Freitag, 19. April 2024

Archiv

John Updike: "Über Kunst / Schriften 1979 - 2008"
Anregender Streifzug durch die Kunstgeschichte

Schriftsteller John Updike war auch ein talentierter Zeichner. Die Liebe zur Kunst lebte er in Beiträgen für Zeitschriften wie den New Yorker aus. Diese Essays sind nun erstmals auf Deutsch erschienen - ein anregender Gang durch die Kunstgeschichte von Riemenschneider über Monet bis Hopper.

Von Paul Stoop | 12.02.2019
    Der amerikanische Schritsteller John Updike und sein Buch "Über Kunst / Schriften 1979 - 2008"
    Erstmals auch auf deutsch: John Updikes Essays über Kunst (Foto: dpa/ picture alliance / Michael Probst / Cover: Piet Meyer Verlag)
    Ein schlaksiger, kurzbehoster Junge sitzt auf der Veranda eines typischen amerikanischen Holzhauses in der Sonne. Er ist in ein kleinformatiges Buch vertieft - erkennbar ein Comic-Buch. Das Foto des jungen John Updike, Auftakt zu diesem Sammelband mit Kunst-Essays aus drei Jahrzehnten, zeigt: für ihn ist beides wichtig, Text und Bild.
    Als Zwölfjähriger im MoMA
    Der einleitende Artikel "Was das MoMA mir mitgegeben hat" unterstreicht Updikes frühes Doppel-Interesse. Der Zwölfjährige, der im heimatlichen Provinzstädtchen von einem Nachbarn Zeichenunterricht bekam, besuchte mit einer Tante das New Yorker Museum of Modern Art und war fasziniert vom Geist, den er Jahrzehnte später noch nachempfinden konnte:
    "Eine (...) dem Cartoon verbundene künstlerische Atmosphäre muss im MoMA geherrscht haben. Denn ich fühlte mich dort nicht beklommen - vielmehr hatte ich das Gefühl, an den Gestaden einer Insel unter strahlendem Himmel gelandet zu sein, jenes erhabenen Paradieses der Penthäuser, Blitzlichter, des stromlinienförmigen Dekors und der schräg sitzenden Zylinderhüte, kurz: all dessen, was Hollywood (...) der breiten Masse als New York verkaufte."
    Beeindrucken, ohne einzuschüchtern
    Das Talent sich beeindrucken zu lassen, ohne dabei eingeschüchtert zu sein, ist dem späteren Schriftsteller nicht abhanden gekommen. Dieser hatte einen großen Vorteil: Er war John Updike. Als hoch respektiertes ehemaliges Redaktionsmitglied des New Yorker und zunehmend bekannter Großautor hatte er die Möglichkeit, alles zu thematisieren, was ihm wichtig war. Er schrieb für die großen Zeitschriften wie The New Republic und die New York Review of Books wie für Antiquitäten- und Reisezeitschriften.
    Davon profitiert auch diese Auswahl, die die Vielfalt von Updikes Interessen unterstreicht: Es gibt knappe Betrachtungen, etwa über ein Reliquiar aus dem 12. Jahrhundert und über Cranachs Adam und Eva, deren Haut von "keinem Abdruck eines Badeanzugs (...) gestreift" wurde. Und es gibt ausführliche Berichte über Blockbuster-Ausstellungen sowie biografische Skizzen über Kunstsammler und Cartoonisten.
    Selbstbewusst steht der Bürger im Ratssaal
    In drei der vier Titel, unter denen Updikes Essays über Kunst im amerikanischen Original gebündelt wurden, kommt das Wort "Looking" vor: "Just Looking", "Still Looking", "Always Looking". Hier spricht kein Theoretiker oder Kunsthistoriker, sondern ein lustvoller Betrachter.
    Dabei ist Updikes Blick präzis. Er analysiert Material, Technik, Gestus, kenntnisreich nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen künstlerischen Ausbildung. Im Blick ist dabei auch der gesellschaftliche Kontext. Die Bilder des Delfter Malers Pieter de Hooch, eines der Meister des 17. Jahrhunderts, wirken erst mal zurückgenommen, fast kühl. Aber es steckt mehr im stillen Bild vom Paar in einem Garten oder dem Gemälde des neuen Amsterdamer Ratssaals. Updike erkennt das stolz-republikanische Selbstbewusstsein im Ratssaal und die Bedeutung bürgerlicher Autonomie in der Darstellung des Paares.
    "Auch wenn sie auf nüchternere Weise die Einzelheiten abbilden als irgendein Bild von Vermeer, so übersteigen Gemälde wie diese das Anekdotenhafte der Genremalerei und betreten die Ebene der reinen Malerei - 'rein', weil es kein passenderes Wort gibt für Bilder von interesseloser Ergründung und Meditation. Der Spritzer goldenen Lichts fügt der republikanischen Pracht des Rathauses oder dem pittoresken Anblick des Paares so gut wie nichts hinzu; doch es steigert in gehörigem Maße unseren Sinn für die Zeit und das Universum."
