Freitag, 19. April 2024

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Joe Cocker
"Fast ein Gentleman"

Als sehr ruhigen Menschen beschreibt Biograf Christof Graf den gestern verstorbenen Blues- und Rocksänger Joe Cocker. Der Brite habe es vermocht, seinen Cover-Versionen mehr Ausdruck als den Original-Songs zu verleihen, sagte Graf im DLF - und räumte mit einem gängigen Cocker-Klischee auf.

Christof Graf im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.12.2014
    War ein beliebter Gast in Deutschland, hier in der TV-Sendung "Verstehen Sie Spaß": Joe Cocker.
    War ein beliebter Gast in Deutschland, hier in der TV-Sendung "Verstehen Sie Spaß": Joe Cocker. (imago/Star-Image)
    Entgegen landläufiger Meinung habe das markante "Herumfuchteln" Cockers vor dem Mikrofon weder mit einer Krankheit, noch mit Drogenkonsum zu tun, unterstreicht Graf. Tatsächlich habe der Sänger immer ein Instrument spielen wollen, Cockers Rudern mit den Oberarmen sei sozusagen ein pantomimisches Pianospiel gewesen.
    In seinen Interviews mit der Musiklegende habe er Cocker als ruhigen Menschen kennengelernt. Allein einen Vorwurf könne er Cocker machen, so Graf. Aus dem Blues- und Rockinterpreten sei nach und nach ein Popsänger geworden.

