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Jobwunder am Rande der Republik

Auf die deutschen Hersteller von Windkraftanlagen entfällt knapp die Hälfte des weltweiten Branchenumsatzes von zehn Milliarden Euro. Davon profitieren auch zahlreiche Zulieferer. Ein Beispiel ist die Eisengießerei Torgelow. Im nordöstlichsten Winkel der Republik sorgt die Nutzung der Windkraft für ein Jobwunder.

Von Almuth Knigge | 10.02.2006
    In der alten Gießereihalle ist es dunkel wie in einem Bergwerk. Kohlenstoffstaub überzieht den Boden, fast zehn Zentimeter hoch an einigen Stellen. Es riecht durchdringend nach Schwefel. Und an manchen Ecken züngeln kleine Flammen aus den großen Formbehältern. Eine kleine Hölle.

    "Das ist die alte Gießereihalle, die seit 50 Jahren hier steht. Und in dieser Halle haben wir im Wesentlichen diese 400-prozentige Produktionssteigerung realisiert, das ist enorm."

    Gießereileiter Norbert Mistrey kontrolliert zusammen mit Klaus Sägebrandt die Gussformen. Rotornaben für Windkraftanlagen und die Gehäuse, in die später die eigentlichen Windkraftanlagen eingebaut werden, werden hier gegossen. Was von weitem immer so klein aussieht, ist in Wirklichkeit gigantisch: fast 4 Meter Durchmesser und 30 Tonnen schwer.

    Die beiden sind schon über 30 Jahre in der Gießerei, und haben nach der Wende drei Beinahe-Pleiten überstanden. Jetzt arbeiten sie für eine der größten und modernsten Gießereien Europas.

    "Das war bodenlose Tiefe und dann kommt jemand und sagt: 'Wir stehen übermorgen auf dem Berg.' Das glaubt kein Mensch, aber so war es dann auch. Wir waren ja heilfroh, dass wir existieren konnten. Zu dem Zeitpunkt hatten wir immer drei Monate Lohnrückstand. Wir haben damit rechnen müssen, dass der Laden zugemacht wird. Wir hatten zuwenig Arbeit, es war alles runtergewirtschaftet, weil nicht investiert wurde, das war der Zustand damals."

    60 Mitarbeiter warteten damals auf ihre Kündigung, längst haben rund 200 Beschäftigte einen sicheren Job und für die Zukunft werden sogar händeringend neue Fachkräfte gesucht. In den nächsten Jahren soll die Eisengießerei Torgelow auf mindestens 400 Arbeitsplätze anwachsen.

    Nebenan steht die neue Halle, Herzstück und Symbol des Aufschwungs der Eisengießerei. Hell, geräumig, 180 Meter lang, 60 Meter breit. 140 Tonnen Gusserzeugnisse können hier pro Tag erzeugt werden. 17 Millionen Euro hat der österreichische Investor CHL in das marode Unternehmen gesteckt, genauso viel soll in den nächsten Jahren folgen.

    Wie Phönix aus der Asche, das ist eigentlich das passende Bild für die Geschichte der Eisengießerei, die immerhin schon auf 250 Jahre Tradition zurückblicken kann.

    "Ich höre das nicht so gerne","

    Gießereichef Hermann-Josef Taterra ist das, was man bodenständig nennt.

    ""Es gibt da verschiedene Worte - so Leuchtturm von Torgelow oder was auch immer. Fakt ist: Wir müssen unseren Job machen und wenn wir den gut machen, dann macht das auch allen Spaß. Und das Ergebnis der letzten zwei Jahre ist, dass wir im Jahr 2004 12,2 Millionen Umsatz gemacht haben, das heißt, wir haben im ersten Jahr den Umsatz verdoppelt und nach zwei Monaten schon schwarze Zahlen geschrieben und das Jahr 2005 mit 21 Millionen Euro abgeschlossen, also fast noch mal verdoppelt Und dieses Jahr sind wir schon komplett ausverkauft."

    Das Erfolgsrezept kennt jeder BWL-Student: Marktlücken finden. Eine davon:

    "Windkraft ist der große Renner","

    das sagte Taterra schon vor Jahren. Damals lächelte die Konkurrenz noch.

    ""Die Gießereien, die nicht darauf gesetzt haben, die sind jetzt im Hintertreffen. Wir haben sämtliche Prototypen für sämtliche Hersteller der Welt gefertigt. Wir sind in Serie und können jetzt die Stückzahlen machen.""

    Dieser unternehmerische Weitblick macht inzwischen sogar den Standortnachteil wett: Torgelow liegt im hintersten Zipfel von Vorpommern am Oderhaff.

    ""Der Nordosten ist ja kein schlechter Standort. Früher hieß das immer - da oben was ist denn da los. Jetzt kann man ganz anders rum diskutieren. Denn wir sind in der Lage, die Gussteile montagefertig auszuliefern. In Ückermünde ist ein Industriehafen, und da können Sie das Zeug auf ein Schiff laden."

    Das Zauberwort heißt Wertschöpfung. Problem: die Fachkräfte fehlen. Auch dafür hat Taterra eine Lösung. Ausbildung: Die Quote liegt bei fast 25 Prozent, er hat eine eigene Berufsschulklasse durchgesetzt, damit die Schüler nicht zum Blockunterricht nach Thüringen müssen.

    "Wir wollen eigentlich in Zukunft eine eigene Firma gründen, die eigentlich die komplette Ausbildung unserer Leute hier macht. Seien es die Lehrlinge, sei es der Meister, seien es die Ingenieure. Der Bedarf ist da, und wir wollen keine Legionäre haben, sondern wir wollen die Leute aus Mecklenburg-Vorpommern hier haben. Legionäre ist wie beim Fußball: Das gelingt nur eine gewisse Zeit und dann müssen sie ausgetauscht werden."

    Das ist ein Erfolgsrezept von Hermann-Josef Taterra. Das zweite:

    "Ich sag mal, das ist eine Stärke zu analysieren, wo wollen wir hin, was sind die Targets, was sind die Märkte, wo wollen wir hin, was ist die Zukunft, was ist keine Zukunft. Und da wo keine Zukunft ist und wo wir schwach sind, das stellen wir einfach ab - ganz rigoros."