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"Jetzt von einem Schwenk zu reden, halte ich für völlig überzogen"

Ein militärischer Einsatz und humanitäre Hilfe seien zwei grundverschiedene Dinge, so Alexander Graf Lambsdorff. Allerdings, räumt der FDP-Politiker ein, hätte sich Deutschland bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat nicht enthalten dürfen.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.04.2011
    Martin Zagatta: Am Telefon ist jetzt Alexander Graf Lambsdorff, der außenpolitische Sprecher der FDP im EU-Parlament. Guten Morgen, Graf Lambsdorff!

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Graf Lambsdorff, ist das eine Kehrtwende, die Deutschland wieder an seine Bündnispartner annähert?

    Graf Lambsdorff: Nein, man muss – und das muss man wirklich auch tun – unterscheiden zwischen einem Kriegseinsatz und einem humanitären Einsatz. Bei einem Kriegseinsatz geht es darum, die andere Seite zu etwas zu zwingen unter Anwendung von Gewalt, bei einem humanitären Einsatz geht es darum, die Rettung von Menschen, die Hilfe von Menschen zu ermöglichen. Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Die Tatsache, dass das militärisch abgesichert wird, so ein humanitärer Einsatz, heißt nicht, dass Deutschland sich an diesem Krieg militärisch beteiligt.

    Zagatta: Aber es ist doch auch ein humanitärer Einsatz, wenn man da im Sinne Morden zu verhindern, dann ein Waffenembargo durchgesetzt hätte, bei dem Deutschland dann auch mitwirken sollte, das dann nicht getan hat. Da hat man deutsche Soldaten zurückgezogen ausdrücklich. Kann man das jetzt dann auf diese Art und Weise wieder nachholen? Wo ist da der Unterschied?

    Graf Lambsdorff: Nun, es gibt einen ganz großen Unterschied: Sie haben einmal vom Waffenembargo und seiner Durchsetzung gesprochen, in der Tat, da war zunächst die Überlegung ja, dass man sich da rauszieht aus den Verbänden. Die Schiffe sind allerdings inzwischen wieder zurückgekehrt, ich halte das auch für richtig. Das Zweite ist die Durchsetzung der Flugverbotszone, das ist das, was ich eben als kriegerische Handlung bezeichnet habe, das findet unter Kapitel sieben der Charta der Vereinten Nationen statt. Das ist also wirklich die völkerrechtlich zulässige Anwendung von Gewalt. Und das Dritte ist ein humanitärer Einsatz, das ist wirklich vom Charakter her eine grundverschiedene Angelegenheit und ich würde das jetzt auch nicht politisch als Kompensationsgeschäft zur Abstimmung im Sicherheitsrat sehen, sondern hier handelt es sich wirklich um das Erfüllen einer Bitte der Rebellen. Ich habe mich hier getroffen auch mit Vertretern des libyschen Übergangsrats und die hatten sehr deutlich die Bitte, helft uns humanitär, gebt uns medizinische Versorgung. Sie müssen ja sehen, dass in den umkämpften Städten die Versorgung nicht gut ist und dass, wenn sie irgendwo vorhanden ist, eher die Soldaten der regulären Truppen von Herrn Gaddafi davon profitieren als die Aufständischen.

    Zagatta: Aber der libysche Übergangsrat, der hatte ja auch vorher die Bundesregierung oder die Deutschen da mitzumachen, bei dieser Flugverbotszone. Das ist ja kein Argument, das sich jetzt so wesentlich unterscheidet?

