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Jüdischer Verlag in Italien
Von Kochbuch bis Talmud

Der kleine jüdische Verlag Giuntina in Florenz gilt als einer der bedeutendsten in Europa. Die Talmud-Übersetzung steht sogar unter der Schirmherrschaft des italienischen Staates. Die Geschichte des Verlags ist auch die Geschichte eines Überlebenden der Shoa.

von Thomas Migge | 23.07.2018
    Die erste ins italenische übersetzte Ausgabe des Talmuds
    Die erste ins Italienische übersetzte Ausgabe des Talmuds (imago/Pacific Press Agency)
    "Mein Vater kam zu Fuß nach Italien zurück. In Norditalien traf er auf ein Mitglied der jüdischen Partisanenbrigade, und der fragte ihn, ob er Shulim Vogelmann heiße. Dieser Soldat hatte 50 Dollar für meinen Vater, Geld von seinem Bruder, der 1938 nach Palästina ausgewandert war".
    Ein glücklicher Zufall für den vollkommen mittellosen Heimkehrer, berichtet Daniel Vogelmann. Einer von vielen. Shulim Vogelmann, Daniels Vater, verdankte sein Überleben auch einem glücklichen Zufall. Der in Florenz lebende jüdische Typograph wurde 1943 von den deutschen Besatzern deportiert. Er wurde zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter nach Auschwitz gebracht. Nur er überlebte in der Hölle des Vernichtungslagers. Nach der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 durch Soldaten der "Roten Armee" kehrte er wieder nach Florenz zurück.
    "Einige Monate lang hoffte er nach seiner Rückkehr, seine Frau und seine Tochter wiederzusehen. Das war ja die große Hoffnung vieler Überlebender. Mit einer gehörigen Portion Glauben hätte er diese Zeit sicherlich besser überstanden. Aber er war kein gläubiger Jude mehr, nachdem was er erlebt hatte. Zum Glück in all dem Unglück: An seinem ehemaligen Arbeitsplatz in der Florentiner Typographie wurde er wie ein Held empfangen", erzählt Daniel Vogelmann.
    Gründung der "Giuntina"
    Sein Vater, berichtet Daniel Vogelmann, stürzte sich in die Arbeit. Schließlich übernahm er die kleine "Tipografia Giuntina". Als Zwanzigjähriger begann auch Daniel in der väterlichen Druckerei zu arbeiten. Aber er wollte lieber Schriftsteller werden, was dem Vater gar nicht gefiel. Schließlich gründete Daniel Vogelmann 1980 die "Editrice La Giuntina", die heute in Italien als "Casa Editrice Giuntina" ein Begriff ist. Giuntina, wie sie kurz und knapp von Intellektuellen, von Juden und Nichtjuden, genannt wird, ist zum bedeutendsten jüdischen Verlag nicht nur Italiens geworden.
    Die Entscheidung, einen Verlag zu gründen, hatte mit einem Buch zu tun, erklärt Shulim Vogelmann, der heute "Giuntina" zusammen mit seinem Vater Daniel leitet. Seinen Namen Shulim trägt er in Erinnerung an seinen Großvater, der Auschwitz überlebt hatte:
    "Mein Vater hatte ein Buch entdeckt und gleich begriffen wie bedeutend es ist. Es war 'Die Nacht' von Elie Wiesel, dem späteren Friedensnobelpreisträger. Er übersetzte das Buch und entschied sich, es zu veröffentlichen".
    Diese erste Veröffentlichung war ein großer Erfolg. Ein so großer Erfolg, dass Vater Vogelmann sich ermutigt fühlte, ein ganzes Verlagsprogramm zusammenzustellen. "Giuntina" bietet heute ein so weit gefächertes Verlagsprogramm wie kein andere jüdischer Verlag Europas: Kochbücher mit koscheren Gerichten und israelische Nachwuchsschriftsteller, jüdische Musik aus Mittelalter und Barock, jüdische Geschichte Italiens und Europas und eine Vielzahl religiöser Texte.
    Vom Hebräischen ins Italienische
    Es sind vor allem diese religiösen Texte, die den Verlag "Giuntina" für Religionswissenschaftler, Historiker und Theologen auch an katholischen Hochschulen so interessant machen. Denn aus Kostengründen wagt sich kein anderer Verlag Italiens an die Übersetzung hebräischer Texte in die italienische Sprache. Das sind so kostenaufwändige Projekte, dass die meisten anderen Verlage sie nicht angehen. Bei "Giuntina" denkt man anders, denn das Geldverdienen, erklärt Daniel Vogelmann, sei ihm wichtig, stehe aber nicht ganz oben auf der Agenda.
    Das wohl bedeutendste verlegerische Projekt von "Giuntina" ist die Übersetzung des Talmud, eines der wichtigsten Schriftwerke zum Verständnis des Judentums überhaupt. Der Talmud enthält keine biblischen Gesetzestexte wie die Thora, sondern Regeln für den Alltag gläubiger Juden. Der erste Teil dieses für Juden grundlegenden Textes, der so genannten Babylonische Talmud, liegt bereits in einer italienischen Übersetzung vor. Am zweiten Teil, dem Jerusalemer Talmud, wird gerade gearbeitet.
    Ein Buch mit hebräischen Schriftzeichen in der Talmud-Hochschule in Frankfurt am Main
    In einer Talmud-Hochschule (Tobias Felber / dpa)
    Eine Herkulesaufgabe, die der kleine Florentiner Verlag "Giuntina" nicht allein bewältigen konnte. Es kam zu einer langjährigen Zusammenarbeit mit dem Nationalen Forschungsinstitut CNR in Rom. Insgesamt 70 Übersetzer und Redakteure sind an diesem Projekt beteiligt, sagt Shulim Vogelmann:
    "Für dieses Projekt übernahm der Staat Italien die Schirmherrschaft, und es wurde eine spezielle Software entwickelt, vom CNR, die es den vielen Übersetzern ermöglichte, ständig online zu sein und sich über die zum Teil unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten bestimmter hebräischer Begriffe direkt auszutauschen, um gemeinsam zu einer Definition zu gelangen. Dieser erste von uns herausgegebene Band stellt also das Original und die erste moderne Übersetzung in Italienisch gegenüber".
    Eine so bedeutende Übersetzung, dass der jüdische Verlag "Giuntina" als Kunden nicht nur italienischer Rabbiner und Gläubige hat, sondern auch fast alle theologischen Fakultäten katholischer Hochschulen Italiens und Kunden im Vatikan und im Ausland, wo man des Italienischen mächtig ist.