Mittwoch, 27. März 2024

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JuLi-Chefin zu Thüringen
"Diese Klarheit hatten wir am Mittwoch leider nicht"

"Auf einen solchen Fall wie in Thüringen waren wir nicht ausreichend vorbereitet", sagte die Vorsitzende der Jungen Liberalen Ria Schröder im Dlf nach der umstrittenen Ministerpräsidentenwahl in Erfurt. Die FDP müsse ihre überholten Richtlinien zum Umgang mit der AfD überarbeiten.

Ria Schröder im Gespräch mit Peter Sawicki | 08.02.2020
27.04.2019, Berlin: Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, spricht auf dem 70. FDP-Bundesparteitag. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Das politische Erdbeben in Thüringen haben viele zu spüren bekommen, auch die Liberalen. Ihr Kandidat Thomas Kemmerich wurde für viele überraschend am Mittwoch zum Ministerpräsidenten gewählt, aber eben auch mit Stimmen der AfD. Das war für die meisten in der Partei ein Tabubruch, der sich auch auf den Parteichef Christian Lindner ausgewirkt hat. Ihm wurde unter anderem Zögerlichkeit vorgeworfen. Gestern hat er dann im Bundesvorstand die Vertrauensfrage gestellt, und er hat sie überstanden.
Trotzdem stellt sich die Frage, wie groß der nachhaltige Schaden bei der FDP ist. Dazu Ria Schröder, Vorsitzende der Jungen Liberalen.
"Christian Lindner ist nach wie vor der Richtige"
Peter Sawicki: Frau Schröder, Christian Lindner hat die Vertrauensfrage gestellt, er hat sie überstanden, und er spricht von einem starken Mandat, das er da bekommen hat. Fühlen Sie sich da mit einbezogen?
Schröder: Auf jeden Fall, ich habe Christian Lindner gestern auch mein Vertrauen ausgesprochen. Für mich war die Frage ganz wichtig, ob er einen Fehler gemacht hat in dieser ganzen Situation, ob er also die Lage falsch eingeschätzt hat, ob er Bescheid wusste, dass Thomas Kemmerich die Wahl annehmen wollte. Darüber haben wir gestern eine sehr offene, sehr intensive Debatte im Bundesvorstand geführt, und am Ende war für mich klar, dass die Situation in Thüringen nicht dazu führen kann, dass Christian Lindner das Vertrauen entzogen wird. Deswegen habe ich ihm auch meines gegeben.
Demonstration auf dem Holzmarkt Jena gegen die Wahl des neuen Ministerpräsidenten von Thüringen Thomas Karl Leonard Kemmerich FDP am 5.2.2020 Demoschild zum Blumenstraußwurf von Susanne Hennig-Wellsow Die Linke im Thüringer Landtag Holzmark Jena *** Demonstration on the timber market in Jena against the election of the new Prime Minister of Thuringia Thomas Karl Leonard Kemmerich FDP on 5 2 2020 Demo sign for Susanne Hennig Wellsows bouquet of flowers The Left in the Thuringian Parliament Holzmark Jena
Nach der Thüringen-Wahl: Die Standpunkte der Parteien
Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD sorgt für enorme politische Turbulenzen – in den Parteien werden die Konsequenzen heiß diskutiert.
Sawicki: Also hat er Ihre Fragen, die Sie hatten, zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet?
Schröder: Was heißt Zufriedenheit? Für mich war es einfach entscheidend zu wissen, wusste Christian Lindner Bescheid. Wenn er nämlich Bescheid gewusst hätte, dann hätte er es entweder gutgeheißen und damit, glaube ich, die politische Großwetterlage insgesamt ganz falsch eingeschätzt …
Sawicki: Und er hat das nicht gewusst?
Schröder: Er hat es nicht gewusst.
Sawicki: Das glauben Sie ihm?
Schröder: Das glaube ich ihm. Er hat auch mit Thomas Kemmerich Kontakt gehabt am Tag vorher. Thomas Kemmerich hat auch selber deutlich gemacht, dass er nicht damit rechnet, gewählt zu werden, und dass er sich auch nach wie vor ganz klar gegen die AfD abgrenzt. Aus meiner Analyse heraus ist es so, dass auch Thomas Kemmerich tatsächlich von dem Ergebnis überrascht war. Man kann ihm sicherlich unterstellen, er hätte damit rechnen müssen, aber ich nehme ihm ab, dass er mit der Situation überfordert war und dadurch unter anderem diese falsche Entscheidung getroffen hat.
