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Johannes Jacobus Voskuil
Siebter Band von "Das Büro" auf Deutsch erschienen

Der 2008 verstorbene niederländische Autor J.J. Voskuil war ein Unikat. Im Rentenalter schuf er mit dem mehrteiligen Roman "Das Büro" einen Bestseller. Experten feiern ihn schon jetzt als ersten Klassiker des neuen Jahrtausends. Jetzt ist der siebte und letzte Band auf Deutsch erschienen.

Von Enno Stahl | 06.02.2018
    Die "Büro"-Romanteile von J.J. Voskuil. Erschienen sind sie im Verbrecher-Verlag.
    Die "Büro"-Romanteile von J.J. Voskuil. Erschienen sind sie im Verbrecher-Verlag. (Deutschlandradio / Katharina Borchardt)
    Auch Maarten Koning würde vorziehen, es nicht zu tun, zu arbeiten nämlich – ganz so wie Bartleby, die genial anarchische Figur Herman Melvilles. Aber Kooning, dem unverhohlenen alter ego seines Autors Johannes Jacobus Voskuil, fehlt dieser Schuss Desporadotum freundlicher Verweigerung. Daher heuert er widerwillig und gegen den energischen Widerstand seiner Frau Nicolien, die ihn nicht mit einer beruflichen Anstellung teilen möchte, Ende der 1950er-Jahre im Institut für Volkskultur seines Mentors Anton P. Beerta an. Damit beginnt das monumentale Roman-Epos "Das Büro", in 7 kiloschweren Wälzern 1996 bis 2000 in den Niederlanden erschienen, insgesamt 5.568 Seiten umfasst die deutsche Übersetzung, die jetzt im Verbrecher Verlag vollständig vorliegt. Verantwortlich dafür, dass auch deutsche Leser sich in die soghafte Gemüts- und Arbeitswelt des Maarten Koning begeben können, ist der Übersetzer Gerd Busse. Was ist das für ein Gefühl, wenn man solch ein Projekt endlich hinter sich gebracht hat?
    "Na ja, man fühlt sich ein bisschen als Übersetzer wie Maarten Koning nach der Pensionierung. Das heißt, plötzlich fehlt einem etwas. Gleichzeitig ist es auch ein Gefühl der Erleichterung, dass das Projekt überhaupt abgeschlossen werden konnte, dass alle sieben Bände jetzt vorliegen."
    Eine folgenschwere Entscheidung
    Angesichts eines Romans mit diesem Umfang würde man denken, dass es für Busse eine schwere Entscheidung war, sich dieser Aufgabe zu stellen. Denn es ist ja klar: Wenn man überhaupt damit beginnt, dann kann man nicht nach dem ersten Band aufhören, dann weiß man, dass man viele Jahre seines Lebens in dieses eine Projekt stecken muss.
    "Das war für mich eigentlich nie die Frage, ich wollte das immer übersetzen, weil als ich den Roman kennengelernt habe, das war 1998, ich war im Übersetzerhaus in Amsterdam, und ein Autor hatte mich drauf aufmerksam gemacht, hatte mir das Buch geliehen, sein Exemplar des ersten Bandes, ich hatte es abends im Bett mir vorgenommen, hab zehn Seiten gelesen und ich wusste, das muss ich einfach übersetzen. Dafür muss ich einen Verlag finden. Hab mit das natürlich niemals so schwer vorgestellt, einen Verleger davon zu überzeugen, dieses Projekt anzugehen. Und ich wollte das unbedingt übersetzen, weil ich in der Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Sozialforschungsinstitut war, das ein bisschen auch dem Büro, was Voskuil in 'Het Bureau' beschreibt, das ja ein Volkskundeinstitut, ähnelte. Wir haben, ich muss sagen, eigentlich noch verrücktere Projekte gemacht, als die im Buch beschriebenen Wichtelmännchen-Forschung oder die Befragung nach der Nachgeburt des Pferdes."
    Die Nachgeburt des Pferdes – dieses Forschungsprojekt, mit dem sich Maarten Koning zu Anfang der Heptalogie befasst, ist tatsächlich ein satirischer Höhepunkt im Romanzyklus. Nichts bestätigt so klar Maarten Konings Grundgefühl, dass alles, was er in seiner Arbeit tut, im Grunde vollkommen sinnlos ist.
    Dennoch widmet er sich ihr mit akribischer Genauigkeit. Genauso sorgfältig ist der Autor Voskuil in der Beschreibung des Institutslebens, eines typisch niederländischen Arbeitskosmos. Lässt sich so etwas überhaupt in den deutschen Sprachraum übertragen?
    "Die Schwierigkeit bei der Übersetzung war eigentlich, wenn man sich erst mal einübersetzt hatte, gar nicht so groß. Die große Schwierigkeit war zunächst mal überhaupt einen Verlag davon zu überzeugen, dass es übersetzbar wäre. Diesem Roman haftete der Ruf an, das ist so ur-holländisch, das wird kein deutscher Leser oder kein Leser außerhalb der Niederlande verstehen, das ist so kalvinistisch und da werden so viele Dinge verhandelt, die selbst viele Niederländer gar nicht verstehen.
