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Joschka Fischer
EU in der Souveränitätskrise?

Heute arbeitet Joschka Fischer überwiegend als Berater. Weil die Politik ihn aber noch immer umtreibt, hat der ehemalige Außenminister das Buch "Scheitert Europa?" geschrieben. Darin legt er dar, warum die EU in einer beängstigenden Krise stecke. Leider kommt das Werk eilig und oberflächlich daher.

Von Stefan Maas | 20.10.2014
    Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) stellt am 14.10.2014 bei einer Pressekonferenz in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin sein neues Buch "Scheitert Europa?" vor.
    Noch immer sei die Frage nicht geklärt, so Fischer, ob es in Zukunft weiter ein europäisches Deutschland gebe oder ein deutsches Europa. (picture alliance / dpa - Bernd von Jutrczenka)
    Joschka Fischer macht sich Sorgen. Um Europa, um die Europäische Union. Die sieht der ehemalige deutsche Außenminister in einer tiefen Krise, fürchtet gar ihr Scheitern. Erstmals, wie er in seinem Buch schreibt. Bedroht wird die Union von äußeren Feinden - wie einem seinen Arm nach Westen streckenden Russland. Aber Fischer diagnostiziert auch eine innere Bedrohung.
    "Es ist eigentlich eine Souveränitätskrise."
    Europa habe sich zu lange erlaubt, seine politische Integration zu vernachlässigen. Mitschuld daran tragen aus Fischers Sicht jene zwei Länder, die für ihn den Motor Europas bilden. Deutschland und Frankreich. Gemeinsam könnten sie die EU bewegen. Oder sie ausbremsen, indem sie beide ihre eigenen Ziele verfolgen. Fischers Diagnose:
    "Beide haben ein Souveränitätsproblem. Wir Deutsche fürchten um das liebe Geld. Aber in Wirklichkeit um die Verfügung über das liebe Geld. Eine Souveränitätsfrage. Und die Franzosen fürchten um die politische Souveränität."
    Deutlich und den weiteren Weg bestimmend, trat dieses Problem 2008 zutage, schreibt Fischer. In der Bankenkrise wurde die gemeinsame Verantwortlichkeit der Eurogruppe ad acta gelegt. Deutschland sperrte sich gegen eine europäische Rettungspolitik mit gemeinsamen Mitteln, wollte nur eine abgestimmte Rettung. Die politische und finanzielle Krisenbewältigung blieb in nationaler Verantwortung.
    "Dieser nur scheinbar kleine Schritt - in Wirklichkeit war es der Bruch mit aller bisherigen deutschen Europapolitik und der Beginn der Renationalisierung der EU! Sollte bis auf den heutigen Tag sehr weitreichende Folgen haben."
    Das Konzept der "Vereinigten Staaten von Europa" drohe zu scheitern
    Das wiedervereinigte Deutschland, politisch mächtig und wirtschaftlich stark, wird zum europäischen Hegemon und für Fischer zum Problem für die EU. Denn noch sei die Frage nicht geklärt, ob es in Zukunft weiter ein europäisches Deutschland gebe oder ein deutsches Europa. Ob Deutschland seine Stärke nutze, um gemeinsam mit Frankreich die Integration voranzutreiben, oder Europa nur als Rahmen sehe, um seine eigenen Interessen durchzusetzen. Komme es nicht zu mehr Integration, zu einer Stärkung der Institutionen, wachse Europa nicht zu den "Vereinigten Staaten von Europa", drohe das ganze Projekt zu scheitern, fürchtet Fischer.
    Die Vereinigten Staaten von Europa. Schon lange beschäftigt sich Fischer mit diesem Konstrukt. Doch, so schreibt er nun, der von sich selber sagt, er sei ein europäischer Föderalist, der sich einen europäischen Zentralismus nicht vorstellen kann, nicht die Vereinigten Staaten von Amerika könnten als Vorbild dienen. Es gebe keinen europäischen Demos, keine gemeinsame Sprache, wie sollte es da einen Präsidentschaftskandidaten geben, der Hirn und Herz aller Europäer ansprechen kann, damit sie ihn wählen. Für Fischer...
    "... scheint die Schweiz das einzige funktionierende "föderale" Modell zu sein, das für die europäischen Gegebenheiten als Vorbild passt."
    Ein föderaler Staat, mehrsprachig, der sich überhaupt nicht homogenisiert habe. Von der Konföderation, dem Staatenbund, zur Föderation, dem Bundesstaat. Für Fischer wäre das die eigentliche europäische Revolution. Damit das klappt, muss alles neu werden. Weg mit der alten, kaputten EU, gründet die neue EU!
    Kann das aber mit 28 Mitgliedsstaaten gelingen? Nein, ist Fischer überzeugt. Dafür braucht es eine kleine Gruppe, die vorangeht.
    "Aus meiner Sicht muss da die Währungsunion vorangehen. Weil die große 28-Union wird das nicht hinbekommen. Insofern geht das nur mit dem Rückgriff auf das Kernmodell. Oder das Avantgardemodell. Die Eurogruppe als Avantgarde, die voranschreitet."
    Die Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe werden zur Regierung der Eurozone. Als zweite Kammer gäbe es eine Eurokammer, proportional zusammengesetzt aus den entsandten Vertretern der nationalen Parlamente.
    "Eine solche Kammer wäre zuständig für den engen, gleichwohl aber wesentlichen europäischen Bereich, in dem die nationalen Parlamente und ihre Vertreter nach wie vor über die Souveränität verfügen, also vor allem in Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftsfragen und in allen Fragen der Subsidiarität, das heißt der Machtverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union, und in europäischen Verfassungsfragen."
    Gelungen wäre die Wiedergeburt der EU mit Zweikammersystem und echter Souveränitätsübertragung. Problem gelöst.
    Eilig und oberflächlich, mit vielen inhaltlichen Wiederholungen
    Nicht ganz. Zunächst ist es schade, dass Fischer, der überzeugte Europäer, so lieblos über sein Herzensprojekt schreibt. Man merkt dem Buch an, dass es ursprünglich anders geplant war, wie der Verlag selber sagt, und im Zuge des sich zuspitzenden Russland-Ukraine-Konflikts umgearbeitet wurde. Eilig und oberflächlich, mit vielen inhaltlichen Wiederholungen, arbeitet sich Fischer durch die 160 Seiten. Einzig stimmig, die Inszenierung bei der Buchpräsentation. Da thront Fischer als Elder Statesman und EU-Versteher über den Journalisten, lässt sich vom Verlagsleiter befragen und schnarrt ins Saalmikrofon. Leider wenig Neues. Seine Vision von Europa hat er im Jahr 2000, damals noch als Außenminister, bei seiner "Humboldt-Rede" vorgestellt und für dieses Buch erneut aufgewärmt. Das eigentliche Problem aber ist seine Antwort auf eine, wenn nicht die zentrale Frage, auf die er im Text gar nicht eingeht, sondern nur auf Nachfrage bei der Buchvorstellung: Wie gewinnt man die Bevölkerung für so ein Projekt? In einer Zeit, in der die EU vielen egal ist? Dafür, sagt Fischer, seien die aktiven Politiker zuständig. Das sei er nicht mehr. Also warum die Mühe machen? Ihm reicht heute die Kommentierung vom Beckenrand.
    Joschka Fischer: "Scheitert Europa?"
    Verlag Kiepenheuer & Witsch, 160 Seiten, 17,99 Euro
    ISBN: 978-3-462-04623-6