen können, ohne uns ehrlich in die Augen zu schauen, der irrt. Das heißt aber nicht, dass die Sozialisten alles akzeptieren, was man ihnen vorsetzt."
Der sozialistische Politiker trinkt seinen Kaffee aus. Vor dem Parlament wartet seine Frau auf ihn. Am Abend werden die beiden wieder dreieinhalb Stunden lang auf der Landstrafe nach Mezquita de Jarque fahren. Dann wird sie am Steuer sitzen.