    Das war zunächst mal die große Hürde. Wenn man dann am Übersetzen war, gab es eigentlich nur das Problem, Voskuil nicht irgendwie zu verbessern. Er benutzt eine ganz einfache Sprache, die ganz schlicht ist und mit ganzen kurzen Sätzen, häufig war ich als Übersetzer versucht, das so ein bisschen schöner zu machen, und habe das dann auch in der ersten Fassung gemacht und wenn ich dann in 'ner Korrekturlesung war, habe ich's dann meistens wieder zurückgenommen, weil ich das Gefühl hatte, nee, damit schade ich dem Roman, wenn man’s irgendwie versucht, wie die Niederländer sagen: 'op te leuken' also aufzuhübschen."
    Realismus der Darstellung
    In der Tat ist die Sprache des Romans, auch in der deutschen Übersetzung, beinahe zu einfach gestrickt, es ist eine ganz linear durchgehaltene personale Erzählung ohne besonderen poetischen Dekor. Voskuil hatte den Anspruch, nichts zu beschönigen, alles nur so zu beschreiben, wie es ist, offensichtlich geht es ihm nachdrücklich um einen Realismus der Darstellung.
    Voskuils Hausklingel in der Herengracht 60 in Amsterdam
    Voskuils Hausklingel in der Herengracht 60 in Amsterdam (Deutschlandradio / Katharina Borchardt)
    "Es ist ein realistischer Roman in dem Sinne, dass Sie das Büroleben ja fast – er war ja Volkskundler -, und er hat das fast ethnologisch versucht zu untersuchen, so wirklich im Detail sehen, wie wird geredet, wie sitzt man, wer sagt was, wenn der Direktor reinkommt und wer fällt dann in Schweigen. Es ist ein realistischer Roman, was den gesellschaftlichen Kontext, den gesellschaftlichen Alltag in den Niederlanden angeht.
    Es ist auch realistisch, was die Person des Autors betrifft und die handelnden Personen, die dort auftreten, denn es ist natürlich ein Schlüsselroman. Der Autor selbst hatte den Anspruch, alles was ich beschrieben habe, hat sich tatsächlich so zugetragen, ist so gesagt worden, wie ich es niedergeschrieben habe.
    Ich habe allerdings ein bisschen meine Zweifel daran, weil die Episoden, die sind so gut komponiert, das setzt irgendwo ein, und das hört meistens mit so einem kleinen Cliffhanger auf, also das ist schon stark komponiert. "
    Mehr als fünfeinhalbtausend Seiten – das wirkt für viele Leserinnen und Leser zunächst einmal eher abschreckend. Doch gibt es auch in Deutschland, wo die einzelnen Roman-Bände seit einigen Jahren erscheinen, bereits glühende Fans. Für die noch Unentschlossenen – was erwartet die Voskuil-Leserinnen und Leser hierzulande?
    "Der deutsche Leser darf nicht dneken, dass er jetzt eine Satire geboten bekommt, also so eine Art Schenkelklopfer-Literatur, sondern was er kriegt, ist zunächst einmal ein Bericht über eine 30-jährige Berufskarriere eines Volkskundlers in einem übrigens ganz renommierten Volkskunde-Institut in Amsterdam, dem Meertens-Instituut, ein Bericht, der aber so unglaublich gut geschrieben ist, dass er sehr, sehr unterhaltsam ist.
    Also es passiert im Grunde genommen nur Büroleben in diesem Roman mit so einigen Ausflügen natürlich ins Privatleben, er besucht dann auch Freunde mit seiner Frau Nicolien, die auch eine große Rolle spielt, das Eheleben spielt noch mit hinein. Der Roman ist sehr dialoglastig, Voskuil war ein Meister des Dialogs. Das sind so treffende Dialoge, die oft so komisch sind, dass man laut loslachen muss, selbst als Übersetzer, der das Ganze schon drei-, viermal gelesen hat. Das ist so gut gemacht. Gleichzeitig liegt über diesem Roman wie so eine Firnisschicht eine Traurigkeit, eine Melancholie, dass man also ständig in so einem Wechselbad der Gefühle ist. Diese Melancholie speist sich aus diesem Grundgefühl der Hauptfigur und des Autors eine Arbeit zu machen, die ihn nicht befriedigt, die er sinnlos findet, in einer Organisation, die genauso sinnlos ist und sozusagen sein Leben in einem Kontext zu verbringen, der überhaupt nicht das ist, was er sich einst vorgestellt hat."
    Manche Kritiker, auch in Deutschland, meinen bereits, Voskuil Opus Magnum sei ein erster Klassiker des neuen Jahrtausends. Über Kanonbildung zu spekulieren, ist allerdings schwer. In Holland zumindest rangiert Voskuils "Büro" auf Platz sieben einer Liste der besten zehn niederländischen Romane aller Zeiten. Doch wird er auch in Deutschland überdauern? Busse meint ja.
    "Ich glaube, der Roman wird überleben, weil er wie ein Monolith in der Landschaft steht und ich finde, dass es ein großes Werk der Weltliteratur ist. "
    Das nun muss die Zeit zeigen, aber Voskuils langsam, aber stetig wachsende Popularität, auch hier in Deutschland, könnte ein Indiz dafür sein, dass Busse recht hat.
    Voskuil, J.J.: "Das Büro. Band 7. Der Tod des Maarten Konig",
    Verbrecher Verlag 2017, 24,00 Euro.