Journalisten in der Türkei"Ich habe ratenweise im Gefängnis gesessen"
Das Journalistenpaar Aydın Engin und Oya Baydar hat in der Türkei einige Gefängniserfahrung gesammelt. Und es könnte mehr werden: Engin steht derzeit mit zehn Kollegen wegen Terrorpropaganda vor Gericht. Baydar sagt: "In der Türkei haben Demokratie und Meinungsfreiheit nie richtig Fuß gefasst."
- "Cumhuriyet"-Autor Aydın Engin vergangenen Sommer vor dem Gerichtssaal in Istanbul, in dem er und weitere Journalisten der Zeitung angeklagt werden (AFP / Bülent Kilic)
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Auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer steht Oya Baydars Laptop. Die 77-Jährige hat am Morgen schon eine Kolummne für das Online Nachrichtenportal t.24 geschrieben. Über Erdogans jüngstes Treffen mit Putin. Ob politische Kolumnen oder Romane, zum Schweigen habe sie der Staat immer nur vorübergehend gebracht:
"Zur Zeit gibt es kein Verfahren gegen mich. Zuletzt war ich angeklagt, weil ich mich für einen Frieden mit den Kurden im Südosten der Türkei eingesetzt habe. Da wurde ich zwar frei gesprochen aber als Schriftsteller in diesem Land spürt man immer eine Bedrohung. Dieser Druck zeigt sich bei mir zum Beispiel darin, dass ich mein Laptop nachts nicht auf dem Schreibtisch lasse, sondern es jeden Abend verstecke. Wenn die Polizei mich abholt, soll ihr wenigstens mein Computer nicht in die Hände fallen."
Kein unwahrscheinliches Szenario: Doch der letzte Besuch der Polizei galt ihrem Mann, Aydın Engin. Der 76-Jährige schreibt immer noch für die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet". Gerade steht er gemeinsam mit elf Kollegen wegen Terrorpropaganda vor Gericht. Fast schon Routine:
"Ich bin daran gewöhnt. Ich habe drei beziehungsweise dreieinhalb Militärputsche erlebt. Insgesamt war ich sechs Jahre und sieben Monate im Gefängnis. Nicht einmal, sondern ratenweise habe ich im Gefängnis gesessen."
Beide Ehepartner haben Gefängniserfahrung
Als bekennde Linke saß seine Frau Oya Baydar bereits in den 80er-Jahren im Gefängnis, bevor sie nach Deutschland fliehen konnte. Dort bleib sie gemeinsam mit Aydın Engin zwölf Jahre lang, weil in ihrer Heimat der Staat schon damals schon gegen kritische Autoren und Journalisten vorging:
"In der Türkei haben Demokratie und Meinungsfreiheit nie richtig Fuß gefasst. Es gab eine Phase, da haben sie uns Sozialisten und Linke verhaftet. Dann gab es eine Phase, in der Druck auf Religiöse ausgeübt wurde. Jetzt gibt es Druck auf alle und das haben wir nicht der AKP sondern direkt der Erdogan-Regierung zu verdanken."
Aydın Engins Frau Oya Baydar machte als bekennende Linke bereits in den 80er-Jahren Bekanntschaft mit türkischen Gefängnissen (picture alliance / dpa)
Rund 165 Journalisten sind in der Türkei derzeit in Haft. Den prominentesten deutschen Häftling Deniz Yücel, kennen Oya Baydar und Aydın Engin von Kindesbeinen an. Was ihn und seine Schicksalsgenossen angeht, sei Druck aus dem Ausländ wichtig, meint Oya Baydar und findet auch noch das passende deutsche Wort:
"Solidarität çok önemli."
Aydın Engin scherzte bei Festnahme mit Polizisten
Doch nicht nur mit der Verhaftung ausländischer Journalisten sei Staatspräsident Erdogan weiter gegangen als seine Vorgänger, meint Aydın Engin:
"Statt Journalisten zu kaufen, kauft er ganze Medien auf: Zeitungen, Fernsehsender etc. Heute kontrollieren Erdogan und die AKP 70 Prozent aller Medien in der Türkei. Und man darf nicht annehmen, wenigstens die restlichen 30 Prozent seien freie, unabhängige Medien. Es sind zum größten Teil welche, die schon immer unkritisch waren."
Mit dem Schreiben wollen weder Oyar Baydar noch Aydın Engin aufhören. Auch auf die Gefahr hin, dass sie ihre letzten Jahre im Gefängnis verbringen müssen:
"Wir haben keine Angst, wir sind darauf vorbereitet. Sie können ihn jederzeit wieder festnehmen. Es ist so absurd und manchmal auch komisch: Als sie Aydin das letzte Mal geholt haben, fragte er: Warum nehmt Ihr mich fest und nicht meine Frau? Sie ist die Anarchistin. Da mussten auch die Polizisten lachen."
Am 25. Dezember geht Engins Prozess weiter
Aydın Engin steht am 25. Dezember wieder vor Gericht. Dann wird der Prozess gegen ihn und seine Kollegen von der "Cumhurriyet" fortgesetzt.