Donnerstag, 18. April 2024

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Julia Reda (Piratenpartei)
"Das Internet würde wieder mehr so wie das Kabelfernsehen"

An der EU-Urheberrechtsreform spalten sich die Geister. Die EU-Parlamentarierin Julia Reda (Piratenpartei) sagte im Dlf, die Reform gefährde die Meinungsfreiheit - und warf den Befürwortern der Reform vor, keine Alternativ-Vorschläge gemacht zu haben, die ohne die umstrittenen Upload-Filter auskommen.

Julia Reda im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.03.2019
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Die Europaabgeordnete Julia Reda von der Piratenpartei setzt sich gegen die geplante EU-Reform des Urheberrechtes ein. (Deutschlandradio)
Sandra Schulz: Die Rechte von Autoren und Kreativen sollen gestärkt werden. Das ist das erklärte Ziel der geplanten Reform des Urheberrechts in der Europäischen Union. Zensur, Einschnitte bei der Meinungsfreiheit, sogar das Ende des Internets, wie wir es kennen, das sind die Befürchtungen der Gegner. Das Thema spaltet inzwischen Familien, unversöhnlich stehen sich vielfach Jüngere und Ältere gegenüber. Obwohl technisch und juristisch höchst kompliziert, läuft die Diskussion auch emotional auf höchstem Niveau. In der kommenden Woche soll das EU-Parlament entscheiden, Anfang der kommenden Woche, und für morgen ist ein europaweiter Protesttag geplant.
Am Telefon mitgehört hat Julia Reda, Europaparlamentarierin der Piratenpartei und Verhandlungsführerin der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament zum Thema. Schönen guten Morgen!
Julia Reda: Guten Morgen!
Schulz: Sie sagen, wenn die Reform so kommt, dann ist dies das Ende des Internets, wie wir es kennen. Warum ist es das Ende des Internets, wenn große Plattformen, die jetzt im Moment Milliarden verdienen mit ihren Geschäftsmodellen, wenn die künftig stärker haften müssen?
Reda: Es hat viele Vorschläge gegeben, auch von Kritikern der Reform, wie man dafür sorgen kann, dass Urheberinnen und Urheber an den Profiten großer Online-Plattformen beteiligt werden. Leider haben die Befürworter es versäumt, einen Vorschlag zu erarbeiten, der ohne die kritisieren Upload-Filter auskommt. Das Problem bei Upload-Filtern ist, dass sie nicht in der Lage sind, Urheberrechtsverletzungen passgenau von Zitaten und anderen legalen Nutzungen zu unterscheiden. Das würde bedeuten, dass durch den Einsatz von Upload-Filtern auch völlig legale Äußerungen im Internet gesperrt würden und die Nutzerinnen und Nutzer dadurch in ihrer Meinungsfreiheit beschnitten würden.
"Das Internet hat sich in den letzten Jahren stark verändert"
Schulz: Aber es wird doch künftig auch jedem und jeder möglich sein, die eigene Meinung ins Internet reinzuschreiben. Nichtkommerzielle Plattformen sind ja ausgenommen. Wieso ist das so eine große Gefahr für die Meinungsfreiheit? Wieso ist das Zensur?
Reda: Das Internet hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Man kann das positiv oder negativ finden. Aber eine Folge dieser vielen kommerziellen Plattformen, die wir jetzt haben, ist, dass man nicht mehr die große technische Expertise braucht, um zum Beispiel seine eigene Website zu entwickeln, sondern wirklich jede und jeder kann sich im Internet kreativ entfalten und sich auch ein eigenes Publikum erarbeiten. Wenn diese Möglichkeit auf den großen kommerziellen Plattformen wegfällt, dann wäre das wirklich ein großer Rückschritt. Das Internet würde wieder mehr so wie das Kabelfernsehen. Es ist durchaus möglich, faire Lösungen zu finden, wo die großen Plattformen von ihren Profiten etwas abgeben müssen. Das muss aber ohne Upload-Filter passieren.
Schulz: Aber warum dieses Untergangsszenario, wenn wir doch speziell auf YouTube längst wissen, dass ein Filter arbeitet? Da gibt es jetzt schon den Filter "Content ID". Warum sind diese Filter, die da jetzt geplant sind oder möglicherweise kommen, so ein Dammbruch?