Lieber kein Amt, als ein von der AfD toleriertes
Sawicki: Lassen Sie uns über Thomas Kemmerich und Thüringen gleich sprechen, bleiben wir noch mal kurz beim Parteichef. 33 Ja-Stimmen von 36 abgegebenen Stimmen hat es gegeben, zwei Enthaltungen, eine Nein-Stimme. Ist das Ganze eine ehrliche Unterstützung für ihn oder einfach nur aus Mangel an Alternativen zu dem Zeitpunkt?
Schröder: Ich glaube, wir haben keinen Mangel an Alternativen. Es gibt in unserer Partei viele Leute, denen ich zutraue, früher oder später Verantwortung zu übernehmen, oder die auch schon Verantwortung tragen in ihren Landesverbänden beispielsweise. Daran liegt es nicht aus meiner Sicht, sondern Christian Lindner ist nach wie vor der Richtige für diese Position, und es wird jetzt auch seine Verantwortung sein, die Lehren aus Thüringen zu ziehen. Ich sehe da beispielsweise eine Notwendigkeit, dass wir unsere Richtlinien zum Umgang mit der AfD, die wir seit vielen Jahren schon haben, dass wir die überarbeiten und aktualisieren, denn auf einen solchen Fall wie in Thüringen waren wir nicht ausreichend vorbereitet – das hat sich jetzt gezeigt. Deswegen ist mir ganz wichtig, dass da jetzt auch Konsequenzen folgen.
Sawicki: Wenn Sie sagen, Richtlinien überarbeiten, was stellen Sie sich da konkret vor?
Schröder: Aus meiner Sicht muss ganz deutlich sein, dass sich jemand von der FDP niemals wählen lassen kann, wenn das nur mit den Stimmen der AfD möglich ist. Damit machen wir nämlich die AfD nicht klein, so wie es unser Anliegen ist, sondern wir machen sie groß, wir geben ihr Macht, und das darf nicht passieren. Man kann natürlich nicht sagen, auch wenn die AfD einem mal zustimmt, dann ist das nicht ein Makel, aber wenn die Wahl nur dann zustande kommt, also wenn eine Mehrheit ohne die AfD nicht gegeben ist, dann muss für alle Freien Demokraten aus meiner Sicht klar sein, dass man dann lieber ein Amt nicht annimmt, als sich von der AfD da tolerieren zu lassen. Ich glaube, diese Klarheit, die hatten wir am Mittwoch leider nicht, ich bereue das, und wir müssen sie deswegen für die Zukunft noch mal ganz besonders hervorheben.
Kemmerichs Vorhaben war "zum Scheitern verurteilt"
Sawicki: Liegt das denn daran, dass man sich vorher nicht klar genug von der AfD auch in der Rhetorik vielleicht abgegrenzt hat, musste man diese Erfahrungen dann jetzt erst mal machen?
Schröder: Nein, eine Abgrenzung von der AfD hat bei uns immer in aller Konsequenz stattgefunden. Die Hoffnung, die aus meiner Sicht Thomas Kemmerich hatte, war, dass er mit den Stimmen der AfD am Ende eine Politik machen kann, die gegen die AfD gerichtet ist. Das kann man als naiv bezeichnen, andere würden das als mutig bezeichnen – ich glaube, ich tendiere eher zu Ersterem, auch wenn ich selber am Anfang nicht alle Konsequenzen gesehen habe, das sage ich auch ganz selbstkritisch. Aber man musste relativ schnell erkennen, spätestens als die SPD und die Grünen, die haben sehr schnell klargemacht, mit uns wird das nichts, und auch die CDU-Bundesspitze hat noch am Mittwochnachmittag erklärt, dass sie eine Zusammenarbeit mit der FDP unter diesen Umständen nicht tolerieren werden.
In Thüringen gibt es ja nach wie vor andere Stimmen, da hätte sich der ein oder andere sehr wohl gewünscht, jetzt mit der FDP eine Regierung, in welcher Form auch immer, zu bilden. Aber ich glaube, man muss einfach sehen, es wäre nicht möglich gewesen, irgendetwas im Thüringer Landtag durchzubringen, ohne dabei nicht auch auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Deswegen ist dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt gewesen, deswegen war es der einzig richtige Schritt, dass Thomas Kemmerich jetzt seinen Rückzug angekündigt hat.
Sawicki: Und Sie sagen – Sie haben ihn als überfordert gerade bezeichnet in dieser Situation am Mittwoch –, und wenn Sie sagen, die FDP muss ihre Richtlinien mit Blick auf die AfD überarbeiten, muss sie künftig auch genauer hinsehen, wenn sie bei Landtagswahlen als Spitzenkandidaten aufstellt?
Schröder: Ich glaube nicht, dass man deswegen jetzt Thomas Kemmerich im Nachhinein nicht aufgestellt hätte haben dürfen. Thomas Kemmerich, ich kenne diesen Mann, wir verstehen uns nicht in allen Fragen, aber er ist auf jeden Fall kein Rechtsextremer.
