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Juden aus allen Lebensbereichen gedrängt

Am 15. September 1935 beschloss der Reichstag auf dem 7. Reichsparteitag der NSDAP die so genannten Nürnberger Gesetze. Mit ihnen versuchten die Nationalsozialisten ihre antisemitische Ideologie juristisch zu begründen. Die Rassengesetze stempelten Juden politisch zu Fremden, isolierten sie gesellschaftlich und ächteten sie moralisch. Die Nürnberger Gesetze machten die Emanzipation der Juden rückgängig und bereiteten ihre Ermordung vor.

Von Otto Langels | 15.09.2005
    "Namens der deutschen Reichsregierung habe ich den Reichstagspräsidenten, Parteigenossen Göring, gebeten, für den heutigen Tag den Deutschen Reichstag zu einer Sitzung nach Nürnberg einzuberufen."

    Während des 7. Parteitags der NSDAP ließ Adolf Hitler am 15. September 1935 die nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten zusammenkommen, um das "Reichsbürgergesetz" und das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" zu verabschieden. Die so genannten "Nürnberger Gesetze" stempelten die deutschen Juden zu Menschen minderen Rechts.
    Bereits kurz nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 hatte die Hitler-Regierung begonnen, systematisch Juden zu diskriminieren. Durch das Gesetz "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 verloren sie ihren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst. Im selben Monat wurde beschlossen, die Zahl der Juden an Schulen und Hochschulen zu begrenzen. In schneller Folge übertrugen die Nationalsozialisten den so genannten "Arierparagraphen" auf andere Berufsgruppen, ohne überhaupt zu definieren, was unter "arischer Abstammung" zu verstehen sei.
    Während die Nazis zunehmend Juden aus allen Lebensbereichen drängten, gaukelte Hitler dem Reichstag im September 1935 jüdische Provokationen vor und versuchte so, das juristische Vorgehen demagogisch als defensive Maßnahme zu rechtfertigen.

    "Aus zahlreichen Orten wird auf das Heftigste geklagt über das provozierende Vorgehen einzelner Angehöriger dieses Volkes, das in der auffälligen Häufung und in der Übereinstimmung des Inhaltes der Anzeigen auf eine gewisse Planmäßigkeit der Handlungen schließen läßt. Dieses Verhalten steigerte sich bis zu Demonstrationen."

    Dem Reichstag lag u.a. das hastig ausgearbeitete Reichsbürgergesetz vor. Danach waren Juden nur noch Staatsangehörige des Deutschen Reiches ohne politische Rechte.
    Reichstagspräsident Hermann Göring verlas den Gesetzestext.

    "Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewollt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen."

    Eine Verordnung legte fest, wer als Jude zu gelten hatte, nämlich alle deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens sowie Deutsche mit drei jüdischen Großeltern.
    An den Bestimmungen läßt sich der Widersinn der NS-Ideologie ablesen: Weil sich die Nazis auf keine Rassenmerkmale berufen konnten, griffen sie auf die Religionszugehörigkeit zurück, um zwischen Juden und Nichtjuden zu unterscheiden.
    Das Reichsbürgergesetz stempelte Juden zu Menschen zweiter Klasse, zu einer rechtlosen, geächteten Bevölkerungsgruppe im Dritten Reich.
    Hans Oskar Baron Löwenstein de Witt, Sohn einer jüdischen Mutter, lebte damals in Berlin.

    "Juden war nicht erlaubt, warmes Wasser mehr zu benutzen, Fahrstuhl durfte man nicht benutzen, die Zentralheizung durfte nicht benutzt werden. Man durfte nicht auf den Balkon gehen, der auf den Kurfürstendamm rausging, nur auf den Balkon, der auf den Hinterhof ging, also den Küchenbalkon. Auf der anderen Seite stand am Bahnhof Friedrichstraße unten an der Rolltreppe: Hunden und Juden ist die Benutzung der Rolltreppe verboten. Es waren alles so unendlich viele Schikanen, die heute kein Mensch mehr erfassen würde, daß ein Volk oder eine Regierung dazu fähig ist, solche unmenschlichen Dinge herbeizuführen."

    Neben dem Reichsbürger- und dem Reichsflaggengesetz, das das Hakenkreuz zum nationalen Hoheitszeichen erhob, verabschiedeten die nationalsozialistischen Abgeordneten einstimmig das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Es stellte sexuelle Beziehungen zwischen "Deutschblütigen", wie es hieß, und Juden als "Rassenschande" unter drakonische Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Außerdem bestimmte das Gesetz:

    "Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten."

    Allerdings wagten die Nationalsozialisten nicht, Zehntausende so genannter "Mischehen" zu annullieren, die vor 1935 geschlossen worden waren.
    Die mörderischen Folgen der Nürnberger Gesetze waren damals noch nicht abzusehen, aber sie bildeten das Fundament für die weitere Diskriminierung, Verfolgung und schließlich Vernichtung der Juden.