Reda: "Content ID" beschäftigt sich größtenteils mit Musikaufnahmen und Videoaufnahmen. Das ist ein kleiner Bruchteil der urheberrechtlich geschützten Werke, die es gibt. Das heißt, diese Filter würden stark ausgeweitet werden. Außerdem ist es gerade kleineren Plattformen, die auch von Artikel 13 betroffen sind, nicht möglich, ihre eigene Filtertechnologie zu entwickeln.
Schulz: Die sind ja auch ausgenommen.
Reda: Nein, die kleinen Plattformen sind nicht ausgenommen. Nichtkommerzielle Plattformen sind ausgenommen und die Plattformen, die jünger als drei Jahre alt sind. Aber wenn man zum Beispiel ein kleines Unternehmen hat, das eine Rezepteplattform betreibt oder eine Dating-Plattform, dann müssten auch die Urheberrechtsverletzungen verhindern, bevor sie passieren, und dafür würden sie wahrscheinlich die Filtertechnologie von den großen Unternehmen einkaufen müssen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Herr Kelber, hat darauf hingewiesen, dass dadurch wahrscheinlich die Macht der großen Technologieunternehmen noch gestärkt würde, weil noch mehr Datenströme im Internet über deren Server laufen würden.
"Die kommerziellen Plattformen nehmen inzwischen eine wichtige Rolle in der Kommunikation im Internet ein"
Schulz: Es gibt jetzt aus Berlin – wir haben es gerade gehört – die Vorstellung bei der CDU, den Vorschlag, das alles im nationalen Recht bei der nationalen Umsetzung zu entschärfen, dass man mit einer zeitlichen Grenze arbeitet und damit die Upload-Filter umgeht, was ja auch in Berlin erklärtes Ziel ist. Wäre das eine Möglichkeit?
Reda: Es ist zwar schön, dass die CDU sich von dem Ziel, Upload-Filter einzuführen, abwendet. Aber auf nationaler Ebene wird das nicht möglich sein. Der Vorschlag der CDU für eine Pauschalabgabe wäre in der nationalen Umsetzung europarechtswidrig und müsste auf europäischer Ebene beschlossen werden. Und selbst wenn es europarechtskonform wäre, das nur national zu tun, dann wären die Plattformen nach wie vor verpflichtet, Inhalte von außerhalb Deutschlands zu blocken, und wir würden einer weiteren Zersplitterung des Internets und des digitalen Binnenmarkts Vorschub leisten, die eigentlich genau das Gegenteil des Ziels dieser Reform ist, dass es eigentlich den digitalen Binnenmarkt vervollständigen sollte und Unterschiede zwischen den europäischen Ländern abbauen soll.
Schulz: Ich muss noch ein bisschen genauer auf die Begrifflichkeiten kommen. Einschnitte bei der Meinungsfreiheit – das würde ja bedeuten, dass künftig Menschen daran gehindert werden, ihre Meinung frei zu publizieren. Sagen Sie noch mal: Warum ist das bedroht von dieser Reform, wenn auch künftig jeder auf nichtkommerziellen Plattformen in seinem Blog schreiben kann was er meint?
Reda: Die kommerziellen Plattformen, die von dieser Reform betroffen sind, nehmen inzwischen eine wichtige Rolle in der Kommunikation im Internet ein. Ich glaube, das ist auch ein Grund, weshalb so viele junge Leute auf die Straße gehen, weil sie nicht nur YouTube und Facebook kennen, sondern eine ganz große Vielfalt von Plattformen, Diskussionsforen, die sie im täglichen Leben benutzen, um sich miteinander auszutauschen. Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, hat sich kritisch gegen diese Reform gewandt, weil er der Meinung ist, dass die Etablierung einer solchen Zensur-Infrastruktur, das Vorhalten von Upload-Filtern letztendlich dazu führen wird, dass auch Begehrlichkeiten für andere Themen geweckt werden, und die Kontrolle darüber, was man im Internet posten kann, ausgeweitet wird. Und wohl gemerkt: Es geht nicht nur darum, dass damit Urheberrechtsverletzungen verhindert werden, sondern dass es durch die fehlerhafte Technik zweifelhaft auch zur massenhaften Löschung legaler Äußerungen kommen wird.
