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Journalistikon
"Wahrhaftigkeit ist etwas ganz Wichtiges im Journalismus"

Aus Zeit- und Konkurrenzdruck könne es passieren, dass Medien falsche Nachrichten veröffentlichten. Manchmal fehle es den Journalisten auch an der nötigen Sachkenntnis, sagte Horst Pöttker im DLF. Er ist Herausgeber des Journalistikons, einem Online-Lexikon, das erklärt, wie Journalismus funktioniert. Kompetenz sei extrem wichtig, sagte Pöttker.

Anja Buchmann im Gespräch mit Horst Pöttker | 03.02.2017
    Prof. Dr. Horst Pöttker - Wissenschaftler und Herausgeber des Journalistikon
    Prof. Dr. Horst Pöttker - Wissenschaftler und Herausgeber des Journalistikon (imago)
    Anja Buchmann: Schönen Guten Tag Herr Pöttker.
    Horst Pöttker: Guten Tag Frau Buchmann.
    Buchmann: Herr Pöttker, Journalismus hatte in Deutschland nie so einen richtig guten Ruf. Vielleicht heute schlechter denn je. War das für Sie auch ein Grund, das Journalistikon aufzuziehen, um vielleicht mehr über den Journalismus, über Formen, Regeln, Geschichte und so weiter aufzuklären und letztlich vielleicht auch das Ansehen ein bisschen zu verbessern?
    Pöttker: Ja, das ist auf jeden Fall ein Grund. Sie haben Recht. Deutschland hat keine so sehr lange Tradition der Pressefreiheit, und damit ist verbunden, dass auch der Journalistenberuf, der ja für das Öffentlichkeitsprinzip zuständig ist, nicht so furchtbar viel gilt. In angelsächsischen Ländern gilt er mehr. Und das ist sicher auch ein Grund, warum wir das Journalistikon machen. Wir möchten mehr Kenntnisse über den Journalistenberuf verbreiten. Das führt vielleicht auch dazu, dass seine Glaubwürdigkeit verbessert wird.
    Buchmann: Kann das denn funktionieren? Ich unterstelle mal, das lesen dann doch meist Leute, die keine so schlechte Meinung vom Journalismus haben.
    Pöttker: In gewisser Weise ist die Tätigkeit eine Sisyphosaufgabe, wie Journalismus selbst auch eine Sisyphosaufgabe ist. Journalismus soll neue, richtige, wichtige Informationen verbreiten, aber meistens wollen Menschen ja doch nur das hören, was sie ohnehin schon wissen und was ihnen vertraut ist. Journalisten müssen deswegen mit einem widerspenstigen Publikum rechnen. Und diese Widerspenstigkeit müssen sie überwinden.
    Und dafür haben sie eine Reihe von Techniken, von Darstellungsformen, die die Richtigkeit des Berichteten sicherstellen sollen. Der Beruf wird seine Aufgabe, vollständig und breit und richtig und fair Öffentlichkeit herzustellen wahrscheinlich nie vollständig erfüllen können, aber andere Berufe können das auch nicht. Die Ärzte sollen unser Leben erhalten, und die kommen da auch an ihre Grenzen. Und in diesem Sinne es auch wichtig, etwas über die Arbeitsweisen und Probleme und Schwierigkeiten zu wissen, die ein Beruf hat. Damit auch die Erwartungen, die man an den Beruf richtet, realistisch werden.
    "Journalisten sind auch immer an dem Geschehen beteiligt"
    Buchmann: Wer ist denn konkret Ihr Zielpublikum? Was stellen Sie sich da vor? Es ist doch teilweise sehr wissenschaftlich geschrieben.
    Pöttker: Informationen über einen Beruf zu verbreiten sollte vielleicht auch nicht nur von dem Beruf selbst gemacht werden, sondern das sollte vielleicht auch aus einer Sicht gemacht werden, die den Beruf durchaus mit Sympathie aber auch aus einer gewissen kritischen, halbwegs unabhängigen Distanz beobachtet. Journalisten haben lange die Vorstellung von sich selbst gehabt, dass sie unbeteiligte Beobachter sind bzw. sein sollten, aber sie sind natürlich nicht unbeteiligt. Sie sind auch immer, besonders in der modernen, digitalen Medienwelt, an dem Geschehen beteiligt.
    Buchmann: Trotzdem nochmal die Wiederholung der Frage: An wen adressieren Sie?
    Pöttker: Wir adressieren an alle, die sich für den Journalismus interessieren, und wir bemühen uns auch durchaus, das mal in einer verständlichen Weise darzustellen. Aber auch in einer Weise, die richtig ist - das heißt auf einer wissenschaftlichen Grundlage. Denn ohne das können sie ja in einer modernen Welt, wo nur das geglaubt wird, was eine halbwegs wissenschaftliche und richtige Grundlage hat, auch niemanden erreichen.
    Buchmann: Ich fand es interessant, etwas über Begriffe wie "Küchenzuruf" oder "Eckenbrüller" zu lesen, Begriffe wohl eher aus der schreibenden Zunft. Aber auch über Satirefreiheit oder Berufsethik. Ich fragte mich aber: Wo finde ich Themen wie Fake-News, Lügenpresse oder einen Artikel über Online-Medien? Oder ist das noch in der Mache?
