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Juli-Putsch
Putsch der Pannen und Hitlers Beteiligung

Vor 80 Jahren versuchten Tausende SS- und SA-Männer, die autoritäre Regierung in Wien zu stürzen und ein nationalsozialistisches Satellitenregime zu installieren. Der Historiker Kurt Bauer fasst in seinem Buch seine jahrelange Recherche zusammen und stellt fest, dass Hitler diesen Umsturzversuch befohlen hat - und dass einiges schief ging.

Von Günter Kaindlstorfer | 21.07.2014
    Adolf Hitler im September 1943
    Hitler habe 1934 definitiv keinen Anschluss gewollt, so der Historiker Kurt Bauer in seinem Buch (Hitler hier auf einer Aufnahme von 1943). (dpa / picture alliance / Ullstein)
    Am 25. Juli 1934, kurz vor 13 Uhr, besetzen Angehörige der "SS-Standarte 89" das Kanzleramt in Wien. Dort hält der Ministerrat des autoritären Ständestaats seine letzte Sitzung vor den Sommerferien ab, die meisten Regierungsmitglieder, vor einem drohenden NS-Putsch gewarnt, haben das Gebäude bereits verlassen. Die aufständischen Nationalsozialisten bringen die im Haus verbliebenen Regierungsmitglieder in ihre Gewalt, Kanzler Dollfuß wird bei einem Handgemenge von einem tödlichen Schuss getroffen. Die österreichische Wochenschau berichtet:
    "Am 25. Juli hatten sich etwa dreihundert Aufrührer in einer Turnhalle heimlich mit Waffen versehen, um einen Überfall auf das Bundeskanzleramt durchzuführen ..."
    Während die NS-Putschisten das Bundeskanzleramt in ihre Gewalt bringen, stürmt ein anderes SS-Kommando das Gebäude der österreichischen Rundfunkanstalt RAVAG und erzwingt eine Sondermeldung: Die Regierung Dollfuß habe demissioniert. Diese Rundfunkdurchsage ist für tausende SA-Männer in den Bundesländern das Zeichen, einen bewaffneten Aufstand gegen das austrofaschistische Regime vom Zaun zu brechen. Gendarmerieposten und Bezirkshauptmannschaften, Bezirksgerichte und Fernmeldeämter werden von den Nazis besetzt, vor allem in Kärnten und der Steiermark, aber auch in Teilen Salzburgs und Oberösterreichs kommt es zu blutigen Kämpfen. Insgesamt kommen bei den Scharmützeln 220 Menschen zu Tode, mehrere hundert werden verwundet. Doch der Putsch scheitert, das austrofaschistische Regime, jetzt unter Bundeskanzler Schuschnigg, kann seine prekäre Macht für einige Zeit stabilisieren.
    Historiker: Hitler hat den Putsch befohlen
    Der Wiener Historiker Kurt Bauer ist einer der besten Kenner der Materie. In seinem Buch "Hitlers zweiter Putsch" fasst er seine jahrelangen Forschungen zusammen. Bauers zentrale These: Adolf Hitler persönlich war der auslösende und bestimmende Faktor des Juliputschs:
    "Im Unterschied zur bisherigen Forschungsmeinung bin ich zu der Auffassung gelangt, dass Hitler diesen Putsch nicht nur unterstützt hat oder davon gewusst hat, sondern dass er ihn ganz definitiv BEFOHLEN hat. Das ist wirklich neu in der Forschung, und das lässt sich, würde ich meinen, aufgrund einer lückenlosen Indizienkette nachweisen."
    Damit widerspricht Kurt Bauer Historikern wie Ian Kershaw und Gerhard Jagschitz, die in ihren Arbeiten zum Thema von einer "passiven Zustimmung" Hitlers ausgegangen sind. Nach der pedantischen Rekonstruktion der Ereignisse kommt Kurt Bauer zu einem anderen Befund: Nach einem Treffen mit Mussolini im Juni 34 habe Hitler zwei folgenschwere Entscheidungen gefällt - zum einen die Entmachtung der SA durch den Mord an Ernst Röhm und anderen SA-Führern, zum anderen den gewaltsamen Sturz der Regierung Dollfuß in Wien. Was aber war sein Motiv?