    Gegen den Kommerz
    Dem Schriftsteller Updike wurde manchmal unterstellt, er sei nur ein sehr guter Stilist, was soviel heißen sollte wie: blutleer. Wie unhaltbar diese Charakterisierung ist, zeigen diese Essays, deren Ton auf Empirie und Empathie beruht. Updike war sich der Bedeutung der eigenen künstlerischen Ader beim Schreiben selbst bewusst, wie die kleine Abhandlung "Schriftsteller und Künstler" zeigt:
    "Wenn ich (...) mit dem Federhalter wieder nasse Linien über die Bleistiftzeichnung auf dem makellosen Zeichenpapier ziehe, kehrt die alte Aufregung zurück - da ist die funkelnde, zügige Genauigkeit, die Gefahr, etwas zu verwischen; da sind das Zittrige und das Entschlossene, die den Linien Leben einhauchen. Beim Zeichnen tauchen wir unmittelbar in die physische Wirklichkeit ein."
    Wohlwollen und Milde lässt Updike nicht immer walten. Auf die 1987 gehypte Ausstellung hunderter "Helga"-Akte von Andrew Wyeth blickt er leicht ironisch - wegen der zweifelhaften künstlerischen Qualität und den öffentlichen Spekulationen über die Liebesbeziehung zwischen Maler und Modell. Oder er ärgert sich über manches Detail im kommerzialisierten Ausstellungsbetrieb. Seine Seitenhiebe wirken aber eher amüsiert als giftig, wenn er sich etwa bei der Vertiefung in die Feinheiten von Monets Wolken- und Landschafts-Reihen gestört fühlt:
    "Mit Monets Bildserien bietet sich uns die Gelegenheit, gleichsam von innen einen Blick auf die Möglichkeiten des Malers zu werfen und sein Vorgehen bis zu einem gewissen Grade in seine Einzelteile zu zerlegen; doch die vielen auf- und abwippenden Köpfe und all die Zombies mit ihren Audioguides (...) stören die eigene Wahrnehmung dieser nahezu menschenleeren Landschaftsporträts."
    Für deutsche Leser sind die Beiträge über amerikanische Kunst besonders aufschlussreich. Updike erweist sich als kluger Vermittler, der lange Traditionslinien einer relativ jungen Nation herausarbeitet.
    Die Geburt der Kunst in Amerika
    Vom Werk John Copleys ausgehend, charakterisiert er im Essay "Die Klarheit der Dinge" ein Hauptmerkmal der amerikanischen Kunst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Während die europäische Kunst das Malerische und Theatralische betone, habe im Pionierland Amerika das Reduzierte und Lineare vorgeherrscht, Gebrauchskunstfertigkeit eben, mit seiner Schildermalerei und einfachen Druckerzeugnissen.
    "Diesen Arbeiten fehlt eine glaubhafte Atmosphäre und das Dreidimensionale. Sie waren, wenn man so will, zweieinhalbdimensional."
    John Copley ging weit darüber hinaus und wurde der erste amerikanische Künstler im modernen Sinn. Er zeigte auch Fülle und Intensität. Das Lineare wirkte aber auch bei ihm nach:
    "In der merkantilen Welt der amerikanischen Kolonien, in denen es kaum Kunst gab, muss Copleys üppiger Realismus ein fairer Kompromiss gewesen sein, bei dem eine Wertzuschreibung über glänzende Materialien und haarkleine Details erfolgte."
    Die Essays sind im Duktus persönlich. Updike steht unerschütterlich, aber unaufgeregt zu seiner Liebe zum Figurativen. Den Zeitgenossen Richard Diebenkorn, auch ein Künstler, der sich mit Bedacht vom New Yorker Kulturbetrieb fernhielt, hat er als Grenzgänger zur Abstraktion gerade noch wahrgenommen und gewürdigt.
    Ansteckende Begeisterung
    Der Leser wird nicht bevormundet, kann sich aber anstecken lassen von der Begeisterung, an die sich Updike so lange nach jenem ersten Besuch des MOMA erinnert, als es ihm George Braques "Frau mit Mandoline" besonders antat:
    "Ich war verzaubert (...) von der Freiheit und Unverfrorenheit des Gemäldes. Ich freute mich, dass so etwas möglich war."
    Diese Verzauberung ist spürbar in allen Essays dieses von Antje Korsmeier sorgfältig herausgegebenen, übersetzten und kommentierten Bandes. Die Beiträge zeugen von Updikes Kenntnisreichtum, seinem wohlbegründet eigenwilligen Blick und seinem Respekt vor der Würde des Kunstwerks und des Künstlers. Beim nächsten Museumsbesuch wird es dem Leser schwerfallen, nicht auch an den Betrachter John Updike zu denken.
    John Updike: "Über Kunst. Schriften 1979-2008"
    Piet Meyer Verlag, Wien/Zürich
    356 Seiten, 28,40 Euro.