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Julia Klöckner und die #Dorfkinder-Kampagne
Kein digitales Guldental

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat es wegen ihrer neuen #Dorfkind-Kampagne nicht leicht – ihr schlägt viel Spott entgegen. Unser Kolumnist Arno Orzessek rät der Ex-Weinkönigin und Bier-Botschafterin deshalb, Dorfkinder vom Internet fernzuhalten.

Von Arno Orzessek | 23.01.2020
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner steht vor einem Wald.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will mit einer Kampagne für den ländlichen Raum werben. (picture alliance/dpa/Oliver Dietze)
Finden Sie nicht auch, dass die öffentliche Hand manchmal ein überraschend gutes Händchen für Kampagnen hat? Uns fällt das Bundesverkehrsministerium ein, das sich mit den flotten "tipp, tipp, tot"-Plakaten an Möchtegern-Multitasker wendet – für den Fall, dass die während der Autobahnfahrt von ihren Smartphones aufblicken sollten. Scharfe Kampagne, keine Frage! Und das aus dem Ministerium von Andreas Scheuer, dem Master of Maut-Desaster und designierten Pannenkönig des Kabinetts.
Vor diesem Hintergrund weckt die #Dorfkinder-Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft umso größere Erwartungen, denn mit Julia Klöckner steckt genau die richtige Ministerin dahinter. Wenn man im rheinland-pfälzischen Guldental aufgewachsen ist, aber mittlerweile lächelnd die Weltmetropole Berlin rockt, dann versteht man ja mit Sicherheit einiges von der gefährlichen Stadt-Land-Spaltung. Laut DIE ZEIT eine " Art sozialer Superantagonismus" – der aber bestimmt an Schrecken verliert, wenn Klöckners superwirksame #Dorfkinder-Kampagne erstmal voll durchschlägt.
Dorfkind Julia hat die ganze Gesellschaft im Auge
Nicht umsonst steht eines der vier Motive – jubelnde junge Kicker samt Trainer – unter dem Slogan: "#Dorfkinder behalten das ganze Team im Auge". Womit das Ministerium charmant-reflexiv andeutet, dass das Dorfkind Julia unsere ganze Gesellschaft trainermäßig im Auge behält. Schon mal danke dafür!
Überhaupt darf man annehmen, dass die Ministerin persönlich mit Guldentaler Herzblut an der Kampagne gearbeitet hat – bei so viel intimer Dorfkenntnis, wie da drin steckt. Im dem Motiv "Dorfkinder haben den Dreh raus" etwa bringen Dorfkinder auf geheimnisvolle Weise mitten in einem Mohnfeld einen Ventilator zum Drehen. Und, sapperlot!, sogar eine Lampe zum Leuchten.
Das heißt: Entweder können die Kids zaubern oder ihr Dorf wurde bereits elektrifiziert und sie haben ein langes Kabel. Toll für das Image des Dörflichen wäre beides, oder?
"#Dorfkinder sind zur Stelle"
Auch klasse: Das Motiv "#Dorfkinder sind zur Stelle. Da, wo man sie braucht". Es zeigt junge, mutmaßliche freiwillige Feuerwehrleute, die aus dicken Schläuchen viel Wasser auf eine grüne Wiese spritzen. Die raffinierte Botschaft: Bei uns kann eigentlich nichts anbrennen, aber dafür hält das Trainingslöschwasser den klimatrockenen Boden feucht.
Und wie reagieren die Leute im Netz? Freuen sie sich mit den Dorfkindern? Überlegen sie sich, selbst bald rauszuziehen? Von wegen! Der Motzki Lasse Rebbin behauptet frech: "Dorfkinder wollen 4G an jeder Milchkanne", obwohl die feinfühlige Klöckner-Kampagne eindeutig zeigt: Dorfkinder sind schon für fließenden Strom dankbar, oder wenn sich ein Ventilator dreht, oder wenn sie aus Wiesen Feuchtwiesen machen können.
Tja, da bahnt sich wohl wieder eines dieser Missverständnisse an, unter denen Julia Klöckner leider oft zu leiden hat. Sie erinnern sich: Letztes Jahr hat Klöckner Nestlé, den Spezial-Sortimenter für gesunde Lebensmittel, wegen der Reduzierung von Zucker, Salz und Fett etwas Honig um den Mund geschmiert.
Die uneigennützige Julia
Das uneigennützige Loben, ein toller menschlicher Zug, ist der Ex-Weinkönigin und Bier-Botschafterin halt zur zweiten Natur geworden, und nicht einmal die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hielt Klöckners Schleichwerbung für Schleichwerbung. Trotzdem postete ein rabiater Tunichtgut namens Mardamun: "Kennt ihr den Moment, wo ihr eure Politiker einfach nur 'hauen wollt' aber ihr wisst zugleich, die können nicht anders?"
Ach, Julia! Die Sozialen Medien werden wohl niemals Ihr digitales Guldental. Andererseits sind Sie noch längst nicht überall blamiert. Das entnehmen wir folgendem Tweet des Feldforschers Hannes: "#Dorfkinder wissen nichts von Klöckners Kampagne, weil sie 2020 immer noch kein Internet haben." Insofern raten wir Ihnen, Frau Ministerin: Halten Sie die Dorfkinder auch weiter vom Internet fern! Es wird Ihrem Ruf guttun.
Arno Orzessek. Seit 1966 Arbeiter- und Bauernsohn, geboren in Osnabrück. Studierte in Köln Philosophie und anderes. Dank "unverlangt eingesandt": SZ- und DLF-Autor; auch: zwei Romane. Lebt seit 2000 rundfunktreu in Berlin. Angesichts der Unordnung der Dinge thematisch unspezialisierter Stoffwechsel-Spezialist. Welt-Erfahrung per Motor- und Rennrad, plus Lektüre. Radio-Ideal: Geistvolles in sinnlicher Sprache; Ziel: Gedankenübertragung; Methode: Arbeit am Text; Verfassung: der Nächste bitte!