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Journalismus unter Corona
Wie recherchiert man, wenn kaum jemand rausgeht?

Wenn Redaktionen über Krisen berichten, sind sie selten Teil davon. Bei Corona ist das anders: Einige Journalisten sind bereits krank, andere in Quarantäne, Redaktionen kämpfen mit Ausgangsbeschränkungen. Wie kann man trotzdem gut berichten? Ein Überblick.

Von Annika Schneider | 27.03.2020
Bundeskanzlerin Merkel spricht auf einer Pressekonferenz zu Journalisten, die weit entfernt voneinander sitzen.
Wenn es überhaupt noch Pressekonferenzen gibt, sehen sie aus wie diese am vergangenen Sonntag im Bundeskanzleramt: viel Abstand zwischen Kanzlerin Merkel sowie den Journalistinnen und Journalisten. (DPA POOL)
Bei Medienhäusern steht eines gerade hoch im Kurs: Improvisationstalent. Die "Sächsische Zeitung" in Dresden zum Beispiel hat fast alle ihre Redakteure ins Homeoffice geschickt – eine organisatorische Herausforderung, wie Heinrich Löbbers, Mitglied der Chefredaktion, berichtet:
"Weil gerade im Redaktionsalltag natürlich das davon lebt, dass man schnell mal zum Layouter läuft, zum Editor und so weiter, und das alles miteinander so auf Zuruf oft auch abspricht. Jetzt werden die Texte halt hin und her geschickt. Dann arbeitet mal der eine dran, dann schickt man sie wieder zurück, dann arbeitet wieder der andere dran und so weiter. Also das ist schon mit erheblichen Problemen auch auf der Seite noch mal verbunden."
Nur noch selten persönliche Interviews
Hinzu kommt: Die Reporter verlassen ihren Schreibtisch nicht mehr so häufig. Veranstaltungen fallen aus, Interviews finden nur noch selten persönlich statt.
Löbbers: "Austausch muss es jetzt halt über alle möglichen elektronischen Wege und Telefone und so weiter geben. Es gibt sehr viele Leser, die sich melden bei uns. Wir versuchen nach wie vor, möglichst viele Leute zu Wort kommen zu lassen. Also, ich glaube eigentlich, was im Moment passiert, ist sehr, sehr guter Lokaljournalismus."
Und den braucht es gerade nicht nur für Corona-Themen. In Bayern stehen am Wochenende die Stichwahlen für die Kommunalwahlen an – und das fast ohne Wahlkampf auf der Straße und bei Veranstaltungen. Umso wichtiger ist die Lokalberichterstattung über die Kandidaten. Dass die gut läuft, da ist Dennis Amour vom Bayerischen Journalistenverband optimistisch – trotz der aktuellen Ausgangsbeschränkung in Bayern:
"Bislang liegen uns keine Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen vor, dass sie in ihrer Ausübung ihres Berufs eingeschränkt werden. Wir haben gesehen, dass die 'Mittelbayerische Zeitung' eine Rundfunklizenz bekommen hat, um bestimmte Dinge auch streamen zu können; dem Ideenreichtum sind da keine Grenzen gesetzt."
"Für mich wirkt es gespenstisch"
ZDF-Moderatorin Marietta Slomka ist in der Redaktion des heute-journals weitgehend isoliert, persönliche Gespräche gibt es nur über Distanz. Kollegen weichen sich weiträumig aus, Slomka schminkt sich selbst für die Sendung und trägt Handschuhe. In @mediasres erzählt sie von der gespenstischen Ruhe in der Redaktion.
