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John Connolly: "Stan"
Eine beeindruckende Freundschaft

Die Komiker Stan Laurel und Oliver Hardy haben mehr als hundert Filme gedreht, die auch heute noch unsere Lachmuskeln strapazieren. Sie waren enge Partner am Set und lebenslange Freunde. Davon berichtet der Roman "Stan" des irischen Autors John Connolly.

Von Tanya Lieske | 10.01.2019
    Die amerikanischen Komiker Oliver Hardy (r) und Stan Laurel
    Die amerikanischen Komiker Oliver Hardy (r) und Stan Laurel (AFP FILES)
    Dieser Roman beginnt am Ende eines vollen Lebens. Der Komiker, Theater- und Filmschauspieler Stan Laurel, 1890 in England geboren, schaut im Jahr 1965 auf sein Leben zurück. Sein Filmpartner Oliver Hardy ist bereits vor acht Jahren gestorben, nun fühlt auch Stan den nahenden Tod. Die Todesahnung und der Verlust bestimmen die Tonlage dieses Romans.
    "Im Oceana Apartment Hotel jagt er, während die letzten Tage anbrechen, Erinnerungsschmetterlingen nach. Durch das offene Fenster kommt das Geräusch sich brechender Wellen. Er hat das Meer immer geliebt, ist Langzeitgefangener seines mütterlichen Sogs gewesen. Deshalb lebt er hier in diesem kleinen Apartment. Wenn die letzte Erinnerung von hinnen geht, wird auch er es tun. Tote können sich nicht erinnern."
    Dick und Doof statt Crime und Horror
    Es ist der irische Autor John Connolly, der hier einen so hohen, getragenen Erzählton anschlägt. Connolly, den man sonst eher im Crime und sogar im Horrorgenre antrifft, hat sich mit diesem Roman eine künstlerische Erneuerung gegönnt - und sich einen langjährigen Wunsch erfüllt. Mit Stan und Laurel, die hierzulande als Dick und Doof berühmt wurden, beschäftigt sich der 1968 in Dublin geborene Autor seit seiner Kindheit.
    "Ich bin mit Laurel und Hardy groß geworden, ihre Fernsehfilme gehören zu meiner Kindheit. Als ich dann viele Jahre später mit meinem ersten Buch in Amerika unterwegs war, habe ich einen Buchhändler getroffen, der Stan Laurel noch gekannt hat. Das hat mich komplett überrascht. Stan und Ollie, das waren für mich immer Gestalten, die ich in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren verortet habe. Aber nein, Stan ist erst 1965 gestorben, das war nur drei Jahre vor meiner Geburt! Ich wusste kaum etwas über sein Leben, und dann habe ich Folgendes erfahren: Als Oliver Hardy starb, hat Stan sich geweigert, jemals wieder zu arbeiten. Er ist nie wieder im Fernsehen aufgetreten, hat keine Interviews mehr gegeben, und als ihm ein Ehrenoscar zugesprochen wurde, hat er gesagt, er sei krank und hat sich geweigert, hinzugehen."
    1.500 Briefe wurden gelesen
    Der große Verlust ist die Prämisse dieses Romans, der letztlich, trotz aller Schwenks und biografischen Details, die Geschichte einer Freundschaft ist. Der Roman ist aus Stans Sicht erzählt, was sich in mehr als einer Hinsicht anbietet. Stan Laurel war nicht nur der überlebende Partner. Er war auch, im Gegensatz zu Oliver Hardy, der kaum eine Zeile hinterlassen hat, ein geradezu besessener Briefeschreiber. Rund 1500 Briefe lagern heute im Stan Laurel Correspondence Archive in Kalifornien. John Connolly hat viele davon gelesen als Teil einer Recherche, die an Gründlichkeit kaum zu wünschen übrig lässt. Hinzu kommen etliche Biografien, die seit den 1960er Jahren geschrieben wurden und das Gespräch mit Zeitzeugen. Das Ergebnis: Ein Roman, der manchmal zu bersten droht, so vollgestopft ist er mit Jahreszahlen, Namen, Ereignissen. Man merkt, dass der Autor sich um Vollständigkeit und Faktentreue bemüht hat, auch aus Achtung vor dem Menschen, um den es geht.
    "Wenn man über eine Person schreibt, die gelebt hat, dann hat man ihr gegenüber eine Verpflichtung, es geht um so etwas wie Treue, und es geht um größtmögliche Genauigkeit. Und das kann ziemlich schwer sein. So weit es irgend ging, habe ich versucht, mich mit Spekulationen zurückzuhalten."
    Am Ende bleibt ein Geheimnis
    "Was dieses Buch dennoch von einer Biografie unterscheidet, ist nicht die Menge oder die Ordnung des Erzählten, es ist vielmehr die Haltung des Erzählers. John Connollys Erzähler rückt so nah an Stan Laurel heran, wie es irgend geht. Zugleich bleibt so etwas wie eine letzte Schicht erhalten, die Stan umgibt, die ihn gleichsam vor den Blicken der Leser schützt."