    Pöttker: Vieles ist noch in der Mache. Dass wir dieses Lexikon jetzt online publizieren, hat den großen Vorteil, dass man peu à peu vervollständigen kann, was man schon hat.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Horst Pöttker im Gespräch mit Rita Vock (Deutschlandradio/Bettina Fürst-Fastré)
    Buchmann: Ich würde gerne nochmal darauf zu sprechen kommen, warum die Presse allgemein einen so schlechten Ruf hat. Es gibt ja tatsächlich auch Verfehlungen, wie jetzt vor Kurzem, als etwa etablierte Medienkanäle von Das Erste, Phoenix, Spiegel Online, Zeit Online, sehr schnell meldeten, dass das Bundesverfassungsgericht die rechtsextreme Partei NPD verboten habe. Das wurde dann schnell wieder korrigiert, dabei wurde eigentlich nur zu Beginn der Sitzung nochmal der Verbotsantrag vorgelesen, der dann für das Urteil gehalten wurde. Also ist Ihrer Meinung nach auch das fatale Streben, immer der Erste zu sein, sehr nachteilig für etablierte Medien?
    Pöttker: Bestimmt. Wir haben lange Zeit die Vorstellung gehabt, dass Journalismus etwas ist, was sich ausschließlich mit dem befasst, was gerade passiert ist, also so was Ereignisgetriebenes auch hat. Und deshalb war es wichtig, ganz schnell zu sein. Schnelligkeit war oft auch das Konkurrenzprinzip zwischen journalistischen Medien. Man kann sich drüber unterhalten, ob sich das wandelt oder wandeln muss - gerade in der digitalen Medienwelt. Ich glaube, für den Journalismus muss es in Zukunft mehr um die Orientierungsfunktion gehen, womit nicht gemeint ist, dass Journalisten den Leuten sagen sollen, wo es lang gehen soll. Sondern das ist mehr das transparent machen, das öffentlich machen von Alltagsphänomenen, von der Welt die uns umgibt. Aber das muss nicht unbedingt mit aktuellen Ereignissen verbunden sein.
    "Es fehlt auch an Sachkompetenz in vielen Bereichen des Journalismus"
    Buchmann: Also verschiedene Seiten einer Sache aufzeigen und erklärend Orientierung geben in auch oft sehr komplexen Themen, die ja gerade über Facebook oder was auch immer für soziale Medien manchmal sehr verflacht, verbreitet werden.
    Pöttker: Genau. Ich würde gerne auf Ihr Beispiel zurück kommen. Ist ja sehr bekannt geworden und auch ein gutes Beispiel für etwas, was vielleicht auch im Journalismus fehlt oder zunehmend fehlt. Gerade auch in der Medienkrise, die ja auch durch die Digitalisierung hervorgerufen wurde. Es fehlt auch an Sachkompetenz in vielen Bereichen des Journalismus. Also jemand, der aus diesem Gerichtssaal berichtet, und der weiß, dass am Anfang die Anträge verlesen werden, der hätte das nicht verwechseln können. Der hätte nicht den Antrag schon für das Urteil halten können. Und das ist etwas, wo man sieht, dass in dem Fall rechtswissenschaftliche Kompetenz eben im Journalismus auch wichtig ist. Aber das gilt auch für viele andere Bereiche. Naturwissenschaftliche Kompetenz, historische Kompetenz sind im Journalismus wichtig, weil Journalismus ja eben über die ganze Welt berichten soll, und alles was uns umgibt, transparent machen soll.
    Buchmann: Dass die Medien natürlich sorgfältiger arbeiten müssen und eben auch die etablierten Medien und auch der öffentlich rechtliche Rundfunk, den wollen wir ja auch nicht ausnehmen, manchmal eben differenzierter sein müssen, das ist die eine Sache. Die andere ist die Frage an Sie: Wie kann man die Menschen von einem sehr reflexartigen Medienbashing abbringen? Haben Sie da eine Idee?
    Pöttker: Die Idee ist hauptsächlich, dass man darüber informiert, was Journalismus eigentlich ist und wie er arbeitet. Also Medienbashing kommt ja häufig auch zu Stande, weil einfach zu hohe Erwartungen an die Medien gerichtet werden. Häufig auch aus einer Position, die erwartet, dass man das, was man selber repräsentiert, dass das, was man selber gut kennt sozusagen, eins zu eins dann auch in den Medien wiederfindet. Und das ist eine unrealistische Erwartung, weil dieses Herstellen von Öffentlichkeit ja auch eine ganz eigene Aufgabe ist, die nicht erlaubt zum Beispiel, alles was Wissenschaftler denken, genauso darzustellen, wie es Wissenschaftler denken. Sondern da muss man ja selektieren, das muss man knapper, verständlicher machen.
    Im Übrigen spielt Aktualität auch eine große Rolle - der Aktualitätsdruck. Das will ich nicht ganz leugnen, dass es das nach wie vor auch im Journalismus geben wird, und das führt dann auch dazu, dass es im Journalismus fast unvermeidlich ist, dass man auch Fehler macht. Dass man nicht alles zu Ende recherchieren kann. Da geht es dann auch darum, dass Journalismus wahrhaftig ist. Dass man Quellen offen legt, auf Widersprüche zwischen Quellen hinweist. Dass man erläutert, was man jetzt noch nicht recherchieren konnte. Dass man eigene Zweifel an recherchierten Dingen unter Umständen auch deutlich macht. Das nennt man Wahrhaftigkeit. Und das ist etwas ganz Wichtiges im Journalismus.
    Buchmann: Herzlichen Dank Horst Pöttker.
    Pöttker: Ich danke Ihnen sehr, Frau Buchmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.