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Jongleur mit Wörtern

Wer in Deutschland mehr als drei Sprachen fließend spricht, gilt bereits als Ausnahmetalent. Der Bonner Student Sebastian Heine übertrumpft dieses Maß um das Zehnfache. Als sein Erfolgsrezept nennt er schlicht Fleiß und den regelmäßigen aktiven Sprachgebrauch.

Von Martin Koch | 22.08.2007
    ""Mein Geliebter opferte sich fürs Vaterland, aus dem Haar der Locken webe ich ihm das Leichentuch.""

    Wenn Sebastian Heine paschtunische Gedichte rezitiert, verklärt sich der Blick des 22-Jährigen:

    "Das Pashto ist süß, gleichzeitig sehr herb. Das Pashto kann unglaublich feinfühlig sein und andererseits sehr hart und männlich, das Pashto lebt, es schreit, es weint, es freut sich, es stöhnt, es stirbt."

    Pashto ist seine Lieblingssprache: Und das will wirklich was heißen, denn alles in allem spricht Sebastian Heine etwa 35 Sprachen: Altpersisch, Sogdisch, Sakisch, Aramäisch – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Das beeindruckt viele, doch der schlanke Mann mit den braunen Locken wehrt sich gegen zuviel Ehrfurcht: Er sei zwar ein Exot, aber auf keinen Fall ein Genie:

    "Es ist nicht das Ingeniöse, das man das einfach so kann, es ist der Fleiß, die Arbeit. Ich sitze jeden Tag Stunden über diesen Sprachen, jeden Tag wiederhol’ ich die Grammatik, jeden Tag lern’ ich Vokabeln, ich treffe jeden Tag diese Menschen und über die Sprache im aktiven Gebrauch, es ist einfach eine verdammte Fleißarbeit."

    Schon als 15-Jähriger las Sebastian Heine im Schulunterricht Homer im Original. Als er hörte, dass Griechisch eng mit Sanskrit verwandt sei, lernte er auch diese Sprache. In der Folgezeit tauchte der Sohn eines Historikers immer tiefer ein in die Welt der Sprachwissenschaft – und berichtet begeistert von unerwarteten Zusammenhängen:

    "Konzepte, wie wir sie in den althochdeutschen Merseburger Zaubersprüchen finden: Das ist ein Spruch, wo es heißt Bein zu Bein, Blut zu Blut, können wir verknüpfen mit Zaubersprüchen in Griechenland und im alten Indien. Ein Konzept wie in den Merseburger Zaubersprüchen gab es also aufgrund des Sprachvergleiches vermutlich schon in der neolithischen Zeit!"

    Dass er schon damals nur Wenige für seine Passion begeistern konnte, machte Sebastian Heine nichts aus. Jahr für Jahr lernte er drei bis vier Sprachen aus dem Nahen und Mittleren Osten hinzu. Das fand er spannender als Diskobesuche mit seinen Klassenkameraden. Auch bei seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen gilt der gebürtige Thüringer als schräger Vogel (oder sympathischer Kauz?). Doch er ist glücklich, wenn er jeden Tag für Stunden in der Bibliothek Sprachen studieren kann. Und danach beginnt der andere Teil seines Studentenlebens:

    "Ich verbringe Tage, Stunden mit Paschtunen, Persern, ich ziehe mit Menschen, die hier wohnen, die hier heimisch geworden sind, um die Häuser. Stellen Sie sich mal vor, Sie leben ganz normal, feiern Partys, treffen Menschen, erleben interessante Dinge, aber eben nicht auf Deutsch, sondern auf Pashto, Persisch oder Urdu."

    Äußerlich unterscheidet sich Sebastian Heine von seinen paschtunischen Freunden vor allem dadurch, dass er zu jeder Gelegenheit einen Anzug trägt. Aus ästhetischen Gründen, wie er sagt. Allerdings: Eine kleine Annäherung an das Erscheinungsbild der Paschtunen sprießt, wenn auch noch etwas zaghaft, in seinem Gesicht.

    "Diese Parodie auf einen Bart?! Ja, ich gebe zu, ich habe ihn mir ein bisschen stehenlassen mit dem bescheidenen Ergebnis, wie sie jetzt sehen, als kleine Reminiszenz, ja."

    Über seine Zukunft macht sich der 22-Jährige viele Gedanken. Kein Wunder, hat er doch gerade seine Magisterarbeit abgegeben. Mit seinen Sprachkenntnissen hätte er angesichts der aktuellen Lage in Afghanistan beim Militär oder in Wirtschaftskonzernen sicher beste Chancen, doch Sebastian Heine will sich seine Unabhängigkeit als Forscher bewahren. Ende des Jahres wird er erstmal als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes nach London gehen, um an der renommierten School of Oriental and African Studies seinen Doktor zu machen. Und was danach kommt – dafür hat er schon einen ganz persönlichen Wunschzettel:

    "Afghanistan wäre mein geheimer Traum, weil die Arbeit, die es dort zu tun gilt, rein wissenschaftlicher Art, die Dialekte aufzuarbeiten, die Sprachen, über die es noch keine Grammatiken gibt, ihre Geschichten, Märchen, Sagen, Dichtung, das wäre unglaublich reizvoll. Und so Gott will, ‚Inshallah’, wie meine Paschtunen sagen würden, ändert sich die Situation in der Zukunft und es ergibt sich eine Chance."