    Menschen sind sehr vielschichtige Wesen. Je länger ich mich mit Stan Laurel und Oliver Hardy beschäftig habe, umso komplexer und außergewöhnlicher wurden die beiden für mich, auch und gerade in ihrer Alltäglichkeit. Darum habe ich mich mit meinen Urteilen zurückgehalten und ich habe auch nicht versucht, den einen Moment zu finden, an dem ihr Genie geboren wurde.
    Am Ende bleibt ein Geheimnis, trotz der ganzen Dokumente, die Stan Laurel hinterlassen hat. Stan hat sich nie über sein Innenleben geäußert, er war ein Kind des Viktorianischen Zeitalters, also jemand, der seine Gefühle nicht ausstellt. Für mich war das so etwas wie eine Detektivarbeit. Ich habe all diese Briefe gelesen und ich habe mir die Interviews angehört, das eine über das andere gelegt. So entsteht ein Gespinst, und man kann sich die Leerstellen ansehen und man kann so etwas wie eine zielgerichtete Vermutung anstellen, was dorthin gehört."
    Er ist nicht Chaplin
    Erzählerisch führt dies ebenfalls zu einem ständigen Wechsel zwischen Nähe und Distanz. Der Roman ist im Präsens erzählt, was ein Hinweis darauf ist, dass John Connolly eine möglichst große Unmittelbarkeit wünscht. Lücken entstehen immer dort, wo der Autor Sinnzusammenhänge herstellen könnte, es aber sichtlich nicht will. Dabei ist John Connolly versiert genug, dieses schwankende Verfahren in seiner Erzählstimme zu reflektieren.
    "Wo ist der Plot?
    Die Antwort lautet: Es gibt keinen. Plots sind etwas für die Bühne. Es gibt keinen Plan, keine offen zutage tretende schicksalhafte Bestimmung. Es gibt nur eine Reihe von Ereignissen, von denen einige miteinander verbunden, andere eigenständig sind, und das nennt man Leben. Schicksal ist etwas für Götter, und er ist bloß ein Mensch.
    "Er ist nicht Chaplin."
    Tatsächlich spielt die Tatsache, dass Stan Laurel nicht Charlie Chaplin war, eine große Rolle in diesem Roman. Hier bricht John Connolly mehrfach mit der sich selbst gebotenen Diskretion. Er beschreibt eine Konkurrenzsituation zwischen den beiden Künstlern, fertig zwei Charakterstudien und schlägt sich freimütig auf die Seite seines Helden.
    Stan Laurel, der ein Jahr jünger war als Charlie Caplin, hat seine künstlerische Laufbahn mit diesem begonnen. Ab 1910 standen die beiden Theaterkomiker bei dem Londoner Theaterproduzenten Fred Karno unter Vertrag. Zwei Mal tourten sie mit Karno in die Vereinigten Staaten. Beim zweiten Mal, das war 1914, blieb der 24 Jahre alte Stan Laurel dort.
    Doch während Chaplin berühmt wurde, sein Stern rasch und rascher stieg, er irgendwann zum bestbezahlten Schauspieler der Vereinigten Staaten wurde, lebte Stan Laurel lange in prekären Verhältnissen. Er musste tatsächlich auf die Filmpartnerschaft mit Oliver Hardy warten, mit dem er zum ersten Mal 1921 vor der Kamera stand.
    #MeToo gab es schon immer in Hollywood
    John Connollys Einwände gegen Charlie Chaplin sollten hier vor dem Hintergrund der MeToo-Bewegung gelesen und gehört werden. Es ist ihm ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, dass Missbrauch in Hollywood kein neues Thema ist. Chaplins Filmpartnerin Lita Grey, mit der er seinen weltberühmten Film The Kid gedreht hat, war gerade mal fünfzehn Jahre alt, als er das Mädchen 1924 schwängerte:
    "Mit Gerüchten, die durch die Luft schwirren, dass man sich gerne mit minderjährigen Mädchen umgibt, kann man zur Not noch umgehen. Aber wenn man ein solches Mädchen schwängert, dann wird es eng. Chaplin sah sich der Gefahr einer Gefängnisstrafe ausgesetzt. Seine Karriere wäre am Ende gewesen, obwohl er ein so mächtiger Mann war. Diese Sache wäre ihm nicht durchgegangen. Sein Verhalten danach ist widerwärtig. Er versucht Lita zu einer Abtreibung zu überreden. Das lehnt sie ab, sie ist eine Katholikin. Dann heiratet er sie heimlich in Mexiko, und auf der Zugfahrt nach Hause sagt er ihr, dass sie sich umbringen solle. Das wäre einfacher, als mit ihm verheiratet zu sein. Was in der Tat die Wahrheit war."
    Chaplin, der Berechnende, ist in diesem Roman so etwas wie der dunkle Gegenpart zu Stan und Ollie, die eher traumwandlerisch und aus Versehen in ihren Erfolg taumeln. In dieser Hinsicht sind sie ihren Leinwandhelden nicht ganz unähnlich. Ihre enge Freundschaft und ihre immense Loyalität zueinander sind so etwas wie das Bindegewebe dieses manchmal kursorischen Romans.