    "Hitler wollte 1934 definitiv keinen Anschluss. Er wusste, dass er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisieren konnte, weil Deutschland militärisch noch zu schwach war. Was Hitler wollte, war eine Art Neutralisierung."
    Dem deutschen Diktator schwebte eine willfährige Regierung auf dem Wiener Ballhausplatz vor, ein Satrapenregime, das seine Politik eng mit dem nationalsozialistischen Deutschland abstimmen sollte.
    "Hitler wollte eine Regierung ohne Dollfuß, mit einem neuen Kanzler, er wollte Neuwahlen und eine Besetzung der Regierung nach den jeweiligen Stärken, die bei diesen Wahlen erzielt worden wären. Das hätte wahrscheinlich eine Koalitionsregierung aus Christlich-Sozialen und Nationalsozialisten bedeutet."
    Stümperhaftes Vorgehen
    Die Putschisten - von München aus befehligt - gingen die Sache stümperhaft an. Kurt Bauer arbeitet das in seinem Buch auf einprägsame Weise heraus: SS-Standartenführer Fridolin Glass zum Beispiel, der militärische Kopf des Putschs, verpasste die Abfahrt der Umstürzler von der Jahnschen Turnhalle in der Wiener Siebensterngasse aus, wodurch der Umsturzversuch von Anfang an führerlos war; auch die geplante Verhaftung des Bundespräsidenten Wilhelm Miklas in seinem Urlaubsort in Velden am Wörthersee scheiterte am Dilettantismus des dreiköpfigen SS-Kommandos, das die Verhaftung in Kärnten vornehmen sollte. Außerdem - und das ist wenig bekannt - war zeitgleich mit dem gescheiterten Staatsstreich durch die SS-Standarte 89 noch ein anderer Umsturzversuch geplant: Angehörige der SS-Standarte elf postierten sich um die Mittagsstunde des 25. Juli auf dem Michaelerplatz in Wien, um ein Attentat auf Dollfuß zu verüben. Kurt Bauer schreibt:
    "Es ging bei der 'Michaelerplatzaktion' um ein von der Wiener SS-Standarte elf autonom geplantes Attentat. Von dem für dieselbe Zeit beabsichtigten Putsch der SS-Standarte 89 dürften die Möchtegern-Mörder der Standarte elf mit größter Wahrscheinlichkeit nichts gewusst haben. Sie hatten ausgeforscht, dass sich der Kanzler täglich zur Mittagszeit die kurze Strecke zu seiner Privatwohnung fahren ließ, um dort zu Mittag zu essen. Auf dem Michaelerplatz (...) sollte ein mit mehreren Nazi-Terroristen bemanntes Auto bereitstehen. Beim Auftauchen des Kanzler-Autos wollten sie sich diesem in den Weg stellen und Dollfuß mit Handgranaten töten."
    Dazu kam es nicht, da Dollfuß ja bereits im Kanzleramt tödlich getroffen worden war. Dilettantisch zeigte sich allerdings auch die österreichische Regierung: Obwohl ein Verräter aus den Reihen der Putschisten die ständestaatlichen Machthaber vorab gewarnt hatte, waren die österreichischen Sicherheitsbehörden nicht in der Lage, das Kanzleramt und den Kanzler zu schützen.
    "Es war definitiv ein Putsch der Pannen."
    Kurt Bauer hat ein beeindruckendes Buch geschrieben, historiografisch fundiert und erzählerisch stringent, lässt der Wiener Historiker die Ereignisse des Juli '34 noch einmal Revue passieren. Als Leser verliert man keine Sekunde lang den Überblick über die verworrenen Ereignisse. Der Band überzeugt aber nicht nur aus erzählerischer, sondern auch aus wissenschaftlicher Perspektive: Bauer hat an Material herbeigeschafft, was herbeizuschaffen war, Fakten werden als Fakten gewürdigt, Quellen kritisch gewichtet und Hypothesen als solche ausgeschildert. Sollte nicht irgendwann - woher auch immer - spektakuläres, bisher unbekanntes Material auftauchen, darf man behaupten: Kurt Bauer hat das definitive Buch über den Juliputsch 1934 geschrieben. Ein Standardwerk.
    Kurt Bauers: "Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934", Residenz Verlag, 303 Seiten, 24,90 Euro.