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Jugendweihe in der DDR
Immer noch ein beliebtes Übergangsritual

Vor 60 Jahren führte die SED die Jugendweihe ein, die sich auch 25 Jahre nach dem Ende der DDR großer Beliebtheit erfreut. An der Jugendweihe nehmen in den ostdeutschen Bundesländern dreimal mehr Jugendliche als an der Konfirmation oder Firmung in den Kirchen teil.

Von Michael Hollenbach | 27.05.2015
    Glückwunschkarten zur Jugendweihe
    Glückwunschkarten zur Jugendweihe (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    Um den Kirchen und ihrer Jugendarbeit das Wasser abzugraben, plante der SED-Staat 1954, der Konfirmation und der Firmung etwas entgegenzusetzen. Der Kirchenhistoriker Markus Anhalt hat die Quellen zur Einführung der Jugendweihe untersucht:
    "Hier muss man sagen, dass es den SED-Machthabern von Anfang an wichtig war, die Aktion Jugendweihe einerseits detailliert zu planen, aber andererseits das dahinter stehende staatliche Vorantreiben zu verschleiern. Das setzte man ins Leben, indem man eine Leserbriefaktion initiierte, die den Eindruck erwecken sollte, dass die Jugendweihe von einer breiten Öffentlichkeit gefordert wurde."
    Im November 1954 verbreitete dann der "Zentrale Ausschuss für Jugendweihe" einen Aufruf, der sich an alle Jugendliche wandte. Der neue Ritus solle ein "Kraftquell für die Entwicklung des jungen Menschen" sein, erläutert Markus Anhalt, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Die Kirchen waren damals alarmiert:
    "Beide Kirchen haben schnell reagiert: die evangelische Kirche Berlin-Brandenburgs hat Ende November 54 ein Schreiben an die Gemeinden veröffentlicht, in dem eindeutig die Unvereinbarkeit der Jugendweihe mit dem christlichen Bekenntnis dargestellt wurde."
    Widerstand gegen die Jugendweihe
    Und die katholischen Bischöfe wandten sich in Hirtenbriefen entschieden gegen das neue sozialistische Ritual. Zunächst mit Erfolg: denn 1955 nahm weniger als ein Fünftel der Jugendlichen an der Jugendweihe teil. Doch der staatliche Druck erhöhte sich. Zunehmend wurde – so Markus Anhalt – das Ministerium für Staatssicherheit eingeschaltet. Pfarrer wurden von der Stasi beobachtet und diffamiert. Und der thüringische Bischof Moritz Mitzenheim, eigentlich ein SED-loyaler Oberhirte, wurde bedrängt, weil er kompromisslos gegen die Jugendweihe auftrat:
    "Genau an dieser Stelle ist es mit Zutun des MfS gelungen, einen Sieg in der Jugendweihe zu erringen."
    Möglich wurde dieser Sieg durch Gerhard Lotz, ein IM der Stasi und als Jurist die rechte Hand des Bischofs.
    "Ihm gelang es, einen Großteil der Synodalen gegen den Willen des Landesbischofs dafür zu gewinnen, von dem Entweder-Oder-Standpunkt abzugehen. Er hat dabei im Einverständnis mit dem MfS, im Vorfeld einen Teil der Synodalen eingeladen und auf sie Einfluss genommen, dass sie einen vorgefertigten Entwurf befürwortet haben und unterzeichnet haben."
    Zunehmender Druck auf die Eltern
    Im Herbst 1958 rückte die thüringische als erste Landeskirche von der strikten Opposition gegen die Jugendweihe ab. Ein Beschluss mit Signalwirkung - zumal auch der staatliche Druck auf die Eltern immer größer geworden war.
    "Es war einerseits der Druck, der von oben kam und auch eine Überschätzung dessen, was die Leute in der Konfirmation noch gesehen haben, dass die Kirchen ihren Einfluss an dieser Stelle doch arg überschätzt haben."
    1959 nahmen bereits 80 Prozent an der Jugendweihe teil und gegen Ende der DDR waren es 98 Prozent eines Jahrganges. Und heute? Brauchen Jugendliche heute überhaupt noch ein Übergangsritual?
    "Heute würde man vermuten, dass wir viel weniger Ritualbedarf haben als früher, aber wahrscheinlich ist das Gegenteil der Fall", sagt Wolfgang Kaschuba, Direktor des Europäischen Instituts für Ethnologie in Berlin.
