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Jordanien und der IS
Kampf um die Deutungshoheit im Islam

Der Mord an dem jordanischen Kampfpiloten Moaz al-Kasasbeh hat die arabische Welt stark erschüttert. Die Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" verbrannten ihn bei lebendigem Leib - und maßten sich damit eine Bestrafung an, die ein Mensch dem Islam zufolge nicht verhängen darf.

Von Carsten Kühntopp, ARD | 07.02.2015
    König Abdullah II. von Jordanien in Militäruniform
    Jordaniens König Abdullah II. lässt seine Luftwaffe Angriffe auf Stellungen der Terrormiliz "Islamischer Staat" fliegen. (picture alliance / dpa/ Maurizio Gambarini)
    Um es mit der wohl reichsten Terrororganisation in der Geschichte aufzunehmen, ist Jordanien in einer schlechten Position: Das Land ist nicht sehr groß, hat keine Bodenschätze, erfährt andauernde Spannungen zwischen alteingesessenen Einwohnern und hinzugezogenen Palästinensern - und die hunderttausenden syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die Jordanien bisher aufgenommen hat, belasten die Ressourcen des Sechseinhalb-Millionen-Volks weit über Gebühr.
    Reichste Terrororganisation in der Geschichte
    Und dennoch: König Abdullah der Zweite ist ein entschlossener Mitstreiter in der internationalen Anti-IS-Koalition - weniger, weil es die strategische Partnerschaft mit den USA so verlangt, sondern aus tiefer Überzeugung. So deutlich und so früh wie kein anderer Staatenlenker in Nahost hat Abdullah klar erklärt: Der Kampf gegen den IS ist ein Kampf um die eigenen Werte, nicht um die des Westens. Der Monarch Anfang Dezember in einem Fernsehinterview:
    Ein jordanisches Flugzeug startet am 5.2.2015 von einer Basis.
    Jordanien hat seine Luftangriffe auf Stellungen des IS nach der Ermordung eines Piloten intensiviert. (pa/dpa/JORDAN NEWS AGENCY)
    "Das ist ein muslimisches Problem, für das wir die Verantwortung übernehmen müssen. Wir müssen aufstehen und sagen, was richtig und was falsch ist. (Der IS) ist kein Spiegel unserer Religion - er ist das Böse. Das ist unser Krieg, ein Krieg innerhalb des Islam. Wir müssen uns das eingestehen und die Führung übernehmen und anfangen, zurückzuschlagen."
    IS kein Spiegel der Religion
    Diesen Krieg wird der König allerdings nicht nur im Irak und in Syrien, sondern auch zu Hause führen müssen. Zwar gibt es keine genauen Daten - bekannt ist aber, dass sich im Laufe der Jahre hunderte junge Jordanier auf den Weg gemacht und sich dem IS beziehungsweise dessen Vorgängerorganisation angeschlossen haben. Einige der bekanntesten Dschihadisten aus dem Al-Kaida-Spektrum waren oder sind Jordanier.
    Aus Sicht von König Abdullah hat der Kampf gegen den IS drei Zeitdimensionen: Die kurzfristige sei eine Frage der Sicherheit und die mittelfristige eine des Militärs - die langfristige sei jedoch eine Frage der Ideologie und der Religion.
    Allein die Sicherheit zu gewährleisten, ist eine Herausforderung: Jordaniens Grenzen zu Syrien und dem Irak sind lang und kaum zu überwachen. Zudem stehen die Fanatiker des IS längst direkt auf der anderen Seite. Die übergroße Zahl von Flüchtlingen in Jordanien ist eine Quelle von Instabilität, die Angst, dass sich Dschihadisten unter sie gemischt haben könnten, als Schläfer, ist real. Doch der jordanische Geheimdienst gilt seit jeher als tüchtig und fähig - genauso auch die Streitkräfte. Nördlich der arabischen Staaten am Persischen Golf ist Jordanien das einzige Land der Region, in dem es keine Milizen gibt - in dem der Staat also tatsächlich das Gewaltmonopol hat, eine bemerkenswerte Errungenschaft.
    Obskure Lehren des IS
    Der grausame Tod des jordanischen Kampfpiloten Moaz al-Kasasbeh hat in seinem primitiven Sadismus die arabische Welt erschüttert, wie zuvor wohl kein anderes spektakuläres Verbrechen in der Region in den vergangenen Jahren. Einer der Gründe dafür ist, dass der junge Mann bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Einen Menschen zu verbrennen, in das Feuer zu schicken - dies ist im Islam eigentlich Gott vorbehalten. Der IS maßte sich also an, eine Strafe zu verhängen, die ein Mensch nicht verhängen darf.
    Der Vater des jordanischen Piloten Muath al-Kasaesbeh (2.v.l.) bei einer Trauerfeier für seinen Sohn
    Der Vater des jordanischen Piloten Muath al-Kasaesbeh (2.v.l.) bei einer Trauerfeier für seinen Sohn (picture alliance / dpa / Jamal Nasrallah)
    Wie sich die Dschihadisten für solche und ähnliche Taten rechtfertigen, schildern die Autoren Michael Weiss und Hassan Hassan in einem Buch über den IS, das kürzlich erschienen ist:
    "Wir stellten fest, dass der IS die Hauptströmung des Islam, den die Muslime heutzutage praktizieren, als etwas darstellt, das während der letzten Jahrzehnte erfunden worden ist. Um diesen sogenannten "erfundenen Islam" zu kontern, gräbt der IS tief in die Sharia und in die Geschichte, um obskure Lehren hervorzuziehen, deren Bedeutung dann aufgeblasen wird."
    Genau nach diesem Muster verfasste ein Rechtsgelehrter des IS bereits zwei Wochen vor der Veröffentlichung des Tötungsvideos ein Gutachten, in dem er darlegte, dass die Verbrennung eines Menschen als Strafe religiös gesehen völlig in Ordnung sei.
    Beispiellose Brutalität des IS
    Die allermeisten Muslime im Nahen Osten sind von der beispiellosen Brutalität des IS genauso abgestoßen, wie es die allermeisten Europäer sind, allein schon aus menschlichem Mitgefühl für die Opfer. Was sie aber darüber hinaus zutiefst wütend macht, ist die Dreistigkeit, mit der sich der IS "ihrer" Religion bemächtigt hat.
    Das Problem ist handfest: Uralte Schriften, hunderte Jahre alt, von Rechtsgelehrten, die eigentlich niemand mehr kennt und die keine Bedeutung im Mainstream-Islam haben - diese Schriften gibt es, und immer wieder gräbt der IS sie aus.
    Der Kampf gegen den IS, den Jordaniens König Abdullah nun forcieren will, ist also nicht weniger als ein Kampf um die Deutungshoheit im Islam. Dass es ein Staatsoberhaupt ist, das diesen Krieg führen will - noch dazu eine Persönlichkeit, die ein Sherif, ein direkter Abkömmling des Propheten Mohammed ist, das gibt Abdullahs Kampfansage an den IS ein besonderes Gewicht.