Freitag, 29. März 2024

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Jubelschrei im Supertunnel

Physik.- Heute ist es tatsächlich passiert. Am weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC nahe Genf sind Protonen aufeinandergeprallt – und zwar mit bisher noch nicht dagewesenen sehr hohen Energien. Was genau passiert ist, erklärt der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen im Interview mit Katrin Zöfel.

30.03.2010
    Katrin Zöfel: In der Natur geschieht es andauernd. Zum Beispiel, wenn kosmische Strahlung auf die Atmosphäre trifft. Wasserstoffatome stoßen mit hoher Energie, mit anderen Worten: sehr schnell, auf andere Wasserstoffatome. Dasselbe Ereignis im Labor herzustellen, ist alles andere als einfach. Physikern am Forschungszentrum Cern nahe Genf ist genau das heute gelungen. Unser Kollege Frank Grotelüschen ist für uns vor Ort. Kurz vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen und ihn gefragt, wann genau heute die ersten Kollisionen gelungen sind?

    Frank Grotelüschen: Das war heute so ziemlich genau um 13 Uhr, da liefen regelrechte Jubelstürme durch den Kontrollraum, in dem ich gesessen habe. Von diesen Kontrollräumen aus wird diese riesige Anlage hier gesteuert und die Physiker waren doch extrem erleichtert, dass es dann doch geklappt hat, dass die Wasserstoffkerne miteinander kollidiert sind. Denn sie hatten sich ja Jahre und Jahrzehnte auf dieses Experiment vorbereitet und heute hat es geklappt und heute geht jetzt endlich der reguläre Messbetrieb beim LHC los.

    Zöfel: Sie haben gerade von Protonen gesprochen, die kollidieren. Aber wer oder was genau kollidiert da mit wem?

    Grotelüschen: Das sind schnelle Wasserstoffkerne. Also der Beschleuniger bringt Wasserstoffkerne auf irrsinnige Geschwindigkeiten, fast auf Lichtgeschwindigkeit, und dann prallen diese Wasserstoffkerne mit voller Wucht an bestimmten Punkten aufeinander und dabei, das ist das Entscheidende, können dann neue, bislang unbekannte Elementarteilchen entstehen, die man also nicht kennt und die uns verraten, aus was die Welt in ihrem Innersten besteht und die uns auch verraten können, woher die Masse eigentlich kommt oder woher die ominöse Dunkle Materie kommt. Und um diesen Kollisionspunkt herum haben die Physiker riesengroße Apparate, sogenannte Teilchendetektoren aufgebaut. Das sind praktisch riesige Kameras, die dieses Geschehen dann quasi ablichten und fotografieren. Und danach geht es dann an die Auswertung. Da werten die Datenphysiker die Daten aus und schauen dann: Was ist dabei herausgekommen? Welche Teilchen sind entstanden? Das ist übrigens eine ziemlich mühevolle Detektivarbeit, die jetzt endlich hier am Cern losgehen kann.

    Zöfel: Die Kollisionen heute markieren denn Beginn des Messbetriebs am LHC. Wie geht es jetzt genau weiter?

    Grotelüschen: Jetzt werden die Physiker erstmal so eine Art Testbetrieb fahren, sie müssen nämlich jetzt erstmal ihre Teilchenkameras, von denen ich gesprochen habe, genau einstellen. Dann werden sie immer mehr Daten sammeln. Jetzt muss man sagen, die Maschine wird jetzt zuerst einmal die nächsten zwei Jahre mit halber Kraft, mit der halben Energie laufen. Das ist immer noch dreieinhalb mal soviel wie beim bisherigen Rekordhalter, einem Beschleuniger in Chicago. Und sie werden die Maschine erst sachte hochfahren, denn sie hatten schon eine schlechte Erfahrung gesammelt: Der LHC war ja vor anderthalb Jahren mal regelrecht explodiert und deswegen sind die Physiker jetzt sehr, sehr vorsichtig mit der Maschine geworden, sie gehen sehr behutsam damit um, steigern sozusagen die Leistungsfähigkeit nur langsam und werden jetzt aber doch sagen wir mal in den nächsten Monaten ernsthaft anfangen zu messen und dann die Daten auch auswerten.

    Zöfel: Wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen?

    Grotelüschen: Das wird noch dauern, denke ich. Also da ist wohl nicht vor nächstem Jahr mit zu rechnen, aber wenn die Physiker Glück haben, können sie auch jetzt schon mit halber Kraft interessante Teilchen entdecken, gerade Teilchen, die erklären können, was hinter dieser Dunklen Materie steckt, die es ja im Weltall geben muss und von der die Physiker eigentlich gar nicht wissen, was steckt dahinter. Und die Physiker hier hoffen ein Teilchen zu entdecken, was halt sozusagen diese Dunkle Materie ausmachen könnte. Also mit sehr viel Glück könnte da schon nächstes Jahr etwas kommen. Aber andere Teilchen wie das ominöse Higgs-Teilchen zum Beispiel – das ist ja auch ein ganz wichtiges Teilchen, für den der Beschleuniger gebaut wird – das wird noch dauern. Also die Physiker werden jetzt die Maschine erstmal für zwei Jahre betreiben. Dann nochmal für ein Jahr abschalten und nochmal umrüsten, nochmal aufrüsten. Und erst dann können sie mit voller Kraft loslegen, mit der vollen Energie, nochmal mit der doppelten Energie. Und erst dann wird man auch auf dieses Higgs-Teilchen ausgehen können. Dieses Higgs-Teilchen soll erklären, warum andere Teilchen, also auch wir Menschen, letztendlich überhaupt Masse besitzen und da werden die Ergebnisse wohl erst in vier oder fünf Jahren kommen, schätze ich.

    Zöfel: Heute Morgen gab es ja auch Schwierigkeiten, bis das erste Experiment überhaupt tatsächlich funktioniert hat. Was war da los?

    Grotelüschen: Eigentlich hatte man uns Journalisten schon sehr früh geweckt. Wir sollten ja schon um sechs Uhr morgens aufkreuzen, weil gesagt wurde: Vielleicht schon um sieben Uhr gibt es die ersten Kollisionen. Aber als wir dann da waren, hieß es kurze Zeit später, jetzt gibt es doch Schwierigkeiten. Da war also zuerst die Stromversorgung eines der vielen Magneten ausgefallen, diese Magneten halten die schnellen Wasserstoffkerne auf ihrer Kreisbahn. Dann musste man den Ring wieder neu hochfahren, das dauert zwei Stunden. Der zweite Anlauf hat auch nicht geklappt, da hatte ein Frühwarnsystem zu früh angesprochen und erst, als man diese Fehler entdeckt hatte mittags, da lief der Ring dann sauber. Und dann um 13 Uhr lief es eigentlich relativ rund und plötzlich waren die Kollisionen da und das ganze Cern, hat man gesehen, hat gejubelt, die Leute in den verschiedenen Kontrollräumen. Und man hat sich wirklich sehr gefreut und war unglaublich erleichtert nach der ganzen langen Geschichte auch, die hinter diesem Beschleuniger steckt.

    Zöfel: Dankeschön Frank Grotelüschen aus Genf über die geglückten Protonenkollisionen am Teilchenbeschleuniger LHC.