    "Es gibt noch einen tieferen Sinn dabei, und der bedeutet, dass Jugendliche sich auf eine Bühne gehoben fühlen, dass sie Respekt, Anerkennung, Aufmerksamkeit bekommen, und dass sie sich als Gruppe inszenieren können und inszeniert werden."
    In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel sind es noch mehr als die Hälfte der 13- bis 15-Jährigen, die in diesem Jahr zur Jugendweihe gehen. Fünf Mal mehr als zur Konfirmation. Martina Zoyke ist die Geschäftsführerin des Vereins Jugendweihe Mecklenburg-Vorpommern.
    "Sie wollen diesen Schritt ins Erwachsensein nicht allein gehen, sondern in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, dieses Gruppengefühl. Das ist heute immer mehr ausgeprägt. Das steht im Mittelpunkt der Feier."
    Auch heute noch markiert das Ritual einen Übergang
    Eine Feier – allerdings ohne Inhalt. Anders als zu DDR-Zeiten, als die Jugendlichen noch feierlich geloben mussten.
    So etwas gebe es heute nicht mehr, betont Martina Zoyke: "Die Jugendlichen werden in dieser Feierstunde auf die Bühne gerufen, erhalten dort die Urkunde, ein Geschenkbuch, Blumen, Glückwünsche und begehen dann den Tag in der Familie."
    Festredner sind heutzutage oft Politiker, auch bekennende Christen wie die Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier und Manuela Schwesig. Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba:
    "Das ist ein Resonanzboden für die neuen großen Worte, die mal ungeschickt, manchmal geschickter von Pfarrern und professionellen Redner gesprochen werden. Es sind Ansprachen an einem bestimmten Punkt, bei dem die Jugendlichen durch das Ritual das Gefühl bekommen, dass sie einen Schritt machen."
    Auch wenn mehr als die Hälfte eines Jahrganges zur Jugendweihe geht, sei die Feier bei den Jugendlichen selbst nicht unbedingt beliebt, meint Pastorin Tabea Bartels. Sie ist Leiterin des Jugendpfarramtes in Greifswald.
    "Ich glaube nicht, dass sie bei den Jugendlichen attraktiver ist, sondern dass sie in den Familien geübt ist, das heißt, das ist das vertraute Schwellenritual der Eltern und Großeltern, und es ist eine hohe Berührungsangst immer noch da zu kirchlichen Bezügen, so dass sich Eltern und Großeltern eher für die Jugendweihe entscheiden, weil es ihnen vertrauter ist."
    Auch wenn zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern noch nicht einmal tausend Jugendliche zur Konfirmation gehen – das ist gerade mal die Hälfte der Getauften -, so betrachte die Kirche die Jugendweihe nicht als Konkurrenz:
    "Wir haben so viel mehr zu bieten an Inhalt und Orientierung, dass wir uns auf dieses Feld nicht begeben müssen, einen Kampf mit einer Organisation, die den Jugendlichen inhaltlich nicht viel anbietet, sondern nur das Ritual."
    Der Segen hat einen besonderen Stellenwert
    Man müsse versuchen, die Schwellenängste abzubauen, da fast 90 Prozent der Ostbürger keinen oder wenig Kontakt zur Kirche hätten. Sinnvoll sei da vielleicht das Angebot so genannter religiöser Segensfeiern, die sich an konfessionslose Jugendliche wenden und seit einigen Jahren vor allem im Raum Erfurt/Halle angeboten werden:
    "In einem bestimmten Umfeld kann ich mir das als große Bereicherung vorstellen, weil es genau mit den Ängsten von Eltern ganz positiv umgeht."
    Denn eine große Studie zur Konfirmation habe gezeigt, dass bei Jugendlichen und Eltern der Segen einen sehr hohen Stellenwert habe:
    "Es hat manchmal ein Missverständnis, auch bei den Konfirmandeneltern, so ein magisches Verständnis, wenn mein Kind gesegnet ist, dann kann dem nichts mehr passieren, aber es gibt eine große Sehnsucht, den Kindern was Gutes zu tun, und ein Gespür dafür, auch bei den konfessionslosen Eltern: da ist etwas, was wir nicht leisten können, aber wir möchten, dass da was wäre, was sich um unsere Kinder kümmert."
    Und da seien die religiösen Segensfeier eine sinnvolle Alternative zur Jugendweihe, vielleicht auch – so Tabea Bartels – ein erster Schritt Richtung Taufe.