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Jugend meidet die Leichtathletik

Die Leichtathletik steht vor dem Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Die Fernsehpräsenz geht zurück, die Bedeutung innerhalb des Sports ebenfalls. Die olympische Kernsportart ist nur noch ein Schatten früherer Tage.

Von Heinz Peter Kreuzer | 29.08.2010
    Die goldenen Zeiten sind vorbei. Seit fast 20 Jahren wird prognostiziert, die Leichtathletik verschwindet in der Bedeutungslosigkeit. Dabei hat Deutschland noch den Ruf einer Leichtathletik-Nation, relativ gesehen. Der Sponsoringexperte Hartmut Zastrow, Vorstand bei Sport+Markt:

    "Deutschland ist ja noch eine der Leichtathletik-Nationen, wenn man jetzt den weltweiten Vergleich sieht. Die Quoten, das Interesse ist in Deutschland ja wesentlich höher als in vielen Ländern im weltweiten Vergleich."

    Aber Zastrow legt den Finger in die Wunde:

    "Wenn man aber natürlich an die goldenen Zeiten in den 70er und 80er Jahren denkt, sie hat immer weniger Einschaltquoten, sie hat immer weniger Zuschauer, sie bekommt immer weniger Fernsehgelder, immer weniger Sendezeiten, insofern ist das, was mit der Leichtathletik passiert, natürlich schon ein schleichender Niedergang."

    Das größte Problem ist die mangelnde Fernsehpräsenz. Stars können sich so nicht entwickeln. Deutschlands Top-Meeting, das Berliner ISTAF, wurde eine Stunde lang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen live übertragen. Ansonsten müssen die Leichtathletikfans mit der Fernbedienung lange suchen. Gerhard Janetzky, Präsident des Berliner Leichtathletik-Verbandes und ISTAF-Cheforganisator zur TV-Präsenz der olympischen Kernsportart:

    "Sie ist weniger geworden, wir haben ja als Kernthemen neben dem ISTAF die Deutschen Meisterschaften, die ja nur noch draußen übertragen werden, nicht mehr die Hallenmeisterschaften und andere Meetings, die es ja wunderbar gibt, sei es Leverkusen, sei es Dessau oder Cuxhaven oder Kassel, sie werden im Fernsehen nicht mehr übertragen. Das ist bedauerlich."

    Auch die Diamond League, die Champions League der Leichtathletik, ist in Deutschland aus dem Fokus verschwunden. Bis 2014 überträgt der Spartenkanal "Sport 1" das Top-Event, nach Senderangaben sehen zwischen 170 000 und 300 000 Fans die Meetings. Zum Vergleich: Die einstündige ARD-Live-Übertragung vom ISTAF dieses Jahr hatte eine Million Zuschauer. Eine Ausnahme, meint Hartmut Zastrow:

    "Definitiv findet ja die Leichtathletik außerhalb der Europameisterschaften und Weltmeisterschaften schon unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das sind ja keine Quoten, die da auch gemacht werden. Das sind Lückenfüller, das ist auch nicht, was die Leute anzieht, das ist letztendlich Programmstrecke, die man zur Verfügung stellt, das sucht ja auch keiner mehr ernsthaft."

    Ein anderes Problem ist die Vergreisung des Publikums. Die Fans werden mit der Sportart alt.

    "Wenn man dann auch noch guckt, wie die Leichtathletik bei jungen Menschen fast schon gemieden wird. dann ist das nicht das, was in der Zukunft zu Optimismus Anlass gibt."

    Leichtathletik-Funktionär Janetzky hat die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. Zum einen macht ihn der Erfolg des ISTAF zuversichtlich. In diesem Jahr kamen mehr als 46 000 Zuschauer ins Berliner Olympiastadion. Und das, obwohl das Meeting zur zweitklassigen World Challenge gehört und nur über einen Etat von zwei Millionen Euro verfügt. Trotzdem stellte Janetzky ein erstklassiges Teilnehmerfeld zusammen und präsentierte dem Publikum nach 11 Jahren wieder einen Weltrekord. Über 800 m verbesserte der Kenianer David Rudisha die Bestmarke des Dänen Wilson Kipketer.

    Aber auch die Erfolge der deutschen Sportler bei den Europameisterschaften machen Janetzky Mut. Jetzt gebe es endlich wieder erfolgreiche Athleten in den attraktiven Laufdisziplinen, in der Vergangenheit seien die Siege nur in den Wurf- oder Stoßdisziplinen gefeiert worden.

    "Wir haben natürlich mit einigen neuen deutschen Sportlern Fortschritte gemacht, wir haben mit de Zordo, mit Verena Sailer Namen, die wieder attraktiv sind, die wieder ziehen können. Man muss natürlich gucken, wie sie im internationalen Vergleich dann abschneiden. Und wenn sie jetzt am Wochenende geguckt haben, die Veranstaltung in Brüssel, Carsten Schlangen ist trotz persönlicher Bestzeit so auf Platz sieben, Platz neun eingelaufen. Und das zeigt dann noch einmal den Stellenwert, den wir insgesamt haben."

    Und genau das ist das Problem: Die für das Publikum interessanten Sprinter und Läufer sind vielleicht in Europa Spitze, aber nicht in der Welt. Bei internationalen Wettkämpfen werden in erster Linie nur Hochspringerin Ariane Friedrich sowie die Stabhochspringer und –Springerinnen zu sehen sein. Aber für mehr Popularität und der damit verbundenen Medienpräsenz reicht das nicht aus. Dafür wäre, so Marketingexperte Zastrow, ein dem Fernsehen angepasstes Wettkampfprogramm notwendig. Wie es schon Biathlon vorgemacht hat.