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Jugoslawien - Erinnerungen an ein untergegangenes Land

20 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens beschäftigen sich Serbiens Künstler und Intellektuelle wieder mit dem untergegangenen Staat. Es geht ihnen nicht um Nostalgie, sondern um das Ausloten von alten und neuen Gemeinsamkeiten.

Von Simone Böcker | 13.09.2012
    Eine Frau steht auf der Bühne und bekommt einen Herzinfarkt, während sie eine flammende Rede auf ein untergehendes Land hält. Als sie wieder erwacht, gibt es Jugoslawien nicht mehr. Autor Kokan Mladenovic hat die Handlung seines Stücks
    "Zbogom SFRJ" - "Auf Wiedersehen Volksrepublik Jugoslawien" - an den Film "Good bye Lenin" angelehnt. Mladenovic ist gleichzeitig auch Direktor des Theaters "Atelje 212". Mit diesem und anderen Stücken setzt er bereits im zweiten Jahr einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Jugoslawien.

    "20 Jahre nach der Zersplitterung Jugoslawiens wollen wir der Frage nachgehen, was von dieser alten jugoslawischen Idee der Brüderlichkeit und Einheit noch geblieben ist. Und das große Interesse des Publikums hat uns gezeigt, dass wir uns eigentlich immer noch nach dieser Vielfalt sehnen, als alle Kulturen und Religionen zusammengelebt haben."
    Mit dem Jugoslawienschwerpunkt trifft das Theater auf ein weitverbreitetes Gefühl: Angesichts der wirtschaftlich schwierigen Zeit sehnen sich nicht nur viele ältere, sondern auch junge Menschen den Vielvölkerstaat zurück. Auch Mladenovics Büro gleicht mit seinen Tito-Büsten und Jugoslawien-Flaggen einem Flohmarkt. Er selbst trägt einen roten Stern am Revers. Doch Mladenovic will nicht nur nostalgisch zurückschauen. Mit der Saison "Utopija" geht es ihm beim Blick zurück auch um ein neues Zukunftskonzept.

    "Es gibt keine Ideale mehr, keine Überzeugungen – das ist ein allgemeines Problem. Deswegen interessiert uns: Wie können wir wieder zu einem utopischem Denken kommen? Durch unsere Stücke wollen wir kritisch gegenüber all diesen Irrwegen der heutigen Zeit sein und ein anderes Konzept anbieten."

    Ana Adamovic, Jahrgang 1974, ist ein paar Jahre jünger als Kokan Mladenovic. Trotzdem hat auch sie noch lebendige Erinnerungen an die Titozeit. Ein Grund, weswegen sie zusammen mit andern Künstlern das Erbe der jugoslawischen Zeit zum Thema einer Ausstellung gemacht hat, mit dem Titel "Land of Promises".

    "Jahrelang gab es in dem Diskurs um Jugoslawien nur zwei Sichtweisen: Der einen zufolge war Jugoslawien das schönste und perfekteste Land, wie ein Märchen. Und nach der anderen war es ein Alptraum, in dem niemand glücklich war. Unsere Frage ist nun: Was war das eigentlich wirklich für ein Land? Wer war Tito? War er ein Diktator oder nicht?"

    Ging es den Künstlern und Künstlerinnen früher vor allem um die Aufarbeitung der Kriege, erforschen sie jetzt das untergegangene Land ihrer Jugend.

    "Es ist ein großes Trauma. Die Tatsache, dass du in einem Land geboren wurdest und dieses Land sich dann blutig aufgelöst hat, ist ein großes Trauma. Es ist also logisch, dass gerade in meiner Generation das Interesse an dem Thema jetzt zunimmt."

    Das Thema Jugoslawien ist auch auf andere Weise aktuell: Nach Zeiten der Trennung rücken die ex-jugoslawischen Länder wieder stärker zusammen, es entsteht so etwas wie ein neuer jugoslawischer Raum. Kroatische Bands touren schon längst wieder auch in Serbien oder Bosnien und stehen dort vor ausverkauften Hallen, es gibt gemeinsame Filmproduktionen. Und auch der Buchmarkt hat sich wieder über die nationalen Grenzen hinweg ausgerichtet. Mile Tomic vom Verlag VBZ in Belgrad:

    "Mit Jugoslawien ist ein Markt mit 22 Millionen Einwohnern zusammengebrochen. Es gab keine großen Verlage mehr nach dem Zerfall. In den 1990er Jahren hatten wir Auflagen von 3000 bis 3500 Büchern, was nicht wirtschaftlich ist. Wir mussten uns deshalb überlegen, wie wir alle überleben können."

    Die Antwort lag darin, wieder die alten Märkte der Nachbarländer in den Blick zu nehmen. Der kroatische Verlag VBZ hat bereits 2007 deswegen eine Niederlassung in Belgrad eröffnet. Seitdem gibt es wieder einen intensiven Austausch in beide Richtungen.

    "Früher hat es eine gemeinsame Sprache gegeben: das Serbokroatisch. Inzwischen sind weitere Sprachen hinzugekommen, weil jeder auf seine nationalen Eigenheiten Wert legt: Bosnisch, Montenegrinisch, Serbisch und Kroatisch. Aber wir können uns immer noch ohne Dolmetscher verständigen, was natürlich gerade im Verlagsbereich sehr günstig ist. Denn so können wir die Grenzen überwinden."