    Graf Lambsdorff: Nun, Herr Zagatta, die Frage, ob man bei der Flugverbotszone und ihrer Durchsetzung mitmacht, hat etwas zu tun mit den militärischen Fähigkeiten und auch mit den, ich sag mal dem Zustand der Bundeswehr und dem politischen Willen in Deutschland. Ich habe es für richtig gehalten, dass man sich aus der militärischen Durchsetzung heraushält. Nicht beim Waffenembargo, um das klar zu sagen, die Durchsetzung des Waffenembargos, da war ich der Meinung, man hätte von deutscher Seite von vornherein mitmachen sollen. Ich war auch der Meinung, abweichend hier vom Außenminister, man hätte im Sicherheitsrat zustimmen sollen, klar sagen sollen aber, dass wir uns militärisch nicht beteiligen können, die Bundeswehr ist mitten in einem großen Umbruchprozess. Nur was wir jetzt haben, eine humanitäre Maßnahme, die Absicherung von Hilfsmaßnahmen, damit habe ich überhaupt kein Problem. Und Sie haben es ja auch in Ihrer Anmoderation gesagt: Auch die Opposition sieht das so, und das ist auch verantwortungsbewusst, das ist eigentlich eine gute Tradition in der deutschen Außenpolitik, dass man sich bei solchen Sachen nicht im parteipolitischen Streit verliert. Sozialdemokraten und Grüne tragen das ja mit.

    Zagatta: Die tragen das mit, aber die sagen trotzdem, das sei ein Schlingerkurs, ein Zickzackkurs. Und Graf Lambsdorff, wenn wir heute Morgen in unsere Presseschau hören und da reinblicken, dann ist das, was da rüberkommt, auch genau die Meinung, die Kommentatoren vertreten: Da ist heute Morgen von Schlingerkurs die Rede, von Zickzackkurs, von einem dilettantischen Schwenk, von einer dilettantischen Außenpolitik. Hat die FDP beziehungsweise der Außenminister bei diesem Echo, hat sie da nicht ein großes Problem?

    Graf Lambsdorff: Nun, die Kommentatoren, die Sie zitieren, können von einem Schwenk nur dann sprechen, wenn sie die Lage insbesondere hier in den Gremien in Brüssel nicht ausreichend beobachtet haben. Denn die Vorbereitung der militärischen Absicherung eines humanitären Einsatzes, die ist ja schon lange beschlossen, die ist ja schon am 1. April beschlossen worden. Und wir werden es ja auch nur tun, wenn die Vereinten Nationen das anfordern. Diese Bereitschaft Deutschlands gibt es schon lange, die ist auch schon lange bekannt. Also insofern, jetzt von einem Schwenk zu reden halte ich für völlig überzogen. Im Übrigen scheint mir da auch mitzuschwingen die mangelnde Differenzierung eben zwischen einem humanitären Einsatz und einem kriegerischen Einsatz. Ich glaube, der eine oder andere Kommentator sollte genauer hinschauen, worum es da geht, und dann vielleicht noch mal überprüfen, ob das, was er da geschrieben hat, nicht einer Revision bedürfen könnte.

    Zagatta: Aber wenn jetzt selbst der Deutsche Bundeswehrverband erklärt, es ist nur ganz schwer nachzuvollziehen, wie diese Pläne zu der bisherigen Linie Deutschlands passen, sich an keinem Militäreinsatz in Libyen zu beteiligen, hat man dann nicht zumindest ein ganz großes Vermittlungsproblem?

    Graf Lambsdorff: Das steht auf einem anderen Blatt, Herr Zagatta, da haben Sie recht. Wie gesagt, ich habe ja von Anfang an gesagt, man hätte mit den Verbündeten, mit den westlichen Partnern mitstimmen müssen, klar sagen müssen, wir machen militärisch aber nicht mit, und anschließend sagen, zu humanitärer Hilfe sind wir jederzeit bereit, auch diese Hilfe abzusichern. Wenn man diese Linie von vornherein gefahren hätte, wäre das Vermittlungsproblem jetzt etwas geringer. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Einsatz als solcher, die Versorgung insbesondere der Aufständischen mit medizinischer Hilfe, mit ganz einfachen Produkten der Grundversorgung, dass das eine richtige Sache ist, dass das eine humanitäre Sache ist. Und ich glaube, dass selbst bei Kritik aus dem Bundeswehrverband oder von einzelnen Kommentatoren die Linie der Bundesregierung an dieser Stelle jedenfalls nicht zu kritisieren ist.