Schulz: Jetzt sehen wir eine Debatte, die ausgesprochen emotional läuft. Wir sehen, dass es im Netz Hass auf die Befürworter prasselt. Es hat sogar Morddrohungen gegeben auf Axel Voss, der ja die Schlüsselfigur ist auf Seiten der CDU. Was ist da schiefgelaufen?
Reda: Da gibt es überhaupt nichts zu verteidigen. Ich denke, Drohungen sind für den politischen Diskurs absolut inakzeptabel. Und bei diesem Thema stehen wir dann auch alle hinter Axel Voss, dass so etwas nicht in Ordnung ist.
Ich denke, den einzigen Vorwurf, den man dort den Befürwortern der Reform machen kann, ist, dass sie nicht früher einen breiten Kompromiss gesucht haben. Denn das Europaparlament hat bereits einmal im Juli letzten Jahres gegen einen ersten Entwurf dieser Reform gestimmt, und auch damals war der Hauptkritikpunkt schon der Upload-Filter. Es hätte die Möglichkeit gegeben, solche Ideen wie die Pauschalabgabe, die die CDU jetzt national befürwortet, in den europäischen Gesetzgebungsprozess einzubringen.
Stattdessen haben sich die Befürworter der Reform dafür entschieden, die Gegner zu diskreditieren. Da wurde teilweise behauptet, dass die Bürgerinnen und Bürger, die sich per E-Mail an ihre Abgeordneten gewandt haben, gar nicht existieren, dass das Bots seien. Deshalb sind wir jetzt in einer Situation, wo Tausende junge Menschen auf die Straße gehen und rufen, wir sind keine Bots, nehmt uns ernst.
"Ich glaube, dass es wichtig ist, wenn junge Menschen in der Politik Gehör finden"
Schulz: Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt, den im Moment viele Eltern erleben mit Kindern im Alter von 13 plus X. Die berichten von Wutausbrüchen am Abendbrottisch gegen diese EU, die da das Internet kaputt machen will, diese älteren Leute, die nur keine Ahnung haben vom Netz und deswegen uns Jungen die Zukunft verbauen. Viele dieser Eltern haben das Gefühl, dass die Jüngeren gezielt vor den Karren dieser großen US-Konzerne gespannt werden, von Facebook und Co., die ja auch eine aggressive Kampagne fahren. Was antworten Sie denen?
Reda: Ich glaube, dass es wichtig ist, wenn junge Menschen in der Politik Gehör finden. Es ist sicherlich ein Problem, dass es im Europaparlament Abgeordnete unter 30 praktisch überhaupt nicht gibt. Es stimmt zwar, dass auch Technologieunternehmen in dieser Debatte vorkommen. Allerdings muss man da auch differenzieren. Zum Beispiel YouTube hat sich in Form ihrer CEO Susan Wojcicki für verpflichtende Upload-Filter ausgesprochen. Sie war lediglich gegen die Verpflichtung zum Lizenzieren. Es ist keineswegs so, dass die Forderungen der Technologieunternehmen und der Protestierenden auf der Straße identisch wären.
Schulz: Frau Wojcicki hat auch in einem ziemlich emotionalen Appell gesagt, ab Herbst könnten Millionen von Menschen nichts mehr hochladen, und sicherlich hat YouTube im Netz auch eine große Meinungsmacht. Das Problem sehen Sie nicht?
Reda: Das ist richtig, dass diese Äußerung im September problematisch war. Die Leute, die in der aktuellen Debatte aber tonangebend sind im Netz, die haben sich zu größten Teilen schon früher in die Debatte eingeschaltet. Die waren auch bei der Abstimmung im Juli schon aktiv. Viele von ihnen setzen sich auch kritisch mit dem eigenen Filter von YouTube "Content ID" auseinander. Man muss zwar einerseits kritisch mit diesen Plattformen umgehen, darf aber andererseits auch nicht den Fehler machen zu glauben, dass die Menschen, die Videos auf YouTube publizieren und dabei teilweise große Reichweite haben, Angestellte von YouTube wären. Auch die haben ihre eigene Position, die nicht mit der von YouTube deckungsgleich ist.
Schulz: Julia Reda, Europaparlamentarierin der Piratenpartei und entschiedene Gegnerin der geplanten EU-Urheberrechtsreform, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.
Reda: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.