FDP in Ostdeutschland "nicht gut aufgestellt"
Sawicki: Aber offenbar politisch nicht befähigt in einer solchen Situation, haben Sie ja gerade eben auch gesagt.
Schröder: Ich glaube, das ist eine Situation, das möchten Sie und ich uns nicht vorstellen, dass wir in so einer Situation mal sind und da die richtige Entscheidung treffen müssen. Ich glaube, jetzt wäre ich da relativ klar, wie meine Entscheidung ausfallen müsste, aber ich möchte Thomas Kemmerich nicht sagen, er hätte da anders reagieren müssen. Ich glaube, diese Überforderung, die ist menschlich, und ich glaube, dass die Konsequenz daraus ist – und das habe ich auch gestern sehr deutlich gesagt –, ich glaube, Thomas Kemmerich sollte keine Ämter mehr in Thüringen und in der FDP übernehmen, weil er diese Entscheidung nicht richtig getroffen hat, aber das ist eine Konsequenz aus dieser Sache.
Es geht nicht darum, dass er gar nicht hätte aufgestellt werden dürfen, denn wir sind in Thüringen auch ein Landesverband, wir haben da sehr zu kämpfen. Wir haben da keine große Basis wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wo es ganz viele Menschen gibt, die sich für die FDP engagieren, ganz viele talentierte Köpfe, die da nach vorne streben. Wir sind strukturell im Osten und auch in Thüringen nicht gut aufgestellt, deswegen habe ich das sehr begrüßt auch damals, als Thomas Kemmerich, der ja als Bundestagsabgeordneter die FDP vertreten hat aus Thüringen, dass er sich dazu bereiterklärt hat, dort die Spitzenkandidatur zu übernehmen und ja auch einen Wahlsieg errungen hat, mit dem viele vorher nicht gerechnet haben. Das ist etwas, was ich ihm nach wie vor zugutehalte. Die Konsequenzen jetzt muss er ziehen aus meiner Sicht, aber das sage ich nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern das ist einfach eine Frage der politischen Verantwortung.
"Neuwahlen die richtige Folge aus diesem Schlamassel"
Sawicki: Die CDU in Thüringen, die denkt ja mittlerweile über eine Duldung von Bodo Ramelow nach als Ministerpräsident, wenn er sich jetzt zu einer neuen Wahl stellen sollte. Warum tut das die FDP nicht?
Schröder: Wir haben immer deutlich gemacht, dass wir zwar aus unterschiedlichen Gründen heraus – und ich würde das niemals gleichsetzen –, aber dass wir weder mit der AfD und auf der anderen Seite auch nicht mit den Linken zusammenarbeiten. Das liegt nicht an Bodo Ramelow in erster Linie…
Sawicki: Eine Duldung ist ja noch keine Zusammenarbeit.
Schröder: Ach, na ja, also ganz ehrlich, mir wurde in den letzten Tagen vorgeworfen, dass Zusammenarbeit schon wäre, wenn man sich nur wählen lässt, ohne dass es da eine Absprache gegeben hat. Ich glaube, die Interpretationen davon, was eine Absprache oder was eine Zusammenarbeit ist, die sind vielfältig, und eine Duldung halte ich schon für eine relativ starke Zusammenarbeit. Aber ganz ehrlich, das ist auch eine Frage, die wird die FDP in Thüringen entscheiden müssen, und da gehe ich davon aus, dass sie da die richtigen Konsequenzen auch ziehen wird.
Sawicki: Aber Neuwahlen können ja auch nicht im Interesse der FDP sein jetzt nach diesen Ereignissen und wenn Sie sowieso nur ganz knapp eingezogen ist in den Landtag.
Schröder: Ich glaube, dass Neuwahlen die richtige Folge aus diesem Schlamassel wären. Ich glaube, der Wille der Wähler, der muss an dieser Stelle noch mal eingeholt werden, und es ist an der FDP vor Ort, entsprechend sich neu aufzustellen, um das Vertrauen auch wiederzugewinnen.
Sawicki: Auch aufs Risiko hin, dass man dann aus dem Landtag wieder fliegt?
Schröder: Dieses Risiko, das schwingt immer mit, deswegen ist es nicht geboten, eine Entscheidung daran zu knüpfen, sondern wenn man das richtig findet, dann muss man auch diese Gefahr eingehen, auch wenn ich den Parteifreundinnen und -freunden in Thüringen nicht wünsche. Die haben da sehr stark gekämpft, die haben auch viel vor im Landtag, aber sie werden da jetzt vor Ort entscheiden müssen, wie es weitergeht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.