    Ein außergewöhnlicher Akt der Zuneigung
    Auch hier hilft es, dass der Fokus auf Stan liegt. Sein Freund Hardy, der hier konsequent Babe genannt wird, taucht im Roman nur in der Erinnerung der Hauptfigur Stan auf, er ist also vom Leser eine Armlänge entfernt. Und er wird gefiltert durch das Licht einer enormen Zuneigung.
    "Als Oliver Hardy im Sterben lag, konnte er irgendwann nicht mehr sprechen. Er war auch teilweise gelähmt. Und Stan Laurel hat verstanden, wie verzweifelt Oliver Hardy war. Wenn er ihn besucht hat, dann hat er selbst aufgehört, zu reden. Sie werden also plötzlich wieder zu den Stummfilmpersönlichkeiten, die sie einmal gewesen waren, sie kommunizieren mit ihren Augen und mit ihren Gesten, und das ist für mich ein außergewöhnlicher Akt der Zuneigung, sogar der Liebe, die dieser eine Mann dem anderen bewiesen hat."
    Dabei scheint es auch im Leben so gewesen zu sein, dass ihre Unterschiedlichkeit sie verbunden hat. Oliver Hardy war der bessere Filmschauspieler. Ein Heben der Augenbraue sagt bei ihm manchmal Alles. Stan hingegen kam aus dem Vaudeville-Theater, er beherrschte die großen Gesten für die letzte Reihe. Aber er verstand die Mechanik der Komödie. Er schrieb tausende von Gags für ihre Filme und kümmerte sich um Regie und Schnitt.
    "Stan und Ollie haben sich nie wegen des Geldes in die Haare gekriegt. Stan Laurel hat mehr Geld bekommen, weil er sich mit der Produktion und den Skripten und der Regie befasst hat. Oliver Hardy war in der Zeit lieber auf dem Golfplatz oder in Spielhallen unterwegs, er hat seinem Partner das Geld gegönnt. Stan Laurel wiederum ist sehr großzügig, wenn es um den Auftritt geht, er gönnt seinem Partner die besten Momente. Es gab da keinen Neid zwischen ihnen, sie haben sich vorbildlich verhalten."
    Oliver Hardy konnte jähzornig sein
    Was keineswegs heißt, dass die beiden lichtumflorte Persönlichkeiten waren. Oliver Hardy konnte jähzornig sein und Stan Laurels Verhältnis zu Frauen muss, um es gelinde zu sagen, kompliziert gewesen sein. Er war fünf Mal verheiratet, zwei Mal mit derselben Frau; er hatte eine langjährige eheähnliche Beziehung, die er auf Anraten seines Produzenten beendete, und eine außereheliche Affäre mit der französischen Schauspielerin Alice Ardell, die drei Ehen überdauerte.
    John Connolly enthält sich auch hier aller Urteile. Er stellt in seinem Roman die tragikomischen Konsequenzen dieser Wankelmütigkeit heraus. Irgendwann ist Stan Laurel trotz aller Erfolge, trotz aller Berühmtheit, ein Mensch, der mit dem Scheitern ringt, finanziell wie emotional.
    Ehrlich gesagt, ich habe auch erst unterwegs erfahren, wie kompliziert das mit Stan und den Frauen war ... er war wohl ein Mann, der sehr gerne Zeit in einer Partnerschaft verbrachte. Er war gerne verheiratet, er mochte die Sicherheit einer Ehe, und die Stabilität, die damit einherging. Das erlaubte es ihm, künstlerische Wagnisse einzugehen. Es gibt da diese Aura von Einsamkeit, der immer um ihn liegt, auch von Unsicherheit. Er hat also lieber die falsche Frau geheiratet als alleine zu sein, er brauchte einfach eine Frau in seinem Leben."
    Ein Roman, der lange nachhallt
    Was im Umkehrschluss bedeutet: Oliver Hardy ist die feste Konstante in Stan Laurels Leben. Kein Zweifel, diese Freundschaft ist das stille Zentrum des Romans, gerade weil sie nie ausgesprochen und nicht ausgestellt wird, sie ist einfach immer da. Insofern ist John Connolly Roman "Stan" nicht nur als Verbeugung vor zwei großen Künstlern zu lesen, sondern als eine Hommage an die Freundschaft an sich. Wenn es dem Leser, der Leserin gelingt, sich nicht von dem Wust an Fakten und Ereignissen ablenken zu lassen, wenn er bereit ist, sich auf einige erzählerische Längen einzulassen, dann wird er zu diesem Zentrum durchdringen. Und erfahren, dass "Stan" ein Roman ist, der noch lange nachhallt.
    John Connolly: "Stan", aus dem Englischen von Gottfried Röckelein, Rowohlt Verlag, Hamburg, 528 Seiten, 24 Euro