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Joost Zwagerman: "Gimmick!"
Die Kunst ist tot. Punkt.

Geld, Renommee, Überheblichkeit: Die Kunstszene, wie sie in "Gimmick!" porträtiert wird, war bereits Ende der 1980er-Jahre ein Bassin für Prahler und Preller. In seinem erstmals 1989 erschienenen Roman schickt Joost Zwagerman seinen Jung-Künstler Raam durch die Hölle der Attitüden.

Von Samuel Hamen | 13.05.2019
Zu sehen ist der Autor Joost Zwagerman und das Cover seines Buches "Gimmick!"
Der Schriftsteller Joost Zwagerman und "Gimmick!" (Autorenfoto: Keke Keukelaar /Cover: Weidle Verlag)
Der titelgebende Nachtclub "Gimmick!" fungiert in Joost Zwagermans Roman als eine Art Schaltzentrale der Dekadenz: Von hier aus lanciert eine aufstrebende Künstler-Clique aus Amsterdam Ende der 1980er Jahre ihre Operationen. Zur Bande gehört auch die Hauptfigur Walter van Raamsdonk, genannt Raam, ein niederländischer Künstler Mitte zwanzig, dem das Gehabe seines Milieus längst ins Blut übergegangen ist.
Koks ist die Grundlage, Whiskey der dämpfende Zusatz, ab und zu folgt eine Pille Ecstasy für den Energieschub. Wenn es denn sein muss, führt er dazwischen Null-Gespräche über Kunst, Frauen oder Hollywood-Filme. Eigentlich ist das Thema egal, hinter einem solchen Substanz-Schleier wird alles zum nichtigen Gesprächsanlass.
Ein wenig gelangweilt, ein wenig desorientiert und ein wenig verzweifelt klappert Raam die Stationen eines spaßdurchtränkten und zugleich inspirationslosen Lebens ab – hier eine Ausstellungseröffnung, dort eine Privatfeier. Wir besuchen den Drogen-Dealer im Premium-Loft, die Mutter im Reihenhaus, schließlich den Kumpel in der Psychiatrie.
Der Roman ist dabei so ziellos wie das Umhergetrotte seiner Hauptfigur. Wohin sollte es auch gehen? Der einzige Fixpunkt in Raams Alltag ist Sammie, die Ex-Freundin, die er einfach nicht vergessen kann.
"Sie wirft den Zigarettenstummel auf den Gehsteig. Im Treppenhaus ist alles bunt angestrichen. Blau und Violett. Sie passt nicht mehr auf mich auf. Aber sie sieht wieder so wunderschön aus. Jeans und ein weißes Poloshirt, wie das Mädchen in der Levi’s-Reklame, die mit dem Eddie-Cochran-Double, (…) früher sah Sam, Sammie, Suzan, früher sah sie mich manchmal mit einem Blick an, mit dem sie hätte berühmt werden können, und wenn sie mich so ansah, dann fühlte ich mich ebenso schön, wie sie war."
Über diese zwar gescheiterte, aber nie aufgegebene Beziehung schmuggelt der Autor den Restbestand an Hoffnung in seinen Text – und bewahrt ihn dadurch davor, zur bloßen Übung in süffisantem Nihilismus zu werden. Raam wird hierfür als Kippfigur installiert: Einerseits ist er bereits der Show-Off-Mentalität seiner Umgebung verfallen, andererseits klammert er sich als unbelehrbarer Romantiker an die Transzendenz einer großen Idee. Er trauert Sammie hinterher, die er zur Liebe seines Lebens stilisiert, und lässt sich von seinem vermeintlich besten Freund Groen ein ums andere Mal beschwatzen und belügen.
