Donnerstag, 18. April 2024

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Jürgen Zimmer, Joachim Zeller: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg in Namibia und seine Folgen.

Im Januar jährte sich zum hundertsten Mal der Ausbruch des Krieges zwischen den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, und dem Deutschen Kaiserreich. Die Historiker Zimmer und Zeller arbeiten die damaligen Ereignisse auf, beleuchten Ursachen, Verlauf und Folgen dieses Kolonialkrieges für beide Länder, Deutschland wie Namibia.

Von Gaby Mayr | 16.02.2004
    Die Namas kannten es nicht, dass man unter jemandem arbeitet. Sie waren sehr eigenständig. Das Land wurde gemeinsam genutzt, es gab kein Privateigentum. Die einzige Person, für die man sich vorstellen konnte zu arbeiten, war der Häuptling.

    Salomon Isaacs gehört zum Volk der Nama. Der gelernte Lehrer hat viele Jahre im Ausland verbracht. Nun ist er zurückgekehrt nach Berseba, einem Dorf im südlichen Namibia.

    Weiße Farmer kamen und erhielten Weiderechte. Schließlich wurden die Gebiete eingezäunt und zum Eigentum der weißen Farmer erklärt.

    Seit 1884 betrachtete das Deutsche Reich Südwestafrika als seine Kolonie. Verträge mit afrikanischen Führern sollten der Landnahme einen legalen Anstrich verleihen. Der Eigentumsbegriff, mit dem die Deutschen operierten, war den Afrikanern allerdings völlig fremd. Außerdem arbeitete ein Teil der Neuankömmlinge mit betrügerischen Tricks, indem sie zum Beispiel missverständliche Längenmaße verwendeten. Nama und Herero waren die Hauptleidtragenden deutscher Landaneignungen.

    Die Afrikaner begannen, sich gegen die Kolonialisten zu wehren. Ende 1903 kam es zu Kämpfen im Gebiet der Nama, im Januar 1904 entbrannte der Krieg in der Herero-Region. Die deutschen Soldaten gewannen die Oberhand und jagten die überlebenden Herero in die wasserlose Omaheke-Wüste, wo viele verdursteten. Nama und Herero, die bis dahin dem Tod entkommen waren, steckten sie in Konzentrationslager.

    Man muss die Geschichten von den älteren Leuten selber hören. Ich habe alle erreichbaren Dokumente und Bücher gelesen. Aber ich möchte die Informationen von den Leuten selber haben.

    Salomon Isaacs kommt gerade von einem Treffen mit Alten. Er hat begonnen, die Erinnerungen und Erzählungen seines Volkes aus der Zeit des Kolonialkrieges zusammenzutragen. Es ist das Jahr 1986.

    Namibia kämpft Mitte der Achtzigerjahre um seine Unabhängigkeit gegen die südafrikanische Besatzungsmacht. Dieser Kampf steht für die schwarze Bevölkerung aller Ethnien absolut im Vordergrund. Dennoch wollen Nama und Herero ihre Toten aus dem Kolonialkrieg gegen die Deutschen nicht vergessen.
    In Deutschland interessierten sich damals nur wenige für das dunkle Kapitel deutscher Kolonialgeschichte. Heute, Anfang 2004: Nach den Gesetzen des Medienbetriebes ist der hundertste Jahrestag des Kriegsbeginns ein Anlass für Zeitungsberichte, Radio-Features - und Bücher. Völkermord in Deutsch-Südwestafrika lautet der Titel eines sorgfältig zusammengestellten Werkes. Mitherausgeber Joachim Zeller:

    Die koloniale Vergangenheit Deutschlands ist ja hinter dem historischen Horizont von zwei Weltkriegen und dem Holocaust in Vergessenheit geraten. Nachdem wir jetzt uns auf breiter Ebene mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, wir uns nun vielleicht auch öffnen können anderen zurück liegenden Themen wie der deutschen kolonialen Vergangenheit.

    Das südwestliche Afrika im 19. Jahrhundert: Ein karges Land, in dem Menschen in kleinen Gruppen zusammenleben, ihr Reichtum sind ihre Tiere. Immer wieder kommt es zu Konflikten, vor allem um Wasser. In das labile Gleichgewicht platzen die Europäer - Missionare, Soldaten, Siedler. Nama-Clans und Herero-Gruppen versuchen, mit den Neuankömmlingen auszukommen. Mitunter verbündet sich eine afrikanische Gruppe mit den Europäern gegen eine andere afrikanische Gruppe. Anschaulich schildert das Buch Südwestafrika vor dem Krieg: Innerafrikanische Konflikte, schwarz-weiße Paare, Alltag. Die rücksichtslose Landnahme der Weißen einte schließlich die Afrikaner. Die Deutschen schlugen gnadenlos zurück. Am 2. Oktober 1904 erließ Generalleutnant Lothar von Trotha seinen berüchtigten Befehl, nachdem er die Herero am Waterberg bereits entscheidend geschlagen hatte:

    Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk oder lasse auf sie schießen...

