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Jules Massenets vergessene Kompositionen

Jules Massenets Meditation aus seiner Oper Thaïs ist weltbekannt. Seine Instrumentalkompositionen sind aber weitestgehend vergessen. Der Pianist Stefan Irmer bringt die vergessenen Stücke nun wieder zum Vorschein.

Von Jochen Hubmacher | 11.03.2012
    Méditation aus Thaïs
    Komponist: Jules Massenet

    Sehr wahrscheinlich haben Sie diese Melodie schon einmal irgendwo gehört. Mit der Meditation aus seiner Oper Thaïs hat sich Jules Massenet einen der vorderen Plätze in der ewigen Hitliste klassischer Musik gesichert. Sein umfangreiches Liedschaffen dagegen und erst recht der Großteil seiner Instrumentalkompositionen sind ein Fall fürs musikalische Raritätenkabinett.

    Genau 100 Jahre nach Massenets Tod gibt es also jede Menge wiederzuentdecken im Werk des französischen Romantikers. Der Pianist Stefan Irmer, der in der Vergangenheit mehrfach seinen guten Riecher für spannendes Repertoire jenseits ausgetretener Pfade bewiesen hat, geht im Jubiläumsjahr mit gutem Beispiel voran.

    Beim Label MDG ist jetzt seine Gesamteinspielung der Solo-Klavierwerke Jules Massenets erschienen. Unsere heutige neue Platte hier im Deutschlandfunk.


    Toccata
    Komponist: Jules Massenet

    1892, also in dem Jahr, in dem auch seine Oper "Werther" uraufgeführt wurde, schrieb Jules Massenet die Toccata für Klavier, die wir gerade von Stefan Irmer gehört haben. Wir können davon ausgehen, dass Massenet das virtuose Stückchen mit den barocken Anklängen selbst auch spielen konnte. Immerhin hatte er am Pariser Konservatorium Klavier studiert und als frisch gekürter Rom-Preisträger den berühmten Kollegen Franz Liszt beeindruckt. Möglicherweise mit dem folgenden Stück, Massenets erstem Klavierwerk überhaupt. Die 1861 entstandene Grande Fantaisie über Giacomo Meyerbeers komische Oper "Le Pardon de Ploërmel".

    Grande Fantaisie sur le Pardon de Ploërmel
    Komponist: Jules Massenet

    Das Treffen mit Franz Liszt in der Villa Medici in Rom hat für Jules Massenet nicht allein künstlerischen Wert. Er findet die Frau fürs Leben, durch Liszt. Denn der empfiehlt seiner Klavierschülerin Louise-Constance de Gressy, bei Massenet Unterricht zu nehmen. Während der Klavierstunden funkt es zwischen den beiden und sie heiraten schließlich.

    Ab 1865 schreibt Jules Massenet nahezu im Jahrestakt eine Oper nach der anderen. Dennoch findet er immer wieder auch Zeit für Klavierkompositionen. Deren Stil verändert sich hörbar. Massenet verzichtet mehr und mehr auf das üppige musikalische Blendwerk, die virtuose Salonlöwen-Attitüde, wie sie noch seine Grande Fantaisie über Meyerbeers "Le Pardon de Ploërmel" gekennzeichnet hat. Weg von der ganz großen musikalischen Geste eines Franz Liszt, hin zur einer Schlichtheit, die auf die Kraft guter Melodien vertraut und an die Charakterstücke Robert Schumanns erinnert.


    Vieille Chanson, aus: Dix pièces de genre, op. 10
    Komponist: Jules Massenet


    Die neue Platte im Deutschlandfunk heute mit der beim Label MDG erschienenen Einspielung sämtlicher Werke für Klavier solo von Jules Massenet. Pianist Stefan Irmer interpretierte zuletzt die "Vieille Chanson" aus den 10 Pièces de genre. Ein Stück, das von seiner Anmutung her auch in Robert Schumanns "Album für die Jugend" oder in den "Kinderszenen" auftauchen könnte.

    Massenet schätzte Schumanns Musik sehr, und legte sie den Studenten seiner Kompositionsklasse am Pariser Konservatorium stets ans Herz. Zu seinen Schülern dort gehörten einige später selbst berühmt gewordene Komponisten wie Gustave Charpentier oder George Enescu.

    Massenets Solo-Klavierwerke zeichnen sich durch ihre fast schon skizzenhafte Knappheit aus. Kaum eines der Stücke auf Stefan Irmers CD dauert länger als drei Minuten. Als hätte Massenet, der viel beschäftigte Musikdramatiker keine Zeit und keine Note zu viel zu verschenken gehabt. Wie schon Robert Schumann spielt Massenet gerne mit barocken Formen, Gigue, Rigaudon oder Fuge. Auch in Massenets sieben Improvisationen aus dem Jahr 1875 scheint zwischen romantischen Akkord-Kaskaden kurzzeitig der Geist Johann Sebastian Bachs durchs Klangbild zu huschen.

    Nr. 6 – Allegro deciso con moto aus: Sept improvisations
    Komponist: Jules Massenet

    Das Solo-Klavierwerk von Jules Massenet entpuppt sich als reizvolle Sammlung kleiner musikalischer Juwelen, die Pianist Stefan Irmer glücklicherweise aus der Schublade des Vergessens hervorgeholt hat und auf seiner neuen CD in all ihren Facetten zum Funkeln bringt. Äußerst hilfreich sind Irmers technische Fähigkeiten, die ihn virtuose Passagen scheinbar mühelos meistern lassen. Vor allem aber besticht er durch ein feines Gespür für die Zerbrechlichkeit und schlichte Anmut, die Massenets Klaviermusik an vielen Stellen ausmacht.

    Das I-Tüpfelchen dieser rundum gelungenen CD ist das Instrument, mit dem sie eingespielt wurde. Ein Steinway-Flügel aus dem Jahr 1901. Klanglich authentischer geht es wohl kaum für Jules Massenets 1907 entstandene Deux Pièces pour piano, bei denen zunächst schwarze Schmetterlinge durch die Luft flattern, gefolgt im zweiten Stück von ihren weißen Artgenossen. Papillons noirs – Papillons blancs.

    Deux pièces pour piano: Papillons noirs – Papillons blancs
    Komponist: Jules Massenet

    Ein weltberühmter Opernkomponist, Jules Massenet, und seine nahezu vergessene Musik für 88 Tasten. Stefan Irmer hat sämtliche Solo-Klavierwerke Jules Massenets auf einer empfehlenswerten CD eingespielt, die kürzlich beim Label MDG erschienen ist. Das war die neue Platte. Am Mikrofon verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Jochen Hubmacher.