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Jürgen Busche auf Heldensuche

Der Journalist Jürgen Busche sucht im Ersten Weltkrieg erstaunlicherweise das Positive. Als der konservative Katholik aus dem Münsterland sich zuletzt in einem als Buch veröffentlichten langen Essay mit der 68er Generation auseinandersetzte, befand Martin Lüdke in der ZEIT:

Von Frank J. Heinemann | 06.09.2004
    Nichts an diesem merkwürdigen Buch über die 68er ist neu, vieles problematisch, einiges riskant. Die Verallgemeinerungen sind oft hahnebüchen, die Folgerungen tollkühn. Jürgen Busche macht es seinen Gegnern leicht.

    Hat Jürgen Busche es seinen Gegnern mit seinem jüngsten publizistischen Unternehmen, bei dem er der Bundeswehr alte Kameraden aus dem Ersten Weltkrieg als Vorbilder andienen will, wiederum leicht gemacht?

    Am 22. September 1914 ... stieß die "U 9" etwa vierzig Kilometer nordwestlich von Hoek van Holland auf die drei englischen Panzerkreuzer "Aboukir", "Hogue" und "Cressy" und versenkte sie... Mit dem ersten Torpedo hatte der Kommandant des deutschen U-Bootes, Kapitänleutnant Otto Weddigen, die "Aboukir" getroffen ... Als der nächste Treffer die "Hogue" zum Sinken brachte, begriffen die Engländer, dass sie es mit einem U-Boot zu tun hatten, zu spät. Als auch die "Cressy" getroffen war und innerhalb weniger Minuten unterging, stürmten zwar schon die kleineren, für die U-Boot-Bekämpfung ausgerüsteten Schiffe heran, aber sie konnten nur noch die auf der Wasseroberfläche treibenden Männer der Schiffsbesatzungen bergen, von denen viele verwundet waren. Die "U 9" hatte sich bereits unerkannt davon gemacht.

    Der Seeheld, mit dessen Geschichte Jürgen Busche seine "Heldenprüfung" einleitet, ist zweimal untergegangen. Otto Weddigen, der im September vor 90 Jahren zur kolossalen Freude seiner Landsleute mit nur drei Torpedos 1.600 britischen Seeleuten den nassen Tod beschert hatte, starb nur ein halbes Jahr später, von einem Feindschiff gerammt, auf gleiche Weise. Unvergänglich sei sein Heldenruhm, schrieb seine Majestät Wilhelm II. der Witwe. Der Heldenprüfer musste aber jetzt feststellen, dass Weddigen im Großen Brockhaus von 1994 nicht mehr verzeichnet ist. Zwanzig Jahre zuvor, so erkundete seinerseits der Rezensent, in der 17. Auflage von 1974 war er noch drin. Nun ja, auch ein konservatives Lexikon ist nicht gänzlich immun gegen den Zeitgeist. Jürgen Busche, Journalist vom Schröder-Jahrgang 1944, kann solche Gleichgültigkeit gegenüber dem zweiten Untergang seines Helden gewiss nicht teilen. Meint er doch, die neue deutsche Außen- und Militärpolitik seit 1999 sei mit einer weiteren Verweigerung des Erbes des Großen Krieges nicht länger vereinbar.

    Heldenprüfung ist zu empfehlen, weil die deutsche Geschichte ... wieder den Einsatz deutscher Soldaten unter Kriegsbedingungen zu verzeichnen hat. Am Ende des 20. Jahrhunderts flogen Piloten der Luftwaffe Angriffe gegen feindliche Stellungen in Serbien. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kreuzen Schiffe der Bundesmarine ... am Horn von Afrika. In Afghanistan stehen Soldaten der Bundeswehr mit gefährlichem Auftrag ... Die deutsche Politik ist gegenwärtig weiter von pazifistischen Grundsätzen entfernt als je in der Geschichte der Bundesrepublik, aber zugleich waren die militärischen Leistungen der Deutschen im 20. Jahrhundert noch nie so sehr tabuisiert wie heute.

    Ja, die Freiheit der Deutschen wird heute, folgt man dem zuständigen SPD-Minister, am Hindukusch verteidigt. Da kann einer schon auf die Idee kommen, sich auf die globalen Heldentaten eines Paul von Lettow-Vorbeck zu besinnen. Bevor dieser ruhmreich Deutsch-Ostafrika verteidigte, war er schon beim Boxeraufstand in China aktiv und half vor hundert Jahren als Hauptmann dem General von Trotha in Deutsch-Südwest, die aufständischen Hereros auszumorden, was der alte Kämpfer noch 1957 in seinen Memoiren tadellos fand:

    Ich glaube, dass ein Aufstand solchen Umfangs erst mal mit allen Mitteln ausgebrannt werden muss. Der Schwarze würde in Weichheit nur Schwäche sehen.

    Heia Safari! Lettow-Vorbeck ist ein würdiger Bestandteil des Helden-Sixpacks, den Jürgen Busche offeriert:

    Franz von Hipper, Ernst Jünger, Erwin Rommel, Paul von Lettow-Vorbeck, Felix Graf Luckner, Ernst Udet

    Zu dem glorreichen halben Dutzend kommen noch Paul von Hindenburg, den Busche in einem so genannten Epilog als Helden von Tannenberg und "Retter Ostpreußens" preist - wobei die Machtübergabe an Hitler und dessen Nobilitierung beim "Tag von Potsdam" zur Randerscheinung in Hindenburgs Heldenleben geraten - und, wie gesagt, der in der Einleitung gewürdigte Otto Weddigen.