    Zagatta: Ja aber wenn da die Glaubwürdigkeit derart infrage gestellt wird, kann denn da eine Partei wie die FDP einfach so weitermachen? Also dass da jetzt der Außenminister sagt, oder dass man dem Außenminister erklärt, er ist zu schwach, kann nicht mehr weitermachen als Vorsitzender dieser Partei, und dann soll er weiterhin die deutsche Außenpolitik vertreten – ist das nicht ein bisschen viel verlangt?

    Graf Lambsdorff: Na ja, das haben wir ja nun in den Gremien diskutiert, da hat es eine klare Stellungnahmen gegeben, die Mehrheit in den FDP-Gremien ist der Meinung, dass Herr Westerwelle weitermachen soll. Das wurde einmütig so beschlossen jetzt im Laufe dieser Woche. Und im Grunde hat das …

    Zagatta: … aber ist er da nicht sehr geschwächt?

    Graf Lambsdorff: Nein, schauen Sie, auch Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel waren Außenminister, nachdem sie nicht mehr Parteivorsitzende waren. Auf international…

    Zagatta: … aber Genscher war sehr beliebt, das ist der Unterschied.

    Graf Lambsdorff: Gut, daran muss Herr Westerwelle vielleicht noch arbeiten, das wird ihm vielleicht auch noch gelingen, etwas beliebter zu werden, nur das ist gar nicht das Entscheidende. Wir reden ja hier über eine Situation in Libyen, die ist erheblich ernster als die der FDP, weil … Solche Vergleiche sollte man vielleicht nicht ziehen, aber …

    Zagatta: … ja …

    Graf Lambsdorff: … die Situation in Libyen ist glaube ich eine, vor deren Hintergrund man nicht die Beliebtheitsskala deutscher Politiker diskutieren sollte, sondern man sollte hinschauen, wie kann man das Leid der Menschen dort lindern. Und der humanitäre Einsatz, über den wir hier reden, der – und das gebe ich Ihnen gerne zu – in der einen oder anderen Zeitung vielleicht kritisch kommentiert wird, ist in der Sache, in der Sache richtig. Ich habe die Worte von Herrn Jibril, der bei uns in Straßburg im Parlament war, noch sehr gut im Parlament war, noch sehr gut in Erinnerung, drei Forderungen: Erkennt den Übergangsrat an – diese Forderung sehe ich im Übrigen als eine, die wir noch nachzuholen haben –, helft uns humanitär und richtet eine Flugverbotszone ein. Das sind die drei Forderungen.

    Zagatta: Graf Lambsdorff, das wird ja nicht bestritten. Die große Frage ist, ob dieser Schwenk – der ja wahrscheinlich richtig ist, weil er von allen Parteien mit Ausnahme Der Linken da begrüßt wird –, ob das nicht der Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik schadet, deutschen Außenpolitik, weil man sich eben in der Vergangenheit, in den zurückliegenden Wochen so verhalten hat?

    Graf Lambsdorff: Nein, also das, was es an Kritik gegeben hat, das entzündete sich an dem Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat. Ich sehe diese Politik auch als berechtigt an, um das klar zu sagen. Aber es hat nie hier in den Brüsseler Gremien, auch nicht in den Ausschüssen, bei allen Gesprächen, die ich hier geführt habe, nie Zweifel daran gegeben oder Kritik daran gegeben, dass Deutschland sich bei einem humanitären Einsatz an vorderer Stelle beteiligen würde. Das wird auch erwartet von uns und das werden wir tun. Und insofern glaube ich ist hier die Glaubwürdigkeit Deutschlands bei dieser humanitären Frage in keiner Minute hier in Zweifel gezogen worden.

    Zagatta: Alexander Graf Lambsdorff, der außenpolitische Sprecher der FDP im EU-Parlament. Graf Lambsdorff, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

    Graf Lambsdorff: Ich danke Ihnen!

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