Demontage einer glänzend armseligen Welt
Tatsächlich ist in "Gimmick!" von Liebe und Freundschaft keine Rettung zu erwarten, da kann sich sein Protagonist noch so sehr zum gutherzigen Affen machen. Auch die Kunst mit ihrem riesigen Reservoir an Idealen ist im Amsterdamer Museums- und Galerie-Betrieb zum Tummelplatz von Karrieristen, Zynikern und Strategen verkommen. Für Frauen ist in dieser Kunstmackerwelt natürlich kein Platz vorgesehen. Nur als Musen-Anhängsel oder Sex-Trophäen sind sie innerhalb der Clique der Rede wert, die – chauvinistische Idiotie verpflichtet – nebst sexistischen auch homophobe Sprüche klopft.
Die Demontage dieser glänzend armseligen Welt erfolgt dabei nicht durch die eine erhaben gute Figur, die alle in den Schatten stellt. Zwagermans Talent besteht darin, die Dummheit sich selbst entlarven zu lassen, indem er seine Figuren mal desolat, mal deppert, dann wieder niederträchtig vor sich hinplappern und -stolpern lässt. Die Leser und Leserinnen werden zu Voyeuren eines allmählichen Scheiterns, während Raam auf seiner tour de tristesse durch Galerien auf Teneriffa zieht und eine Schulfreundin in Florenz besucht, immerzu auf der romantischen Suche nach einer raison d’être abseits von Sex, Drogen und Kunst-Gehube. Besonders die fiesen Dialoge zwischen den Künstler-Fuzzis stechen dabei heraus. Hier wird der lächerliche Habitus einer Szene als Getänzel um eine leere Mitte vorgeführt:
"'Ich meine', sagt Eckhardt, 'was macht dieser Bleichfeld denn? Schlaue Bilder, okay. Ranschmeißerische Kruzifixe. Geschickt, sehr geschickt, derartige Arbeiten werden auf dem Markt gut nachgefragt, er verdient mit diesem Coup in Nullkommanichts fünfundsiebzigtausend. Er weiß nämlich wie alle anderen Schlauköpfe auch, daß man zur Zeit alles machen kann und daß sich niemand mehr über irgendwas wirklich wundert und daß alle alles kaufen.'"
Der Kunstmarkt als Kram-Maschinerie
Veröffentlicht wurde der Roman, der von Gregor Seferens aus dem Niederländischen übersetzt wurde, 1989, am Ende eines problembeladenen Jahrzehnts, wie der Romancier und Lyriker Victor Schiferli im Nachwort zu Zwagermans Leben und Werk ausführt:
"Eigentlich war es auch schon in den achtziger Jahren so, daß man dieses Jahrzehnt nicht als eine gute Zeit empfand. Gründe dafür waren die damals in den Niederlanden herrschende hohe Arbeitslosigkeit, die Aussicht, daß man als junger Mensch nicht nur keine Arbeit, sondern auch keine Wohnung finden würde, die über allem schwebende Gefahr eines Atomkriegs sowie die Musik von Bands wie Joy Division und The Cure. […] Die Wut und Enttäuschung, die viele Jugendliche damals verspürten – No future lautete die Parole, die an vielen Wänden zu lesen stand –, sollte noch lange ein vorherrschendes Gefühl sein."
Als Dokument einer zwangshedonistischen, zugleich illusionslosen Mentalität ist "Gimmick!" auch dreißig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung äußerst lesenswert – über den Pop-Tonfall hinaus, der in seiner ruppig-dahingerotzten Schnelligkeit zwar zu bezirzen weiß, aber schnell historisch, ja museal klingt. Diese Staubschicht, die sich über den Stil gelegt hat, verhindert indes nicht, Zwagermans Figur bis zuletzt auf ihrem aberwitzigen, zugleich tragischen Weg durch den Kunstmarkt zu folgen, der als kapitalistische Kram-Maschinerie auf Hochtouren läuft und läuft und läuft, ohne Rücksicht auf jene zu nehmen, die sich in seinem Getriebe verfangen und aufreiben.
Joost Zwagerman: "Gimmick!", aus dem Niederländischen von Gregor Seferens, mit einem Nachwort von Victor Schiferli, Weidle Verlag, Bonn, 288 Seiten, 23 Euro