Dienstag, 23. April 2024

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John Hopkins am Akademietheater
Seelendrama statt Spannung

von Hartmut Krug | 29.01.2016
    Der Abend beginnt in bedeutungsvoll schwärzester Dunkelheit bei leise dräuender Musik: Ein Mann stolpert nachts durch sein Wohnzimmer, kracht immer wieder zu Boden und zerschlägt einiges Mobiliar, bis er durch das Öffnen der Hausbar etwas Licht und viel Gin bekommt. Das Zimmer: ein Spießertraum, bestimmt von einer bühnenbreiten Schrankwand mit einer Unmenge von Figürchen. Lauter Porzellanweiber, von der Schwiegermutter geschenkt, schimpft der Mann gegenüber seiner Frau. Dass sie im Morgenmantel und mit Lockenwicklern im Haar vor ihm steht, bringt ihr sein böses und sexuell frustriertes "Du siehst beschissen aus" ein. So beginnt eine Zimmerschlacht der heftigen Worte und krassen gegenseitigen Handgreiflichkeiten. Es geht um die Bilder meist sexueller Untaten und toter Opfer, die der Mann, der Polizeisergeant Johnson, nach zwanzig Dienstjahren nicht mehr aus seinem Kopf bekommt. Die Frau will ihm helfen und fleht ihn immer wieder vergeblich an, "sprich mit mir". Doch die beiden prügeln aufeinander ein, mit Worten und Fäusten. Dann kommt der Anruf eines Kollegen aus dem Krankenhaus: Der als Mädchenschänder verdächtigte Gefangene, den Johnson während eines Verhörs schwer misshandelt hat, ist gestorben.
    John Hopkins 1968 in London uraufgeführtes Stück ist ein hyperrealistisches Erzähldrama mit langen szenischen Beschreibungen und weitschweifigen Figuren-Erklärungen. Was steckt nicht alles in Hopkins´ Text: Beredte Sprachlosigkeit und das Problem, dass sich Täter und Opfer gedanklich annähern könnten. Reflexionen über die Ausübung von Macht, aber zugleich auch einfach nur spannende Krimihandlung. Man versteht schon bei der Lektüre, warum "Diese Geschichte von ihnen" nicht oft in Deutschland gespielt worden ist, - die Wiener Inszenierung von Regisseurin Andrea Breth ist die erste österreichische Aufführung überhaupt. Breth verweigert dem Stück jede Schnelligkeit und letztlich auch die Krimispannung. Sie malt vor allem die Haltungen und die Psychologien der Figuren präzise und langwierig aus, wodurch allerdings die über dreistündige Inszenierung immer mal wieder so redundant wie bedeutungsvoll durchhängt
    Anstelle einer kriminalistischen Spannung entdeckt Breth vor allem das bewegte existenzielle Seelendrama. Das aber nur funktioniert, weil sie außergewöhnliche Schauspieler zur Verfügung hat. Wunderbar zugleich konzentriert wie beiläufig stellt Andrea Clausen als Frau des Sergeants deren innere Leere aus. Überragend, wie Nicholas 0fczarek so massig wie kräftig, so gewalttätig aufbrausend wie in sich zusammenfallend, so selbstbewusst wie verzweifelt als Sergeant Johnson agiert. Wenn er den Chefinspektor, der ihn nach dem Tod des Verdächtigen kritisch befragt, mit dem Satz "So helfen sie mir doch" anfleht, zieht sich dieser auf seinen Rang zurück. Johnson aber sucht Hilfe, wenn er gesteht, "ich musste ihn umbringen", und fragt flehend, wie er mit den "zehn Millionen Scheißbildern" in seinem Kopf umgehen soll. Dagegen gibt Roland Koch dem Inspektor eher äußerliche Kontur, indem er, dauernd kauend und rauchend, zwischen Jovialität und Verweigerung schwankt.
    Der Kampf mit dem Gefangenen, dem Grundstücksmakler Baxter, den Johnson für den Mädchenschänder hält, ist als Rückblick an den Schluss des Stückes gesetzt. Unter einer scheinbar harmlosen Verhörsituation lauert die Aggression: "Sie haben Angst vor mir. Sie wissen, dass ich sie zum Reden bringen werde. Baxter, bevor sie diesen Raum verlassen haben, werden sie mich auf Knien bitten, ihnen zuzuhören. Ich werde ihnen die Augen öffnen über das, was sie heute Nacht getan haben. Was dieses Kind von ihnen zu spüren gekriegt hat, das werde ich sie spüren lassen."
    Aufregend und körperlich heftig an Grenzen gehend kämpfen dann die beiden gegeneinander: Der vielleicht unschuldige, als pädophiler Mörder verhaftete Baxter, den August Diehl immer wieder aus der Sicherheit des sozial und intellektuell Überlegenen kippen lässt, und dagegen Nicholas Ofcarek als Sergeant, der mit Worten, Psychospielchen und immer mehr körperlicher Gewalt gegen den ihm analytisch überlegenen Gefangenen agiert.
    Wenn der Sergeant entdeckt, wie sehr er die Sexual-Verbrechen, die er Baxter zuschreibt, vielleicht selbst gern begehen wollen könnte, muss er seinen Verdächtigen töten. Offen bleibt, ob Baxter schuldig war oder nicht, und offen bleibt, was mit Sergeant Johnson passiert. Das Publikum feierte Andrea Breth und ihre Schauspieler heftig.