    Herausgeber Zeller erklärt:

    Nun wird immer darauf hingewiesen, dass ja dieser so genannte Schießbefehl von von Trotha aufgehoben wurde, auf Geheiß von Kaiser Wilhelm II. Dem ist auch so, das ist richtig. Man muss sich aber sehr genau angucken: Wann wurde er denn aufgehoben? Volle zwei Monate später. In diesen zwei Monaten hatte sich die Tragödie im trockenen Sandfeld der Omaheke bereits vollzogen.
    Und da gibt es dann dieses bekannte Telegramm von Reichskanzler von Bülow, der dann Ende Dezember 1904 nach Windhoek kabelt: Die überlebenden Herero sind in Konzentrationslagern zu sammeln. Und die Vernichtungsstrategie ging ja in den Lagern weiter: Nahezu jeder zweite Häftling ist dann in diesen Konzentrationslagern umgekommen.


    Aber das Buch bleibt nicht stehen bei Krieg und Gewalt. Ein beachtlicher Teil der Texte und Bilder handelt vom "Leben danach". Zum Beispiel von jungen Herero-Männern, die den Krieg als Bambusen, als Diener deutscher Soldaten, überlebten. Sie hatten ihre Familien und alle sozialen Bezüge verloren und mussten sich ein völlig neues soziales Netz aufbauen:

    Nur wenige Monate nach der deutschen Niederlage 1915 etablierten die Herero-Soldaten ein landesweites Versorgungssystem, für das die deutsche "Schutztruppe" Modell stand. Die jungen Herero übernahmen die Namen und Titel ihrer vormaligen Offiziere. Sie sandten sich handgeschriebene Botschaften in deutscher Sprache, stellten Militärpässe, Zahlbücher und Anweisungen aus... Regimentsführer trugen den Titel "Seine Exzellenz Gouverneur von Deimling", "Staatssekretär", "Schatzmeister von Ministermann" ... oder "Adjutant Schmetterling von Preußen".

    Die überlebenden Hereros und ihre Nachfahren haben sich eine neue Identität geschaffen, in die sie Versatzstücke aus der Existenz der deutschen Besatzer einbauten. Die Deutschen - einst Feinde und Vorbilder zugleich. Bis heute sind - für Außenstehende nicht ohne weiteres verständlich - Reminiszenzen an die deutschen Kolonialisten und KZ-Herren in der Herero-Kultur lebendig. Herero-Frauen tragen auch in großer Hitze Kleider mit steifen, weiten Röcken und breit aufragende Kopfbedeckungen, die ihnen Missionarsgattinnen einst aufschwatzten, um ihre Blöße zu bedecken. Und wenigstens beim alljährlichen Toten-Gedenktag im August holen Herero-Männer alte Regimentsfahnen heraus, und manche ziehen Schutztruppen-Uniformen an.
    Auch die Nama haben einen Tag, an dem sie sich versammeln und ihrer Toten aus dem Kolonialkrieg gedenken.

    Doch das Gedenken entzweit das heutige Namibia eher als dass es die Nation eint. Das haben die Feierlichkeiten vor wenigen Wochen zur Erinnerung an den Beginn des Kolonialkrieges erneut gezeigt.
    Die meisten Angehörigen der deutschen Minderheit stehen grimmig abseits - nur wenige erkennen an, dass ihre Vorfahren Unrecht begangen haben. Die vor allem vom Mehrheitsvolk der Ovambo getragene SWAPO-Regierung zeigt den Nama und Herero die kalte Schulter.

    Auf nationaler Ebene gibt es ja seit einigen Jahren einen neuen nationalen Gedenktag, der dann begangen wird an dem neuen Nationaldenkmal, was man bei Windhoek errichtet hat. Aber dieses Gedenken dort, wo ja dann auch der Präsident kommt, ist doch eher Ovambo-dominiert, sprich: dort wird vor allem der Unabhängigkeitskampf gegen die südafrikanische Mandatsherrschaft erinnert.

    An diesem Punkt greift das Buch ein wenig zu kurz: Es beschränkt sich auf steinerne Zeugen und Rituale von Erinnerungskultur. Dabei wäre es interessant zu erfahren, wieviel an lebendiger Erinnerungsarbeit es heute noch gibt. Gibt es noch Leute wie Salomon Isaacs, der die Alten seines Volkes zum Erzählen brachte? Und was sagen die Jungen zur weit zurückliegenden Geschichte, wo doch so vielen von ihnen in der Gegenwart die Perspektive fehlt?
    Davon abgesehen: Das Buch von Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller ist ein wichtiger Beitrag, dass in Deutschland niemand mehr sagen kann: "Ich habe nichts gewusst.