Schutzanzüge für Reporter
Nicht nur die Tageszeitungen sortieren sich neu. Vor Herausforderungen stehen auch Fernseh- und Radiosender, die auf O-Töne und Bilder angewiesen sind. Die Drehteams der RTL-Mediengruppe, zu der auch n-tv gehört, bekämen auf Wunsch Schutzanzüge, Mundschutz und Handschuhe, berichtet der Sender auf Anfrage. Sie fahren nach Möglichkeit in getrennten Autos und benutzen keine Handmikrofone mehr. Auch Thomas Gerber, Radioreporter beim Saarländischen Rundfunk, ist bei Außenterminen inzwischen vorsichtig. Trotz der Ausgangsbeschränkungen im Saarland hatte er noch keine Probleme. Aber: Seit die Gaststätten geschlossen sind, fehlen ihm die Begegnungen mit Informanten:
"In Kneipen gehen natürlich auch Mitarbeiter etwa von Behörden, von Ministerien. Und so ab dem fünften Bier wird dann schon mal etwas losgelassen, was die dann ohne die fünf Bier möglicherweise nicht gesagt hätten. Aber das sind dann oft schon Rechercheansätze, und die gehen leider flöten. Also eine Kneipe fehlt bei so etwas tatsächlich, so blöd das klingt."
Das Funkhaus des Deutschlandfunk in Köln
Corona-Krise führt zu mehr Transparenz
Lange hatten sich Medien gescheut, ihre eigene Arbeit transparent zu machen. Die Corona-Krise zwingt sie jetzt dazu, weil die veränderten Arbeitsbedingungen auch zu veränderter Berichterstattung führen. Der "Stern" gibt Einblicke, wo seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade zu Hause arbeiten. ARD-Fernsehkorrespondentin Tamara Anthony schreibt über ihr Leben in der Quarantäne in Peking. Die "Süddeutsche Zeitung" erlebt redaktionelle "Veränderungen im Zeitraffer". "Die Zeit" berichtet, wie groß der Bedarf an journalistischer Arbeit ist, während diese gleichzeitig schwieriger wird. Die Tageszeitung "taz" beklagt, dass persönliche Gespräche schwer zu ersetzen seien. Im NDR-Medienmagazin "Zapp" macht Autorin Caroline Schmidt transparent, wie sie über einen "Spiegel"-Redakteur im Homeoffice zu berichten versucht, ohne dass sie selbst ins Haus darf. Auch im Deutschlandfunk hat Redakteur Mario Dobovisek schon vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen erzählt, wie sich das Haus vorbereitet - in Kurzfassung bei @mediasres (Audiothek), in Langfassung im Podcast "Der Tag" (Audiothek). Seit Montag sendet der Deutschlandfunk ein leicht verändertes Programm, um Ressourcen für bevorstehende Zeiten zu schonen.
Leere im Newsroom
Denn das persönliche Gespräch können Mail-Anfragen und digitale Pressekonferenzen nicht ersetzen. Ähnliches berichtet Sven Gösmann, Chefredakteur der Deutschen Presseagentur.
Er ist einer von zwei Menschen, die im zweieinhalbtausend Quadratmeter großen Berliner Newsroom die Stellung halten – der Rest sitzt im Homeoffice. Das klappe gut, schließlich arbeiteten dpa-Reporter häufig mobil, sagt Gösmann:
"Was uns ein bisschen fehlt, ist die Inaugenscheinnahme an der einen oder anderen Stelle, wobei es ja in Deutschland zumindestens noch keine Ausgangssperren gibt in dem Sinne, dass Journalistinnen und Journalisten nicht mehr durchdringen können. Das heißt, wir können schon noch sehen: Wird wirklich an der Grenze zwischen Bundesländern kontrolliert? Wie sind die Drive-in-Tests in Esslingen? Wir erleben aber natürlich weltweit die Problematik, die sich in den vergangenen Jahren ohnehin verschärft hat: Nehmen Sie unsere Kollegin in China – die kann gar nicht mehr vor die Tür. Das heißt, da ist man dann wirklich sehr auf offizielle und eben auch auf inoffizielle Quellen, die man sich erschließen kann, angewiesen. Man kann schlicht nicht mehr hinfahren."
Im Vergleich dazu steht die deutsche Berichterstattung in Corona-Zeiten gut da. Das findet auch der Deutsche Journalistenverband. Viele Kolleginnen und Kollegen würden den journalistischen Auftrag gerade jetzt besonders ernst nehmen, heißt es dort.