    Das Interview in voller Länge:
    Meurer: Joe Cocker ist gestern im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs in den USA gestorben und der Song, den wir gerade gehört haben, heißt "Hard Knocks", harte Schläge, aus dem Jahr 2010. Christof Graf hat jetzt gerade vor wenigen Wochen eine Biografie über Joe Cocker geschrieben und veröffentlicht im österreichischen Hannibal-Verlag. Guten Morgen, Herr Graf!
    Christof Graf: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Meurer: Sie haben sich selbst diesen Song "Hard Knocks" gewünscht. Warum?
    Graf: Weil er praktisch für das Leben von Joe Cocker steht, weil er mit harten Schlägen das ganze Leben letztendlich kämpfen musste. Die meisten Kämpfe dieser Art hat er gewonnen, diesen letzten leider nicht.
    Meurer: Ich habe es auf die harte Tour gelernt, meine Abschlüsse auf der Straße gemacht, so heißt es sinngemäß in diesem Song "Hard Knocks". Um mit den Anfängen zu beginnen: Aufgewachsen in Sheffield, Nordengland, Stahlmetropole – wie hart war da das Leben für Joe Cocker?
    Graf: Man muss sich vorstellen, das war alles so in der Nachkriegszeit, da hatte England, in Anführungszeichen, genauso ... oder Englands Wirtschaft war genauso darnieder wie die von Deutschland. Und genau in einem solchen Umfeld, vergleichbar mit der von Nachkriegskindern in Deutschland, ist er letztendlich aufgewachsen zusammen mit seinem Bruder, in einem Elternhaus, das solide war, aber eben nicht von Reichtum gesäumt.
    Ray Charles war sein großes Vorbild
    Meurer: Er ist dann zunächst Gasinstallateur geworden, also Klempner. Ist Joe Cocker ein Mann aus der typischen britischen Arbeiterklasse, oder Sie sagten eben, den Eltern – so schlecht ging es ihnen gar nicht?
    Graf: Wie gesagt, er ist also in einem relativ einfachen Umfeld aufgewachsen, hat tatsächlich auch diese Ausbildung des Gasinstallateurs durchgeführt, hat allerdings schon sehr, sehr früh damit begonnen, in einer Skiffle-Band Musik zu machen, war schon sehr, sehr früh von Rock'n'Roll, in Anführungszeichen, infiziert, hier insbesondere von der Stimme von Ray Charles, die auch sein ganz großes Vorbild als Sänger und Musiker war, hat allerdings am Anfang aufgrund seiner einzigartigen Stimme eher als Trommler begonnen, als Drummer in einer kleinen Band und hat das dann letztendlich irgendwann mal so weitergeführt und hat die Handwerkerkarriere, sagen wir mal, im wahrsten Sinne des Wortes an den Nagel gehängt.
    Meurer: Berühmt geworden ist Joe Cocker dann Ende der 60er-Jahre, 1969 sein Auftritt auf dem Woodstock-Festival, das ist ja sozusagen die höchste Weihe, die man als Rocksänger damals kriegen konnte, dass man in Woodstock mit dabei war, dann folgte zehn Jahre lang vielleicht ungefähr der Absturz mit Drogenkonsum, Joe Cocker ist dann auch mal verhaftet worden in Wien.
    Was war da los in den 70er-Jahren mit Joe Cocker?
    Graf: Die Siebziger waren natürlich, in Anführungszeichen, voller Drogen gesäumt und durchdrängt, und er hat praktisch von jetzt auf nachher, über Nacht quasi, diesen Megaerfolg gehabt, und man erlebt das ja immer wieder mal, dass der eine oder andere vielleicht mit einer solchen Kehrtwende im Leben nicht wirklich auskommt. Und er mit Drogen in Berührung gekommen und kam irgendwann einfach mal nicht mehr davon los, und es begann eine Sucht, und die hat ihn tatsächlich in den Siebzigern, ich sage jetzt mal, ja, in den Bann gezogen und er ist einfach nicht mehr davon losgekommen – Alkohol, Drogen, alles, was man sich vorstellen kann, so hat er mir es auch in meinem Gespräch erzählt, und das war natürlich etwas, was ihn halt einfach gefangen hielt.
    "Ein sehr lieber, ein sehr zurückhaltender Mensch"
    Meurer: Sie haben ihn mehrmals getroffen, interviewt, Joe Cocker. Was war das für ein Mensch?
    Graf: Eigentlich ein sehr lieber, ein sehr zurückhaltender Mensch, ein sehr, sehr ruhiger Mensch, die Stimme, wenn man sie hört oder wenn man ihn in Live-Konzerten sieht, wirkt er ja auch eher etwas stoisch, aber sehr, sehr extrovertiert, aber im Gespräch selbst ist er eher introvertiert und fast sogar gentlemanlike.
    Meurer: Er hatte ja so eine total merkwürdige Art beim Singen, Körper, Arme und Beine zu bewegen, als sei er von einem Krampf gepackt. Wie kann man da singen?
    Graf: Nein, rollen Sie nicht wieder ein Klischee auf. Es hatte eigentlich nie ...
    "Joe Cocker hätte gerne ein Instrument gelernt"
    Meurer: Ja, es ist ein Klischee? So haben wir ihn doch auf der Bühne gesehen.
    Graf: So ist es. Es ist auch ein Klischee und es wird auch immer wieder weitergetragen. Also dieses Herumfuchteln mit den Armen, wie wir ihn praktisch in Erinnerung haben, hat also keineswegs irgendetwas mit einer Krankheit zu tun oder gar mit irgendwelchen Drogenräuschen. Das ist vollkommen verkehrt. Aber womit es zu tun hat: Joe Cocker hätte gerne ein Instrument gelernt, und stellen Sie sich vor, was glauben Sie, welches? Natürlich Piano oder Klavier, Keyboard, Gitarre, irgendwas in dieser Art. Und das ist das, was er tatsächlich dann mit seinem Herumfuchteln der Arme versucht, nachzumachen, um halt dem Song noch mehr in seiner Interpretation Ausdruck zu geben.
    "Er machte aus fremden Songs eigene Songs"
    Meurer: Es gibt ja auch Kritik an Joe Cocker, zum Beispiel die: Er war ein zwar hervorragender Interpret, aber ein Interpret von Coverversionen. Was meinen Sie?
    Graf: Das ist richtig, wobei es falsch ist, dass er keine Songs geschrieben hat. Also er hat Songs geschrieben, er hat auch Songs für seine ersten Alben geschrieben, Ende der Sechziger, er hat auch Songs oder Songinput für einige Alben in den Siebzigern gespielt. Aber es ist richtig, was er auch selbst von sich sagte: Er ist nicht der begnadete Singer-Songwriter und kann mit Songs, die ihn eben in irgendeiner Art und Weise ergreifen, mehr anfangen und diesen Songs oft mehr Ausdruck verleihen wie die Originalkünstler selbst, wie wir es tatsächlich von Songs gehört haben wie zum Beispiel "First We Take Manhattan" von Leonhard Cohen oder aber auch Songs von Bob Dylan oder Randy Newman, "Unchain My Heart", "You Can Leave Your Hat On", all die großen Songs.
    Das sind natürlich Coverversionen gewesen. Und denen verlieh er tatsächlich neues Leben. Er machte aus fremden Songs eigene Songs, und das ist aus der Warte her auch schon eine eigene große Kunst.
    "Einer der ganz Großen der populären Musik"
    Meurer: War Joe Cocker später mehr Popsänger als Rocksänger?
    Graf: Das ist ein kleiner Vorwurf, den man ihm vielleicht machen könnte. Er ist mit Sicherheit zumindest mal einer der ganz Großen der populären Musik und Rock ist auch einfach nur ein Stil im Rahmen der populären Musik, und insofern ist es kein wirklicher Vorwurf.
    Meurer: Christof Graf, Musikkritiker aus Zweibrücken, er hat eine Biografie gerade jetzt geschrieben über Joe Cocker, Joe Cocker ist gestern im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Herr Graf, danke schön! Wiederhören!
    Graf: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.