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Jochen Distelmeyer
Influencer der Vergangenheit

In den 90ern und bis Mitte der Nullerjahre veränderte er mit seiner Band Blumfeld die deutsche Musik: Jochen Distelmeyer. Den wütenden Gitarrengewittern zu komplexer Sprechgesang-Lyrik folgten später perfekte Pop-Hits. Nun enthüllt er, welche Musik ihn selbst in seinem Leben bewegt hat.

Von Eric Leimann | 18.05.2019
Jochen Distelmeyer, Sänger von Blumfeld, war zu Gast im Berliner Funkhaus.
Seit ein paar Jahren ist Distelmeyer vorwiegend als reflektierender Musikliebhaber unterwegs: jetzt mit der "Coming Home"-Compilation (Deutschlandradio / M. Hucht)
S.Y.P.H "Ich höre Musik"
"Also am Anfang so etwas wie S.Y.P.H., das finde ich solange ich das schon zum ersten Mal gehört habe - von diesem weissen Album - ein atemberaubendes wirklich schönes wundervolles Stück. Ich habe das ganz ganz früher als man noch Mixed Tapes machte auch als Opener - wie jetzt bei der Compilation."
Jochen Distelmeyer, geboren im Sommer 1967 in der ostwestfälischen Provinz, erinnert sich auf der Compilation "Coming Home" an seine musikalische Prägung. Sehr früh, schon mit fünf oder sechs Jahren, sagt er, hat er Rockmusik gehört. Bald schon trug er sein Taschengeld in den örtlichen Fachhandel, wo es - für ihn heute erstaunlich - schon während der späten 70er eine gut sortierte Punkrock-Abteilung gab.
Andere Influencer jener Zeit waren: "Der ältere Bruder eines damaligen Klassenkameraden und Freunds. Das war der erste Punker bei uns im Dorf. Der einzige auch viele Jahre, der dann die Dorfstraße immer in "komplett ausstaffiert" und perfekt angezogen, wie so ein Außerirdischer langzog. Und von dem wir dann so aussortierte Sachen, die er nicht mehr cool fand, bekamen. UK Subs und solche Sachen, natürlich hörte man auch andere. Punkrock erster Generation."
Chastity Belt "Different Now"
17 Stücke hat Jochen Distelmeyer für seine "Coming Home"-Reise zusammengestellt, leider ohne Liner Notes, also erklärende Texte zur Musik. Schade, denn so hätte Distelmeyer statt einem Album auch einfach eine Playlist bei einem der üblichen Streamingdienste einstellen können.
Punkrock als Einfluss überschätzt
Vom angesprochenen Punkrock ist fast nichts dabei. Stattdessen: Klassischer Country von Kris Kristofferson oder Chris Gentry, deutsche Pop-Antihelden wie Andreas Dorau oder Max Müller, R’n’B von Pharrell Williams oder Missy Elliott, auch viele Entdeckungen Distelmeyers aus der jüngeren Vergangenheit, so wie dieses wunderbare Stück der amerikanischen Indieband Chastity Belt, "Different Now" heißt es.
Chastity Belt "Different Now"
Überhaupt, so Jochen Distelmeyer, würde Punkrock auch als Einfluss für die frühen Blumfeld überschätzt: "Also damals war die Situation, dass ich in der Zeit, bevor wir uns als Musiker zusammengefunden haben, hauptsächlich Hip-Hop gehört habe …"
Big L. "Devil’s Son"
Dass Blumfeld dann doch eine Gitarrenband wurden, hatte damit zu tun, dass Distelmeyers Mitmusiker André Rattay und Eike Bohlken andere Vorlieben hatten. Einigen konnte man sich jedoch auf den hypnotischen Sound der Wipers.
The Wipers "Better Off Dead"
Distelmeyer: "Ich glaube, es war 1979 oder 1980, als ich dann so die Wipers in einem Plattenladen hörte, dieselbe Energie, die ich von Punkrock kannte oder damit verband, aber viel, viel "deeper".
"Coming Home" ist ein Album für Menschen, die Jochen Distelmeyer besser verstehen wollen oder jene, die sich auf seinen extrem diversen Musikgeschmack einlassen können.
Seit ein paar Jahren ist Distelmeyer, der im Sommer 52 wird, vorwiegend als reflektierender Musikliebhaber unterwegs: jetzt mit der "Coming Home"-Compilation, davor mit dem Album "Songs from the Bottom", auf dem er selbst Lieblingssongs gecovert hat.
Neues von Blumfeld?
Und dann wären da noch die Retro-Tourneen mit Blumfeld, auf denen nur altes Material gespielt wird. Man kann Jochen Distelmeyer dafür kritisieren, dass er als Künstler derzeit vorwiegend ein Zurückblickender ist. Kommt vielleicht doch noch mal etwas Neues, vielleicht sogar von Blumfeld?
"Kann ich jetzt nichts zu sagen. Also wir haben uns eigentlich so darauf verständigt, wenn wir zusammen live spielen, dann sind wir das, dann gibt es das. Es gibt jetzt auch dieses Jahr noch ein paar Shows, die wir gemeinsam spielen werden. Aber weil ich jetzt an meinem Soloalbum sozusagen noch arbeite, sind andere Fragen erst mal so hinten angestellt. Aber - das ist eine komplett offene Situation für alle, glaube ich."