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Jugendarbeit gegen Rechtsextremismus in Ungarn

In Ungarn zählt etwa ein Drittel der Generation unter 37 Jahren zu den Anhängern oder Sympathisanten der rechtsextremen Partei Jobbik, die rassistische Ideologien vertritt. Weil sich die Partei selbst als christlich-patriotisch bezeichnet, setzt sich vor allem die lutherisch-evangelische Kirche bei ihrem Jugendfestival Szélrózsakritisch mit dieser politischen Bewegung auseinander.

Von Anna Frenyo | 31.07.2012
    Die Olympiade der Freiwilligen fängt gerade an. Einige Jugendliche und die drei Bischöfe eilen gemeinsam, um Kleider für Obdachlose zu sortieren, ihnen Suppe auszuteilen oder bei einer Flut den Flussdamm mit Sandsäcken zu stärken. Das Spiel ist eins von diversen Aktivitäten, die während des Evangelischen Szélrózsa Festivals in Ungarn stattfinden. Szélrózsa, das bedeutet Windrose, so heißt das Jugendfestival, das alle zwei Jahre organisiert wird und zwei bis drei Tausend ungarische Lutheraner, sowie Gäste aus Deutschland, Finnland und der Slowakei anzieht.

    Drei Mädchen gewinnen die Freiwilligenolympiade. Sie freuen sich. Es ist ihr erstes Szélrózsa Festival, sie sind aus Siebenbürgen angereist. Sie gehören zu der ungarischen Minderheit in Rumänien und wollen gerne Jugendliche aus Ungarn kennenlernen. Sie sind dem Campingplatz am Plattensee in Fonyódliget, auf dem das neunte Szélrózsa Festival stattfindet. Einer der Bischöfe, Tamás Fabiny lädt sie ein, am Plattenseeufer mit seiner Familie Handball zu spielen.

    An der windigen Küste ist die ungarische Sommerhitze erträglicher. Wie die Wasserqualität ist, wird nebenan vom Ökostand kontrolliert.

    Auf einem Laufband tragen einige Teenager schwere Kanister mit Wasser. Das soll ihnen die Realität in Äthiopien deutlich machen, wo man oft viele Kilometer gehen muss, um Wasser zu holen. Bischof Fabiny:

    "Ich denke, wir sind am effektivsten, wenn wir nicht nur gegen etwas sind, sondern wenn wir uns für etwas engagieren."
    Dies gilt auch für die gesellschaftliche und politische Verantwortung der Lutheraner in Ungarn.

    "Es genügt nicht, gegen jegliche Art der Diskriminierung aufzutreten, wir müssen auch Alternativen aufzeigen."

    Das heißt für ihn auch, sich mit extremen politischen Gruppierungen auseinanderzusetzen, die besonders bei jungen orientierungslosen Menschen ankommen. Zu denen auch die Anhänger der rechtsradikalen Partei Jobbik zählen. Bischof Fabiny findet das beunruhigend.

    "Die Partei und ihre paramilitärische Gruppe, die so genannte ungarische Garde, sind stärker geworden und das macht mir Sorgen. Ich habe die Lehrer an unseren evangelisch-lutherischen Schulen darum gebeten, die kleinste rassistische Bemerkung - meistens gegen Roma - zu unterbinden, das darf bei uns nicht sein."

    Auf der großen Bühne des Camps spielen diverse Bands. In den Zelten finden Gesprächsforen statt. Das eine heißt Toleranzthermometer und analysiert die gesellschaftspolitische Verantwortung der Kirche. Die evangelisch-lutherische Kirche ist nach der katholischen und evangelisch-reformierten Kirche die kleinste Kirche in Ungarn. Ihre Mitglieder machen nicht mehr als 3Prozent der Bevölkerung aus, etwa 300.000 Ungarn. Dennoch ist die lutherische Kirche eine bedeutende politische und intellektuelle Kraft.

    "Die lutherische Kirche hat eine riesige Chance, eine politische Kultur in Ungarn zu formen und zur Demokratie zu erziehen. In diesem Land haben viele die Politik satt, das darf nicht sein, wir haben doch ein landesweites Netzwerk unserer Gemeinden, das muss sich in der Gesellschaft widerspiegeln."

    Pfarrerin Marta Bolba weist darauf hin, dass die Kirchengemeinden, als kleinste strukturelle Elemente der Gesellschaft, bereits während der Nazizeit in Ungarn die Anzahl der Faschismusanhänger gering halten konnte. Sie boten eine Alternative zu Diktator Ferenc Szálasi. Radikalismus sei oft ein Religionsersatz der unzufriedene Bürger, meint die Pfarrerin. Die Kirche müsse deshalb den Menschen in ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage helfen, in den Gemeinden ihre Probleme miteinander zu teilen, damit sie nicht orientierungs- und identitätslos für rassistische Ideologien anfällig würden.

    "Die Diskriminierung der Roma können wir nur so bekämpfen, in dem wir ihnen Chancen des Aufstiegs bieten, das geht durch Bildung. Letztes Jahr haben die Kirchen und das Ministerium für Integration gemeinsam Einrichtungen gegründet, in denen Roma ausgebildet werden können. Das kann dann für andere Roma eine Vorbildfunktion haben."

    Bischof Fabiny betont auch seine kritische Solidarität gegenüber der ungarischen Regierung. Wie vielen Pfarrern in seiner Kirche gefällt es auch ihm nicht, wenn die konservativen Parteien ihre Politik oft besonders christlich verpacken, um Wähler zu gewinnen. Anderseits weiß Bischof Fabiny natürlich, dass die Kirchen in Ungarn von staatlichen Förderungsgeldern abhängig sind. Sie daher nicht frei vom Einfluss der Politik. Er warnt aber auch davor, dass die Kirchen sich bei staatlichen Anlässen wie offiziellen Feiern nicht von den Politikern als Dekoration missbrauchen lassen sollten.

    "2010 kritisierte ich die damalige sozialdemokratische Regierung, ich war unzufrieden mit deren acht Regierungsjahren. Aber jede Kritik ist nur dann glaubwürdig, wenn sie nicht nur parteipolitisch bedingt ist - ich kritisiere auch die Regierung, die wir jetzt haben. Wir dürfen einfach nicht schweigen, wenn es um Einschränkungen beim Mediengesetz oder bei den Religionsgesetzen oder dem Verfassungsschutz geht."