    In der Einleitung eines Sachbuchs erwartet man normalerweise eine Skizze der Problemlage seines Themas, vielleicht auch ein paar Thesen, die später entwickelt werden sollen. Keine Seminartheorie, aber ein bisschen Begriffsklärung.

    Wer und was ist ein Held?

    ... fragt Busche zwar in der Einleitung, kommt trotz ihrer 18 Seiten aber nicht einmal zum Ansatz einer schlüssigen Antwort. Stattdessen tritt er die Weddigen-Story breit und verstreut in Sachen Heldentum nur Bildungslametta: erstes Auftauchen des Wortes "Held" im althochdeutschen Epos "Hildebrand und Hadubrand", Jacob Grimm als früher Heldenprüfer in seiner "Deutschen Mythologie" 1844 und so weiter. Auch die "Kardinaltugenden", über die ein Held vielleicht verfügen sollte, werden aufgezählt:

    Weisheit, Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit.

    So kennt man das seit Platon. Weise, oder zumindest klug, sollte ein Krieger seine Tapferkeit einsetzen, und besonnen sollte er bei aller Kühnheit auch agieren. Ein großes Problem aber macht die Gerechtigkeit. Sind wagemutige Taten nur dann heldenhaft, wenn sie auf ein objektiv gerechtes Ziel gerichtet sind? Oder reicht es, nur an ein vermeintlich gerechtes Ziel zu glauben? Oder genügt schon das Bewusstsein, irgendwie eine Pflicht zu erfüllen? Busche tippt diese wesentlichen Fragen nur an, und mit der Psychologie der Gewaltanwendung und des Tötens im Krieg beschäftigt er sich schon gar nicht. Er füllt die Seiten vor allem mit der Nacherzählung militärischer Taten, und als Zugabe präsentiert er sich als Sesselstratege. Er belehrt den Leser, was nach dem Fehlschlag des Schlieffen-Plans an der Westfront hätte geschehen müssen, wenn es nach Busche gegangen wäre. Bei der Darstellung des Admirals von Hipper, des Helden der Skagerrak-Schlacht von 1916, rechtfertigt er beiläufig die größenwahnsinnige wilhelminische Flottenpolitik und bietet im übrigen ein ermüdendes Schiffe-Versenken-Spiel. Die Chance, doch noch einen im Jahr 2004 diskutablen Heldenbegriff zu entwickeln, hätte vielleicht die Nummer zwei im Krieger-Sextett eröffnet: Ernst Jünger. Allerdings geht es Busche ja um die Rekonstruktion untergegangener Heldenbilder; Jünger aber, der junge Anti-Bürger mit kaltem Blick, hat den traditionellen Heldenbegriff dekonstruiert. Im industrialisierten Maschinenkrieg war kein Platz mehr für romantische Heroen. Was blieb als Nachklang, war ein heroischer Nihilismus, ästhetisch aufbereitet.

    Nicht wofür wir kämpfen, ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen.

    ... hieß es 1922 in Jüngers Schrift "Der Kampf als inneres Erlebnis". Das wurde 1932 im Essay über den "Arbeiter" von Jünger ausgebaut: der Typus Arbeiter und der Soldat fließen ineinander, Aktivisten, losgelöst aus dem Kontext von Moral und Sozialem. Jünger schickte vor 1933 zwar Widmungsexemplare an den ihn verehrenden Hitler, war aber gewiss kein Nationalsozialist. Doch der Sound seiner frühen Schriften ließ die schwarzen Totenkopf-Reihen der SS im Selbstgenuss ihres eigenen Nihilismus vibrieren. Bad vibrations, denen sich Busche, der flache Rekonstrukteur, mit keiner Zeile produktiv aussetzt. Er hat ein Buch geschrieben, das nur als Symptom interessant ist. Denn Busche hat den einen oder anderen gleichgesinnten Mitstreiter. Beispielsweise Arnulf Baring, der kürzlich den Elan der Deutschen in der Hitlerzeit lobte, den Deutschland heute - natürlich ohne Hitler! - dringend nötig hätte. Nun also ein Plädoyer für den Elan des Stoßtruppführers Jünger, des Draufgängers vom Isonzo, Erwin Rommel, des Abschussartisten und unglückseligen Luftikus Ernst Udet oder gar des schwadronierenden Spät-Piraten Luckner.

    Persönliche Tapferkeit, was ist sie und wie nötig wäre sie im Zeitalter automatisierten Tötens aus unpersönlicher Distanz? Eine Armee im Umbruch wie die Bundeswehr, von der sie tragenden Gesellschaft bestellt, um außerhalb der Landesgrenzen Gewalt auszuüben und potentiell zu töten, hätte es verdient, dass diese Frage endlich intensiv diskutiert würde. Ließe sie sich dabei ein auf Helden, wie Jürgen Busche sie beschreibt, könnte man nur mit Schaudern in die Zukunft schauen.

    Jürgen Busche: Heldenprüfung - Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs
    Deutschen Verlags-Anstalt München 2004, 196 Seiten, 18,90 Euro