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Journalisten zwischen den Fronten

Die Lage der Journalisten im Gaza-Streifen hat seit der Zweiteilung der innerpalästinensischen Politik sehr gelitten. Die Hamas im Gaza-Streifen ist ohne Weiteres bereit, gegen politische Gegner mit Gewalt vorzugehen. Auf der anderen Seite herrscht in Ramallah die Fatah und sieht der Gewaltanwendung im anderen Teil der Palästinensergebiete tatenlos zu, weil es ihr nutzt.

Von Clemens Verenkotte | 01.10.2007
    Der Eingang zum AFP-Büro in Gaza-Stadt ist gut gesichert - eine Überwachungskamera kontrolliert die Besucher, dann öffnet ein privater Wachmann die Etagentür in dem unauffälligen Hochhaus, die drei palästinensischen Journalisten, die hier für die französische Nachrichtenagentur Agence France Press arbeiten, sitzen in einem gemeinsamen Zimmer, hinter einer dicken gläsernen Tür. Adel al Zaanoun, ein erfahrener, besonnen wirkender Korrespondent von Mitte 30, beschreibt in Anwesenheit seiner beiden Kollegen die Lage seines Berufsstandes mit nüchternen Worten, analytisch und zugleich offen:

    "Nachdem Hamas die Kontrolle im Gaza-Streifen übernommen bei der Berichterstattung Willkür ausgesetzt, wir werden auch unterdrückt, wir wissen manchmal nicht, wem unsere Berichterstattung gefällt und wem nicht, weil Hamas von der Zivilgesellschaft keine Ahnung hat. Das findet seinen Ausdruck in dem Benehmen der Hamas-Ordnungshüter uns gegenüber, sie sind sehr skeptisch und ungehalten!"

    Adels Gesicht ist bekannt im Gaza-Streifen - früher hatte er unter anderem für das palästinensische Fernsehen gearbeitet, das von der Hamas nach deren Machtübernahme Mitte Juni abgeschaltet worden ist. Wenn er und seine Kollegen unterwegs seien, würden viele Mitglieder der Hamas-eigenen Exekutivkräfte sie erkennen. Ein Vorteil sei das nicht:

    "Es gibt drei Faktoren, denen wir als Journalisten im Gaza-Streifen ausgesetzt sind: Erstens, es gibt keine Kultur, wie man mit Journalisten umgeht. Zweitens, die Auseinandersetzung und Polarisierung zwischen den verschiedenen palästinensischen Parteien und Gruppen - jede Seite erwartet von einem palästinensischen Journalisten, nur über deren guten Seiten zu berichten, und nicht über die schlechten. Diesem Druck sind wir ausgesetzt. Und drittens: Es gibt keine einheitliche Journalistenvereinigung, die sich für die Wahrung unserer Interessen einsetzt."

    Der AFP-Korrespondent ist der Vertrauensmann von "Reporter ohne Grenzen", er schreibt regelmäßig Berichte über die Arbeitsbedingungen der Journalisten im Gaza-Streifen, die schon immer äußerst schwierig waren, während der israelischen Besatzung sowie während der Zeit, in der die Fatah die palästinensische Autonomiebehörde dominierte. Doch heute spricht er von Unterdrückung durch die neuen Machthaber:

    "Es hat schlimmere Formen angenommen, die Lage ist schwärzer als vorher."

    Adel war Augenzeuge, als die Hamas-Sicherheitskräfte Ende August und Anfang September mit großer Gewalt gegen ihn und seine Kollegen vorgingen, stets zu den Freitagsgebeten, die Fatah-Anhänger zu politischen Protesten gegen die herrschende Hamas umfunktionieren wollten. Kameramänner wurden zusammengeschlagen, ihr Bildmaterial beschlagnahmt, mit Schlagstöcken prügelten die Hamas-Bewaffneten auf die Journalisten ein.

    Auch Adal al Salam war dabei - der Chef der palästinensischen Nachrichtenagentur Ramattan, die ausländische TV-Sender mit Bild- und Tonmaterial versorgt, sitzt im 9. Stock des Pressehauses in Gaza-Stadt - aus seinen Sorgen macht er keinen Hehl:

    "Das ist das erste Mal als Journalist, dass ich das Gefühl habe, beunruhigt zu sein, dass mein Leben als Journalist zur Zeit in Gefahr ist, verglichen mit früheren Zieten, als die PA in Gaza einzog und auch zu Zeiten, als die Israelis den Gaza-Streifen beherrschten. Das ist das erste Mal, dass Unbehagen und Angst meine Gefühle prägen."

    Obgleich er eigentlich, wie Adel sagt, einen Bürojob hat, geht er wieder raus, mit der Kamera, will Vergleiche ziehen könne, zwischen dem, wie die Fatah damals mit Journalisten umgesprungen ist, und dem Verhalten der Hamas. Die Zweiteilung der innerpalästinensischen Politik, das Schisma zwischen der Fatah-Regierung in Ramallah und der Hamas-Herrschaft im Gaza-Streifen sei verhängnisvoll - auch für seinen Berufstand:

    "Das ist das Dilemma, in dem wir im Gaza-Streifen stecken. Hamas ist brutal, hat ein gewalttätiges Konzept und eine brutale Ideologie und ist bereit, gegen ihre Gegner große Gewalt anzuwenden. Und Ramallah will sehen, dass hier viel Blut geopfert wird, dass viele geschlagen werden, dass viel Blut fließt, verursacht von Hamas, damit sie Hamas an den Pranger stellen kann, um zu zeigen, wie brutal und unberechenbar Hamas ist, und der Leidtragende ist die Zivilbevölkerung."

    Vom Ausland fühlt sich der 46-jährige Adal al Salam total im Stich gelassen - natürlich gebe es ehrenwerte Organisationen wie eben "Reporter ohne Grenzen" - doch hier, im Gaza-Streifen, seien die Journalisten der Willkür der Hamas ausgesetzt:

    "Ich fühle als palästinensischer Journalist, dass ich alleine bin. Das ist das Gefühl jedes palästinensischen Journalisten, dass er sich allein gelassen fühlt, einsam und verlassen, ausgesetzt der Gewalt von beiden Polen, von der Ramallah-Regierung und der Hamas-Brutalität."

    Auch der AFP-Korrespondent Adel al Zaanoun blickt resigniert in die Zukunft:

    "Die Lage hier im Gaza-Streifen ist sehr schlimm. Und sie ist noch schlimmer geworden, weil Israel alle Grenzübergänge geschlossen hat. Das ist ein großes Gefängnis hier - auch für Journalisten."