Freitag, 19. April 2024

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Jugendproteste in Deutschland
Mit Greta Thunberg das Möglichkeitsfenster nutzen

Der Klimabewegung "Fridays for future" sei es gelungen, die Spannung zu halten, sagte der Protestforscher Simon Teune im Dlf. Vor allem die positiven Rückmeldungen aus Wirtschaft und Politik hätten dazu geführt, dass die Bewegung nicht nach wenigen Wochen eingebrochen sei.

Simon Teune im Gespräch mit Norbert Seitz | 09.06.2019
Sie ist der Star der jungen Klimabewegung: die schwedische Aktivistin Greta Thunberg, hier in Hamburg
Mit der Schwedin Greta Thunberg hat die Klimabewegung eine charismatische Symbolfigur (Deutschlandradio/Axel Schröder)
Das Bild vom "digitalen 1968" sei schief, sagte der Berliner Soziologe Simon Teune im Deutschlandfunk. Denn im Gegensatz zum stetigen Zulauf der "Fridays for future"-Proteste handele es sich bei der Studentenrevolte von einst nicht um echte Massenbewegung. Überhaupt rät der Protestforscher zur Vorsicht beim Umgang mit dem Generationenbegriff:
"Es geht um unsere Zukunft, was den Handlungsdruck erhöht." Außerdem komme es der aktuellen Protestbewegung auf Kooperationspartner an, auf die man, um erfolgreich zu sein, angewiesen sei.
Erfolgsrezept: Spannung halten, Verbündete suchen
Der jungen charismatischen Symbolfigur Greta Thunberg sei es gelungen, das Möglichkeitsfenster zu nutzen, das sich gerade jetzt auftue, um Veränderungen voranzubringen. Ihre Botschaft scheine durchschlagend:
"Es hat keinen Sinn, zur Schule zu gehen, wenn in 30, 40 Jahren die Erde unbewohnbar ist."
Folglich sei es der Klimabewegung gelungen - entgegen der Kurzlebigkeit anderer Protest-Bewegungen im vergangenen Jahrzehnt - die Spannung zu halten. Vor allem die positiven Rückmeldungen aus Wirtschaft und Politik hätten dazu geführt, dass die Bewegung nicht nach wenigen Wochen eingebrochen sei. Deshalb laute die Losung: "Wir müssen den Druck aufrecht erhalten".
Beim Klimaprotest handle es sich keineswegs um eine "religiöse Erweckungsgemeinschaft" oder einen "Kinderkreuzzug", wie Kritiker mitunter abschätzig behaupteten. Die Bewegung sieht sich durch wissenschaftliche Urteile bestätigt, wonach wir spätestens um 2030 bei ausbleibender radikaler Umkehr auf ein weltweites Klimachaos mit unkalkulierbaren Folgen zusteuerten.
Rezos Video-Botschaft: Umdenken einfordern
Der Paukenschlag des Youtubers Rezo und seiner provokativen Video-Botschaft habe auch ihn überrascht, sagte Teune. Das habe zwei Gründe: Die Rundumattacke sei faktenbasiert und empirisch fundiert gewesen. Und sie habe den Bruch zwischen digitaler Subkultur und dem Öffentlichkeitsverständnis der etablierten Politik deutlich gemacht.
Rezo habe damit den Impuls stark gemacht: "Die Welt ist schlecht, was hindert euch daran, sie zu ändern?", der bei vielen Jugendlichen zu einem fast schon existenziellen Antrieb für gesellschaftlichen Wandel geworden sei.
"Man kann heute auf dem Klo sitzen und dabei via Twitter Kontakt zum Wirtschaftsminister aufnehmen, und wenn man gut formuliert, bekommt man vielleicht sogar eine Antwort, bevor man sich die Hände gewaschen hat", so Teune. Wenn solche extrem individualisierten Handlungen durch Massierung eine Wucht bekommen, könnten sie auch in die politische Sphäre hinein wirken.
Die Hilflosigkeit der Reaktion etablierter Parteien auf Rezos Botschaft zeige eine Lücke zwischen verschiedenen Kommunikationskulturen, so Teune. "Die digitalen Kulturen sind noch nicht angekommen." Ausnahmen bestätigten die Regel. Der Mangel an digitaler Kompetenz gehe mit Defiziten an reformerischer Courage einher:
"Es gibt auch keinen Mut zum Experiment, mal etablierte Interessengruppen vor den Kopf zu stoßen."
Wirkung von Social media werde überschätzt
Doch bei allem Spott über die Fehltritte der Politik auf digitalem Terrain – die positiven Wirkungen von Social Media sollte man nicht überschätzen, so Teune. Er verweist auf den "Arabischen Frühling" von 2010, der reichlich überzogen als Facebook-Revolution verkauft worden sei. Dennoch gelte:
"Social Media haben tatsächlich zu einer Veränderung geführt, wie wir politisch diskutieren, und dass Medien nicht mehr als Leitmedien funktionieren, dass man nicht mehr eine ganze Zeitung liest." Dies habe die Vormachtstellung des Journalismus bei der Einordnung der Welt in Frage gestellt.
Die Wirkung von Protesten wird nach Ansicht des Protestforschers zumeist unterschätzt: Dass diese nicht 1:1 eingelöst würden, sei grundsätzlich die Regel. Wenn sie wirkten, dann auf anderer Ebene, nämlich "indem sie die Wahrnehmung von Menschen verändern, indem sie die Beteiligten an Politik heranführen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.